Mit Abstand und Corona-Regeln waren auch im Sommer 2020 Betriebsratssitzungen möglich. Für die Teilnahme daran durfte ein Betriebsratsmitglied nicht „bestraft“ werden. Copyright by Adobe Stock/A.Popov
Mit Abstand und Corona-Regeln waren auch im Sommer 2020 Betriebsratssitzungen möglich. Für die Teilnahme daran durfte ein Betriebsratsmitglied nicht „bestraft“ werden. Copyright by Adobe Stock/A.Popov

Die Teilnahme an Sitzungen gehört ebenso zur Tätigkeit von Betriebsräten wie die entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. So regelt es § 37 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Als der Betriebsrat wegen der Corona-Pandemie nicht in Präsenz tagen konnte, legte ein Arbeitgeber die dahinterstehenden Definitionen aber anders aus – zum Nachteil für ein Betriebsratsmitglied. Für die Teilnahme an einer Gesamtbetriebsratssitzung wurden dem als Sporttherapeuten angestellten Betriebsrat zwei Tage Lohn gekürzt. Mithilfe der Kolleg*innen im DGB Rechtsschutz Büro Schwerin wehrte er sich dagegen.
 

Sonderregelung für digitale Konferenzen

Als Folge der Corona-Pandemie wurde 2020 eine Sonderregelung in das Betriebsverfassungsgesetz eingefügt, die sicherstellte, dass eine Betriebsratssitzung sowie die Beschlussfassung der Gremien mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen können. Es sollte lediglich sichergestellt sein, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Dieser Paragraph 129 BetrVG wurde in seiner Wirkung mehrmals verlängert.
 
Im vorliegenden Fall wollte der Gesamtbetriebsrat aber nicht auf seine Präsenzsitzung verzichten. Schließlich handelte es sich um die Konstituierung des neuen Gremiums, das durch eine gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung notwendig geworden war. Das sah der Arbeitgeber als rechtswidrig an. Im Zuge der Corona-Pandemie hatte der Betreiber mehrerer Rehakliniken ein allgemeines Verbot von überregionalen Präsenzveranstaltung verfügt – um eine Störung des Betriebsablaufs zu verhindern und die Patient*innen zu schützen. Als der Sporttherapeut im Juni 2020 in seinem Betrieb gewählt wurde, an der Gesamtbetriebsratssitzung teilzunehmen, begann die Auseinandersetzung, die letztlich vor dem Arbeitsgericht Schwerin entschieden werden musste.
 
Der Gesamtbetriebsrat hätte von der Möglichkeit Gebrauch machen müssen, die Sitzung als Video- oder Telefonkonferenz durchzuführen, argumentierte der Arbeitgeber vor Gericht. Die Sonderregelung sei auch auf konstituierende Sitzungen eines Gesamtbetriebsrats anwendbar. Der Gesamtbetriebsrat habe schließlich „bei der Ansetzung von Betriebsratssitzungen auf die betrieblichen Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen“, wie es § 30 BetrVG nennt. Unmittelbar vor dem angesetzten Termin Anfang Juli bekräftigte der Arbeitgeber seine Haltung, dass Präsenzsitzungen derzeit nicht möglich seien. Und dennoch fand die so wichtige Sitzung statt – ohne weitere Abstimmung. Für die beiden Fehltage wurde der Lohn des Betriebsratsmitglieds gekürzt.
 

Keine Prüfungspflicht für Betriebsratsmitglied

Die Richter*innen in Schwerin machten kurzen Prozess: Der Lohnanspruch entfällt nicht, wenn das betroffene Betriebsratsmitglied tatsächlich Betriebsratsaufgaben wahrnimmt und die Arbeitsbefreiung zur ordnungsgemäßen Durchführung dieser Aufgaben erforderlich ist.
 
Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats gehört dazu. Daran änderten auch die aktuellen Umstände nichts. Denn es war nicht Aufgabe des Sporttherapeuten, zu prüfen, ob die Sitzung rechtmäßig war. Eine solche Prüfungspflicht ist gesetzlich nicht vorgesehen „und würde im Ergebnis einen schwerwiegenden Eingriff in die gesetzlich geschützte Tätigkeit des Betriebsrats darstellen. Bei zweifelhafter Rechtmäßigkeit müsste das betroffene Betriebsratsmitglied negative Folgen befürchten und wäre in seiner Tätigkeit gehemmt“, so die Richter*innen.
 
Der Arbeitgeber hatte also keine rechtliche Grundlage, von den Regelungen für die Betriebsratstätigkeit abzuweichen. Damit war er seinem Angestellten die fast 250 € gekürzten Lohn schuldig.
 

Offenbar kein Einzelfall

Im August 2020, also kurz nach der strittigen konstituierenden Sitzung, beschäftigte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die gleiche Frage. Der Arbeitgeber blieb bei seiner Ansicht und hatte dem Gesamtbetriebsrat Präsenzsitzungen verboten – mit Verweis darauf, die Sitzungen als Video- oder Telefonkonferenz durchzuführen.
 
In einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren unterlag er. Der Gesamtbetriebsrat konnte für die konkrete, strittige Sitzung nicht auf digitale Formate ausweichen, da geheim durchzuführende Wahlen anstünden, was im Rahmen einer Video- oder Telefonkonferenz nicht möglich sei. Die Durchführung der Sitzung war nach geltenden Corona-Regeln zulässig, wobei die Richter*innen keine generelle Erlaubnis für Präsenzsitzungen aussprachen. Es müsse stets im Einzelfall abgewogen werden. Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.08.2020, 12 TaBVGa
 
Links
Urteil des ArbG Schwerin
 
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Rechtliche Grundlagen

§ 37 BetrVG – Ehrenamtliche Tätigkeit, Arbeitsversäumnis

(2) Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

(3) Zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Betriebsbedingte Gründe liegen auch vor, wenn die Betriebsratstätigkeit wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder nicht innerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgen kann. Die Arbeitsbefreiung ist vor Ablauf eines Monats zu gewähren; ist dies aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, so ist die aufgewendete Zeit wie Mehrarbeit zu vergüten.

§ 129 Sonderregelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie
(1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Absatz 1 Satz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen. Gleiches gilt für die von den in Satz 1 genannten Gremien gebildeten Ausschüsse.