Betriebsratssitzungen per Videokonferenz sind in vielen Unternehmen Teil der neuen Normalität. Copyright by Adobe Stock/ tampatra
Betriebsratssitzungen per Videokonferenz sind in vielen Unternehmen Teil der neuen Normalität. Copyright by Adobe Stock/ tampatra

Im Fall, den das Arbeitsgericht Regensburg zu entscheiden hatte, wehrte sich der Betriebsrat im einstweiligen Rechtsschutz gegen das Verbot der Arbeitgeberin, in ihren Räumlichkeiten Betriebsratssitzungen in Form von Präsenzveranstaltungen abzuhalten.
 

Arbeitgeberin untersagt Präsenzveranstaltung mit Personen aus mehreren Häusern

Die Arbeitgeberin betreibt Wohnheime und Förderstätten für Menschen mit geistiger Behinderung oder Mehrfachbehinderung. Sie beschäftigt etwa 300 Mitarbeiter*innen. Die Mitglieder des achtköpfigen Betriebsrats arbeiten in sechs unterschiedlichen Wohnheimen in verschiedenen Städten.
 
Unter normalen Umständen tagt der Betriebsrat mittwochs ab 9:30 Uhr in einem von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Raum in einer Behindertenwerkstatt.
 
Im Rahmen der Pandemie entwickelte die Arbeitgeberin ein Hygienekonzept, das Präsenzveranstaltungen mit Personen aus unterschiedlichen Einrichtungen untersagte. Entsprechend teilte die Geschäftsführerin der Betriebsratsvorsitzenden mit, sie möge die Sitzungen bis auf weiteres in digitaler Form abhalten. Die entsprechende technische Ausrüstung würde sie zur Verfügung stellen.
 
Der Betriebsrat setzte sich zunächst über dieses Verbot hinweg und führte im November 2020 zwei Präsenzsitzungen durch. Er erhielt daraufhin vom Einrichtungsleiter der Behindertenwerkstatt Hausverbot. Die Auseinandersetzung um Präsenzsitzungen eskalierte so lange, bis der Betriebsrat entschied, sich nunmehr gegen die Untersagung vor Gericht zu wehren und bei der Arbeitgeberin die Zuteilung eines Raumes durchzusetzen.
 

Seit Corona darf Betriebsrat per Video- und Telefonkonferenz zusammenkommen

Um die Funktionsfähigkeit der Betriebsratsarbeit zu sichern, hat der Gesetzgeber die zeitlich befristete Möglichkeit geschaffen, als Betriebsrat auch virtuell zusammenzutreten, um in den schwierigen Zeiten der Pandemie seine Aufgaben, etwa beim Gesundheitsschutz oder der Kurzarbeit erfüllen zu können.
 
Damit können Sitzungen des Betriebsrats sowie die Beschlussfassung mittels Video- und Telefonkonferenz stattfinden, sofern die Vertraulichkeit sichergestellt ist. Das gilt auch für andere Gremien der Mitbestimmung.
 
Hintergrund der Regelung war zum einen, dass Sitzungen „coronakonform“, also mit hinreichendem Abstand, Masken und regelmäßiger Frischluftzufuhr schwieriger durchzuführe sind. Zum anderen steigt die Gefahr, dass Betriebsratsmitglieder etwa wegen Quarantäne oder Kurzarbeit nicht im Betrieb sind und - jedenfalls im Fall der Quarantäne - auch nicht sein dürfen. Mit der im letzten Jahr geschaffenen Möglichkeit können diese Mitglieder trotzdem an der Sitzung teilnehmen.
 
Trotz der Pandemie bleibt es aber bei dem Grundsatz, dass Betriebsratssitzungen als Präsenzsitzungen, also bei körperlicher Anwesenheit aller Betriebsratsmitglieder in einem geschlossenen Raum, stattfinden sollen. In welcher Form die Sitzung stattfindet, entscheidet der oder die Betriebsratsvorsitzende.
 
Dieser muss abwägen, inwieweit das Pandemiegeschehen und die Gegebenheiten vor Ort eine Präsenzsitzung möglich erscheinen lassen.
 

Betriebsrat besteht auf Selbstbestimmungsrecht

Hierauf berief sich auch die Betriebsratsvorsitzende im vorliegenden Fall. Sie war der Ansicht, selbst entscheiden zu können, ob der Betriebsrat in Präsenz oder digital zusammenkommt. Gegen ein Zusammenkommen in einem realen Raum sei nichts einzuwenden, da der Betriebsrat die allgemein gültigen Verhaltensregeln im Zusammenhang mit den Corona-Schutzmaßnahmen wie Abstandsregeln und Maskentragen beachte.
 
Der Gesetzgeber habe die neu geschaffene Vorschrift des § 129 BetrVG bewusst als „Kann“-Vorschrift ausgestaltet. Die Präsenzsitzung bleibe grundsätzlich möglich. Diesem Ermessen des Betriebsrates stehe weder das Hygienekonzept der Arbeitgeberin, noch deren Weisungsrecht entgegen.
 
Dies sah die Arbeitgeberin jedoch anders. Das Hygienekonzept gelte umfassend für den gesamten Betrieb, also auch für den Betriebsrat. Die Bewohner der Wohnheime zählten zu der besonders schützenswerten Gruppe der Bevölkerung. Es habe auch schon Infektionen in einzelnen Wohneinrichtungen gegeben, sodass eine einrichtungsübergreifende Kontaktbeschränkung notwendig sei.
 

Betriebsrat muss Ermessen pflichtgemäß ausüben

Das Arbeitsgericht Regensburg folgte der Rechtsansicht der Arbeitgeberin und wies den Antrag des Betriebsrats zurück. Zwar habe der Betriebsrat ein Ermessen im Hinblick auf die Frage, in welcher Form er die Sitzung abhält. Dieses Ermessen sei aber pflichtgemäß auszuüben und könne im Einzelfall auch auf null reduziert sein.
 
Der Betriebsrat dürfe bei seiner Entscheidung die betrieblichen Belange des Arbeitgebers nicht vollkommen ausblenden, wie sich schon aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ergebe. Wenn der Arbeitgeber in dieser Zeit zum Schutz der teils mehrfachbehinderten Bewohner*innen, der Mitarbeitenden und deren Familien und damit letztlich auch der Mitglieder des Betriebsrates selbst eine einrichtungsübergreifende Zusammenkunft von Personen untersage, sei weder rechtlich noch aus Vernunftsgründen einsichtig, weshalb der Betriebsrat dennoch auf Präsenzsitzungen pochen können solle.
 
Das Gericht sah zwar ein, dass die digitale Kommunikation zu Erschwernissen bei der Durchführung der Sitzung führen könnte. Worin diese aber konkret bestehen, habe der Betriebsrat im Verfahren nicht darlegen können. Es hätten insbesondere keine Wahlen angestanden, die eine Präsenzveranstaltung zwingend erforderlich gemacht hätten.
 

Arbeitsgericht: Entscheidung der Arbeitgeberin „alternativlos“

Auch sei die Gesamtlage der Pandemie zu berücksichtigen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung seien im Freistaat Bayern nur Treffen mit einem weiteren Hausstand und insgesamt fünf Personen zugelassen. Die Kontaktregeln für das Betreten von Altenheimen, Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen seien sogar noch strenger. Diese Wertung müsse bei der Auslegung des pflichtgemäßen Ermessens berücksichtigt werden.
 
Das Gericht führte aus:
 
„Vor diesem gesellschaftlichen Gesamthintergrund [dürfe] für vernunftsgetragene Menschen einsichtig sein, dass eine Zusammenkunft von acht Betriebsratsmitgliedern aus acht verschiedenen Haushalten und sechs verschiedenen Wohnheimen für Menschen mit Behinderungen an vier Terminen in der Hochphase der Pandemie ohne inhaltlich zwingende Hintergründe kein angebrachtes Ergebnis darstellte. Allein die Gefahr, dass die Betriebsratsmitglieder sich untereinander anstecken und das Virus am Ende in sechs unterschiedliche Einrichtungen ver- und einschleppen, ist untragbar. Die Kammer wird dem Ansinnen des Betriebsrats, der eine solche Gefahr offenbar sehenden Auges eingehen möchte, keinen Vorschub leisten.“
 
Etwas anderes könne sich durchaus ergeben, wenn sich das Infektionsgeschehen ändere. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber sei die Entscheidung der Arbeitgeberin „nachvollziehbar und alternativlos“.
 
Links
 
Zum Beschluss des ArbG Regensburg

Jetzt ist es amtlich: Betriebsratssitzungen als Telefon- oder Videokonferenzen

Betriebsräte können weiterhin virtuell tagen

Arbeitgeber darf Präsenzsitzung des Betriebsrates nicht verbieten
Kommentierung § 129

Das sagen wir dazu:

„Ja, seid´ s dann deppert?“, so schallt es dem Betriebsrat von der Richterbank entgegen. Denn nichts anderes bedeutet die nur wenig freundlichere Formulierung in der Entscheidung, man werde dem Ansinnen des Betriebsrats keinen Vorschub leisten, wenn er die Gefahr einer Massenansteckung sehenden Auges eingehe. Dass sich das Gerichts sogar des Unworts „alternativlos“ bediente, zeigt, wie sehr ihm das Begehren nach einer Präsenzsitzung über die bajuwarische Hutschnur ging.

Bei Wahlen ist Präsenz zwingend

Und tatsächlich leuchtet nicht unmittelbar ein, warum sich der Betriebsrat mit acht Personen treffen muss, wenn zu dieser Zeit alleine im Freistaat Bayern fast 5.000 Neuinfektionen täglich zu vermelden sind. Zumal in einer Einrichtung, in der besonders gefährdete Personen untergebracht sind. Für Privathaushalte galt seinerzeit eine Grenze von fünf Personen.


An den Wahlen lag es jedenfalls nicht, wie das Gericht feststellt. Hätte in der Sitzung eine geheime Wahl stattfinden sollen, so wäre eine Präsenzsitzung zwingend notwendig gewesen (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. August 2020, 12 TaBVGa 1015/20).

Das LAG Berlin-Brandenburg hat zwar in seinem Beschluss festgestellt, dass der Arbeitgeber die Präsenzsitzung wegen der Wahlen nicht verbieten darf, es hat sich jedoch gleichzeitig geweigert, dem Betriebsrat einen Blankocheck für alle zukünftigen Sitzungen auszustellen und auf die Abwägung im Einzelfall verwiesen. Es hat ausdrücklich offen gelassen, ob der Arbeitgeber Präsenzsitzungen auch dann hinnehmen muss, wenn keine Wahlen anstehen und sich das Infektionsgeschehen negativ entwickelt.

Präsenzsitzung bleibt der rechtliche Regelfall

Allerdings hat der Betriebsrat einen wichtigen Aspekt auf seiner Seite: Die Regelung des § 129 BetrVG („Sonderregelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie“) ist eine Ausnahmevorschrift, die erst mit Beginn der Pandemie ins Gesetz eingeführt wurde und die Funktionsfähigkeit der Betriebsratsarbeit in Zeiten von Quarantäne und Kurzarbeit sicherstellen sollte.


Den Ausnahmecharakter der Vorschrift unterstreicht die Befristung der Norm zunächst bis zum Jahresende 2020, später aufgrund des Infektionsgeschehens bis zur Jahresmitte 2021. Betriebsratssitzungen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers also in erster Linie als Präsenzveranstaltungen stattfinden.

Dabei hat er dem Betriebsrat und insbesondere dem/der Vorsitzende*n ein Ermessen eingeräumt („kann“). Dies ist in Anbetracht der oben genannten Grundkonstellation nur so zu verstehen, dass es für die Sitzung und Beschlussfassung im Rahmen einer Video- oder Telefonkonferenz immer sachlicher Gründe bedarf.

Betriebsrat entscheidet aus eigenem Recht

Wenn das Arbeitsgericht dem Betriebsrat hier vorwirft, er habe nicht plausibel dargelegt, warum er unbedingt in Präsenz tagen müsse, so verkennt es hier das Regel-Ausnahme-Verhältnis. Nicht der Betriebsrat muss darlegen, warum er eine Präsenzveranstaltung durchführen will, sondern der Arbeitgeber muss darlegen, warum dies nicht möglich ist.


Ein Verweis auf das allgemeine Hygienekonzept dürfte jedoch nicht ausreichen. Denn dieses regelt den Arbeitsablauf im Unternehmen und schlägt keineswegs automatisch auf die betriebsverfassungsrechtliche Ebene durch. So kann ein Arbeitgeber zwar Dienstreisen und Schulungen seiner Mitarbeiter*innen untersagen, der Betriebsrat hat hier jedoch Ansprüche aus eigenem Recht, insbesondere § 37 BetrVG. Gleiches gilt für die Betriebsratssitzung.

Dabei kommt dem Betriebsrat eine eigene Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Art der Sitzung zu. Und auch wenn man dem Gericht folgt und den Betriebsrat verpflichtet sieht, die betrieblichen Belange zu berücksichtigen, so dürften diese jedenfalls nicht die Funktionsfähigkeit der Betriebsratsarbeit überwiegen. Denn diese muss an erster Stelle stehen.

Wird aus dem Recht eine Pflicht?

Vor diesem Hintergrund stimmt es nachdenklich, wenn das Gericht das Ermessen des Betriebsrats auf Null reduziert und damit aus der Recht zur Videokonferenz eine Pflicht macht.

Im Hauptsacheverfahren, so es denn ein solches geben sollte, wäre aus Sicht des Verfassers im Rahmen einer umfassenden Beweisaufnahme zu klären, welche Infektionsrisiken durch eine Sitzung in Präsenz tatsächlich entstehen, und wie der Betriebsrat sie bekämpft. Zu klären wäre auch, ob die Betriebsratsmitglieder tatsächlich in Kontakt zu den gefährdeten Personen kommen.

Möglich, dass es tatsächlich keine Möglichkeit für den Betriebsrat gibt, sich im realen Leben zu treffen und er sich auf eine Videokonferenz verweisen lassen muss. Aber nach gegenwärtigem Stand der Dinge erscheint das apodiktische „alternativlos“ verfrüht.

Rechtliche Grundlagen

§ 129 Sonderregelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie

(1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Absatz 1 Satz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen. Gleiches gilt für die von den in Satz 1 genannten Gremien gebildeten Ausschüsse.

(2) Für die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss gilt Absatz 1 Satz 1 und 2 entsprechend.

(3) Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.