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In regelmäßigen Abständen berichten wir ausführlich über bestimmte Themengebiete. Zum Teil, weil sie politisch aktuell sind wie Mindestlohn oder Arbeitszeit, zum Teil weil sie saisonal von besonderem Interesse sind wie Urlaub oder Krankheit. Alle bisherigen Schwerpunktthemen können Sie hier nachlesen.
Aktuell| Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht feiert Geburtstag

Hier finden Sie eine kleine Zusammenfassung zu dem Thema Gewerkschaftliches Centrum für Revision und Europäisches Recht feiert Geburtstag:


Seit 10 Jahren besteht in Kassel das Gewerkschaftliche Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH. In dieser Zeit wurden zahlreiche wegweisende Entscheidungen erstritten.

Das Gewerkschaftliche Centrum für Revision und Europäisches Recht


Im Centrum arbeiten Spezialistinnen und Spezialisten für die besonderen Verfahren an den obersten Gerichten. Sie vertreten Gewerkschaftsmitglieder vor dem Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht und dem Bundesverwaltungsgericht.

Außerdem führen sie Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention wacht.

In den vergangenen zehn Jahren haben die Rechtsexpertinnen und Rechtsexperten zahlreiche wegweisende Entscheidungen für die Mitglieder der DGB Gewerkschaften erstritten. Wir stellen einige besonders wichtige vor.

Das Gewerkschaftliche Centrum für Revision und Europäisches Recht stellt sich vor

Individuelles Arbeitsrecht

Im Individualarbeitsrecht geht es um Ansprüche von Arbeitnehmern gegen ihre Arbeitgeber, zum Beispiel um Vergütung für geleistete Arbeit oder um Urlaub. Häufig wird auch darum gestritten, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis vorliegt.

1. Mutterschutz vor Urlaub

In einer Entscheidung, in der der DGB Rechtsschutz eine junge Mutter aus Thüringen vertreten hat, hat das Bundesarbeitsgericht seiner durch das Europarecht geprägten Rechtsprechung zum Urlaubsrecht einen weiteren wichtigen Baustein hinzugefügt Mutterschutz geht vor Urlaub

Die Klägerin war im Blutspendedienst beschäftigt, als sie Anfang 2013 schwanger wurde. Dies teilte sie im Juni mit, errechneter Geburtstermin war Ende Dezember.

Ihre Arbeitgeberin erteilte ihr daraufhin umgehend ein Beschäftigungsverbot, weil sie bei der Arbeit mit potentiell infektiösem Material in Berührung komme. Eine andere Beschäftigungsmöglichkeit gebe es nicht.

Den bereits genehmigten Urlaub für das Jahr 2013 im Umfang von 17 Tagen verrechnete die Arbeitgeberin mit dem Beschäftigungsverbot. Das Arbeitsverhältnis wurde beendet und die Mutter forderte von ihrer ehemaligen Arbeitgeberin die Abgeltung der 17 Urlaubstage.

Wie auch die Vorinstanzen gab das Bundesarbeitsgericht der Klägerin Recht. Dabei griff es auf die grundsätzliche Überlegung zurück, nach der sich Urlaub aus den beiden Bestandteilen „Freistellung“ und „Bezahlung“ zusammensetzt.

Eine Freistellung sei jedoch während des Beschäftigungsverbotes nicht möglich gewesen, da keine Arbeitspflicht bestanden habe. Der Urlaub bestehe auch nach Ende des Beschäftigungsverbotes weiter, weil das Gesetz eine entsprechende Übertragung vorsehe. Dies gelte auch dann, wenn der Urlaub bereits genehmigt worden sei und dann wegen des Beschäftigungsverbots nicht genommen werden konnte.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.08.2016 – Aktenzeichen 9 AZR 575/15 (Mutterschutzrechtliches Beschäftigungsverbot und Urlaub)

2. Branchenzuschläge in der Leiharbeit

Eine erhebliche Auswirkung hatte die Entscheidung zu Branchenzuschlägen in der Automobilindustrie. Durch die vom Centrum erstrittene Entscheidung kommen auch die Mitarbeiter eines Logistikbetriebs in den Genuss des Branchenzuschlags für die Metallindustrie.

Das Centrum vertrat drei Leiharbeiter, die von ihrem Verleiher an eine Service GmbH ausgeliehen worden waren. Diese Service GmbH erbrachte Logistikdienstleistungen für das nahe gelegene Opel-Werk. Sie nahm von Zulieferbetrieben hergestellte Teile entgegen, brachte sie in eine vorgegebene Reihenfolge und lieferte sie ins Werk.

Der Tarifvertrag Leiharbeit sah einen Zuschlag von 50 % des Monatslohns für solche Leiharbeiter vor, die in der Automobilindustrie oder in einem dazu gehörenden Hilfs- oder Nebenbetrieb beschäftigt sind. Den vom DGB Rechtsschutz vertretenen Leiharbeitern wurde der Zuschlag mit der Begründung verweigert, bei ihrem Entleihbetrieb handele es sich um ein Logistikunternehmen.

Dieser Ansicht schlossen sich zunächst sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht an. Das Bundesarbeitsgericht sah es anders und sprach den Leiharbeitern den eingeklagten Zuschlag zu. Zwar gehöre ihr Entleiher nicht zur Automobilindustrie selbst, er sei aber ein Hilfs- und Nebenbetrieb, weil er die Fertigung des Hauptbetriebs unterstützt.

Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, dass der Nebenbetrieb nicht im Eigentum des Hauptbetriebs stehe. Mit dieser Entscheidung definiert das Bundesarbeitsgericht einen wichtigen Begriff des Tarifvertrages und sorgt für Rechtsklarheit für Mitarbeiter der betroffenen Hilfs- und Nebenbetriebe.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.02.2017 – Aktenzeichen 5 AZR 252/16, 253/16 und 453/15 (Branchenzuschläge in der Leiharbeit – Unterstützungsbetrieb)

3. Abgrenzung Arbeitnehmerüberlassung / Werkvertrag

Viele Arbeitgeber versuchen, die Schutzvorschriften des Arbeitsrechts durch windige Vertragsgestaltungen zu umgehen. Dabei ist die Leiharbeit aufgrund des – allerdings löcherigen - Grundsatzes der gleichen Arbeitsbedingungen („equal-pay“) auch für Arbeitgeber nur bedingt attraktiv und wird zunehmend durch Werk- oder Dienstverträge ersetzt. Das Bundesarbeitsgericht grenzt die Konstellationen auf Basis der Vertragsformulierungen ab.

Die Klägerin war im Bereich Besucherservice eines Museums als „Host“ bzw. „Gruppenkoordinatorin“ beschäftigt. Als „Host“ musste sie Besucher begrüßen und Auskünfte erteilen, als „Gruppenkoordinatorin“ betreute sie Gästegruppen im Eingangs- und Lobbybereich.

Angestellt war sie aber nicht beim Museum selbst, sondern bei einer GmbH, die für das Museum auf Grundlage eines „Dienstleistungsvertrages“ tätig wurde. Sie klagte gegen das Museum auf Feststellung, dass mit diesem ein Arbeitsverhältnis besteht. In Wirklichkeit sei sie von der GmbH an das Museum als Leiharbeiterin überlassen gewesen. Daher könne sie sich auf § 10 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes berufen, wonach bei unwirksamer Überlassung ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher besteht.

Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass zwischen dem Museum und der GmbH kein Dienst- sondern ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bestand. Das Gericht schloss dies aus der Vertragsgestaltung. Der Vertrag enthielt eine Regelung, wonach „Gruppenkoordinatoren“ dem Auftraggeber gegenüber weisungsunterworfen sind.

Die Einräumung eines umfassenden Weisungsrechts, so das Gericht, sei geradezu kennzeichnend für einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag. Denn nur so sei der Entleiher in der Lage, die Leiharbeiter so einzusetzen, als ständen diese zu ihm in einer arbeitsvertraglichen Beziehung.

Für eine Überlassung sprach zudem, dass das Museum die eingesetzten Personen verpflichtete, an von ihm organisierten Schulungen und Einweisungen teilzunehmen. In diesen von dem Museum gezahlten Schulungen sollte den „Hosts“ und „Gruppenkoordinatoren“ das erforderliche Fachwissen vermittelt werden. Üblicherweise falle aber dem Dienstnehmer die Aufgabe zu, sein Personal auf seine Kosten zu schulen.

Da die GmbH im Ergebnis einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag mit dem Museum geschlossen hatte und ihr die erforderliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung fehlte, war die Überlassung unwirksam. Nach dem Gesetz war deshalb ein Arbeitsvertrag mit dem Museum zustande gekommen.

Da die Vorinstanz, die das Klagebegehren noch abgelehnt hatte, keine Feststellungen darüber getroffen hatte, in welchem Umfang die Klägerin beschäftigt war, konnte das Bundesarbeitsgericht die Sache nicht entscheiden, sondern musste sie zur weiteren Klärung an die Vorinstanz zurückverweisen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.09.2016 – Aktenzeichen 9 AZR 735/15 (Arbeitnehmerüberlassung Werkvertrag/Dienstleistungsvertrag)

4. Darlegungs- und Beweislast für Überstunden

Bei Rechtsstreitigkeiten um Überstundenvergütung haben Arbeitnehmer oft schlechte Karten, weil sie nicht nur beweisen müssen, wie viele Überstunden sie gemacht haben, sondern auch, dass diese vom Arbeitgeber angeordnet wurden. In der Entscheidung, die das Centrum erwirkt hat, hat das Bundesarbeitsgericht die Situation für die Arbeitnehmer etwas verbessert.

DGB Rechtsschutz erstreitet Überstundenvergütung

Ein Kraftfahrer hatte auf Vergütung von knapp 370 Überstunden geklagt. Die Arbeitszeit wurde im LKW mit einem digitalen Kontrollgerät erfasst. Zeiten, in denen der Kläger nicht fuhr musste er manuell als „sonstige Arbeitszeit“ oder „Pause“ verbuchen. Die Überstunden hatte er anhand der Fahrerkarte errechnet, außerdem hatte er eine detaillierte Liste der Touren vorgelegt. Die Arbeitgeberin bestritt die Überstunden.

Dieses pauschale Bestreiten reichte dem Bundesarbeitsgericht nicht. Anders als noch das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht sah es die Darlegung der Überstunden durch den Kläger als hinreichende Begründung für seinen Vergütungsanspruch an.

Der Kläger hat nach Überzeugung des Bundesarbeitsgerichts hinreichend dargelegt, dass er Überstunden in dem von ihm aufgezeigten Umfang geleistet hat. Es sei an der Beklagten gewesen, anhand der Aufzeichnungen des sog. Fahrtenschreibers (auch Tachograph genannt) darzulegen, inwieweit der Kläger weniger Arbeitsleistung erbracht habe als von ihm behauptet.

Auch könne sich die Beklagte nicht damit herausreden, sie könne die Arbeit des Klägers nicht kontrollieren. Denn dies sei anhand des Fahrtenschreibers unproblematisch möglich. Könne sie die Aussagen des Klägers aber nicht widerlegen, müsse sie grundsätzlich die eingeklagten Überstunden zahlen.

Zu den Überstunden zählte das Gericht auch die Be-und Entladezeiten. Denn während der Be-und Entladezeit könne der Kläger nicht frei über seine Zeit verfügen. So sei es notwendig, dass der Kläger sich für das Beladen des LKW in eine Warteschlange einreihe. Er könne in dieser Zeit keine Pause machen, deshalb sei auch diese Zeit zu vergüten. Damit folgte das Gericht im Ergebnis auch der gewerkschaftlichen Argumentation, die diesen Anspruch aus Europarecht ableitet.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.12.2016 – Aktenzeichen 5 AZR 362/16 (Überstundenprozess Darlegungs- und Beweislast)

5. Mindestlohn

Da das Mindestlohngesetz erst im Jahre 2015 in Kraft getreten ist, waren viele Detailfragen noch zu klären. Darunter auch die Frage, ob der Mindestlohn als Berechnungsgröße für Zuschläge zu Grunde zu legen ist. Das Bundesarbeitsgericht entschied diese Frage im Fall einer Metallerin im Sinne der Beschäftigten.

Die Montagemitarbeiterin hatte auf korrekte Vergütung von Nachtzuschlägen und auf Urlaubsentgelt geklagt und wurde in allen Instanzen vom DGB Rechtsschutz vertreten

Nachtzuschläge und Urlaubsentgelt sind auf Basis des Mindestlohns zu berechnen

Die Klägerin hat einen tariflichen Anspruch auf Nachtzuschlag in Höhe von 25 % des „tatsächlichen Stundenverdienstes“ gemäß Tarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie. Diesen Zuschlag berechnete der Arbeitgeber auf der Basis eines ursprünglich vereinbarten Stundenlohns von 7 Euro, also 8,75 Euro.

Dieser Berechnung widersprach die Klägerin. Nach ihrer Rechnung war der tatsächliche Stundenlohn der gesetzliche Mindestlohn, damals 8,50. Ein niedrigerer Lohn als der Mindestlohn sei nicht denkbar. Die Klägerin machte daher ein Entgelt von 10,62 Euro pro Stunde geltend (8,50 x 25 %).

Das Bundesarbeitsgericht folgte dieser Ansicht: Sehe ein Tarifvertrag einen Nachtarbeitszuschlag vor, der auf den tatsächlichen Stundenverdienst zu zahlen ist, sei auch dieser mindestens aus dem gesetzlichen Mindestlohn zu berechnen. Der Arbeitgeber dürfe nicht auf die vertraglich vereinbarte niedrigere Vergütung zurückgreifen.

Der tarifliche Nachtarbeitszuschlag und auch das tarifliche Urlaubsentgelt müssten nach den Bestimmungen des Tarifvertrags ebenfalls mindestens auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns von seinerzeit 8,50 Euro berechnet werden, da dieser Teil des „tatsächlichen Stundenverdienstes“ im Sinne des MTV sei.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.09.2017 - Aktenzeichen 10 AZR 171/16

Betriebsverfassungsrecht

Die DGB Rechtsschutz GmbH vertritt nicht nur einzelne Gewerkschaftsmitglieder, sondern auch Betriebsräte in ihren Rechtsstreitigkeiten.

Das Betriebsverfassungsrecht regelt unter anderem Form und Umfang der Mitbestimmung im Betrieb. Streit gibt es vor allem über die Einhaltung der Strukturen, die Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder und um die Reichweite einzelner Beteiligungsrechte.

1. "Diskontinuität" des Betriebsrats

In dem Verfahren, in dem es inhaltlich um den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds ging, hat sich das Bundesarbeitsgericht grundlegend mit dem Wesen des Gremiums beschäftigt. Dies „entsteht“ nach jeder Wahl neu, ähnlich wie der Deutsche Bundestag.

Ein Mitglied des Betriebsrats kann aus diesem ausgeschlossen werden, wenn es seine gesetzlichen Pflichten grob verletzt hat und dies der Betriebsrat, mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Arbeitgeber oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft beantragen.

In dem Fall hatte ein Teil der Belegschaft beantragt, die damalige Betriebsratsvorsitzende aus dem Betriebsrat zu entfernen, und hatte damit vor dem Arbeitsgericht zunächst Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hingegen hat den Antrag abgelehnt. Daher wurde nun das Bundesarbeitsgericht angerufen.

Während des laufenden Verfahrens fand im Jahr 2014 eine turnusgemäße Betriebsratswahl statt. Die Vorsitzende, um deren Ausschluss sich das Verfahren dreht, wurde wieder in den Betriebsrat gewählt, verlor nur ihre Funktion als Vorsitzende. Die Antragsteller erklärten daraufhin, der Ausschließungsantrag beziehe sich auch auf den im Jahre 2014 neu gewählten Betriebsrat.

Das Bundesarbeitsgericht wies die Anträge auf Entfernung zurück. Es unterschied dabei zwischen dem Ausschluss aus dem Betriebsrat 2010, der noch zu Beginn des Verfahrens im Amt war und dem neu gewählten Betriebsrat 2014.

Denn im Ergebnis gehe es um den Ausschluss aus zwei unterschiedlichen Betriebsräten. Der neu gewählte Betriebsrat sei mit seinem Vorgänger nämlich nicht identisch. Er sei keine Dauereinrichtung, sondern bestehe nur für die Dauer seiner Amtszeit.

Infolge dessen konnte der Antrag auf Entfernung aus dem Betriebsrat 2010 keinen Erfolg haben. Da dieser nach Ablauf seiner Amtszeit nicht mehr bestand, gab es aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts kein hinreichendes Rechtsschutzinteresse mehr in Bezug auf den Antrag.

In Bezug auf den Ausschluss aus dem Betriebsrat 2014 sah das Bundesarbeitsgericht eine unzulässige Erweiterung und lehnte auch diesen als unzulässig ab. Denn grundsätzlich sind im Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht Erweiterungen nicht zulässig, die das Verfahren erweitern.

Das Verfahren würde aber um die Frage erweitert, inwiefern Pflichtverletzungen aus vorangegangenen Amtszeiten den Ausschluss aus dem Betriebsrat begründen können. Dieser neue Aspekt sei bislang noch nicht thematisiert. Der Antrag sei deshalb unzulässig.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.05.2016 – Aktenzeichen 7 ABR 81/13 (Ausschluss aus Betriebsratsgremium, prozessual)

2. Ausschluss aus dem Betriebsrat

Mit der Frage, inwieweit Pflichtverletzungen aus vorangegangenen Amtszeiten den Ausschluss aus dem Betriebsrat begründen können, konnte sich das Bundesarbeitsgericht in einem späteren Verfahren beschäftigen. Es kam zu dem Ergebnis, dass eine Pflichtverletzung, die während einer vorangegangenen Amtszeit begangen wurde, den Ausschluss aus dem neu gewählten Betriebsrat nicht rechtfertige.

Bei der Arbeitgeberin bestanden seit einiger Zeit Überlegungen, Geschäftsanteile an eine andere Firma zu veräußern. Als sich diese Überlegungen verfestigten, informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat. Sie nannte den Namen der Kaufinteressentin und wies auf die – ihrer Ansicht nach - absolute Vertraulichkeit der Information hin. In der Betriebsverfassung ist höchst strittig, ob solche Informationen, die Arbeitnehmer unmittelbar angehen, überhaupt Geheimnisschutz genießen können. Zahlreiche Entscheidungen lehnen dies ab.

Trotz des Hinweises brachte deshalb ein Mitglied des Betriebsrats bei einem Treffen der ver.di-Betriebsgruppe den möglichen Verkauf zur Sprache, bei einer Betriebsversammlung nannte das Mitglied auch den Namen der potentiellen Erwerberin. Die Arbeitgeberin beantragte daraufhin den Ausschluss aus dem Betriebsrat, zwei Wochen nach dem Antrag wurde das Mitglied in den neuen Betriebsrat gewählt.

Einen Ausschluss des Mitglieds aus dem neu gewählten Betriebsrat könne der Arbeitgeber nicht verlangen, so das Bundesarbeitsgericht. Es stützte diese Einschätzung auf systematische Erwägungen: Die Amtszeit beginne „mit der Wahl“ und ende mit Ablauf der Amtszeit. Daraus werde deutlich, dass das Gesetz die Mitgliedschaft eng an das jeweilige für die Dauer seiner Amtszeit bestehende Betriebsratsgremium binde.

Wenn ein Mitglied rechtskräftig aus dem Betriebsrat entfernt wurde, könne es bei der nächsten Wahl wieder kandidieren. Die Wählbarkeit sei deshalb nicht eingeschränkt. Das zeige, dass das Gesetz die Konsequenzen betriebsverfassungsrechtlicher Pflichtverletzungen auf die jeweilige Amtsperiode begrenze. Es soll nur ein Mindestmaß gesetzmäßigen Verhaltens in der Zukunft sicherstellen und keine Strafe für vergangenes Verhalten sein.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 27.07.2016 – Aktenzeichen 7 ABR 14/15 (Ausschluss aus Betriebsratsgremium)

3. Elf Stunden Ruhezeit auch für Betriebsratsmitglieder

Eine wichtige Aufwertung der Rolle der Betriebsräte brachte die Entscheidung zur Ruhezeit für Betriebsratsarbeit. Das Bundesarbeitsgericht hat darin festgelegt, dass hinsichtlich der Betriebsratstätigkeit eine Ruhezeit von elf Stunden einzuhalten ist.

Bundesarbeitsgericht bestätigt Freistellungsanspruch für Betriebsräte im Schichtdienst

Betriebsräte haben Anspruch auf angemessene Ruhezeit

Geklagt hatte ein Schichtarbeiter, der gleichzeitig Mitglied des Betriebsrats war. In der Nacht vom 16. Juli auf den 17. Juli 2013 war er für die Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr eingeteilt, wobei er von 2:30 Uhr bis 3:00 Uhr eine Pause machen sollte. Am 17. Juli 2013 nahm er von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr an einer Betriebsratssitzung teil.

Im Hinblick auf die Betriebsratssitzung beendete er die Nachtschicht schon um 2:30 Uhr ein. Weil er nach Ende der Pause um 3:00 Uhr nicht wieder zur Arbeit erschienen war, wurden ihm entsprechend weniger Stunden auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Die Stundendifferenz klagte er nun ein.

Das Bundesarbeitsgericht gab ihm Recht. Als Betriebsratsmitglied sei der Kläger von seiner beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn eine außerhalb der Arbeitszeit liegende erforderliche Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht hat.

Bei der Frage, ob die Arbeitsleistung unzumutbar ist, müssten die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes beachtet werden, nach denen dem Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden zu gewähren ist.

Gleiches müsse auch für die Betriebsratsarbeit gelten. Wenn der Kläger also um 13 Uhr eine Betriebsratssitzung habe, so wäre es unzumutbar, wenn er bis 6:00 Uhr früh arbeitet, weil dann die Ruhezeit nicht eingehalten wäre. Spätestens ab 3:00 Uhr bestehe deshalb ein Anspruch auf bezahlte Freistellung.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.01.2017 – Aktenzeichen 7 AZR 224/15 (Betriebsratsarbeit ist Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitgesetzes)

4. Leiharbeiter zählen bei Freistellung mit

In der vom Centrum erwirkten Entscheidung zur Berechnung der Anzahl der Freistellungen für Betriebsratsmitglieder hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung fortentwickelt, wonach auch Leiharbeiter zu den „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmern zählen und bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten mitzuzählen sind. Die Entscheidung stärkt zugleich die Betriebsräte, wie auch die Leiharbeiter.

Der fragliche Betrieb beschäftigte im Durchschnitt über eineinhalb Jahre etwa 490 Stammmitarbeiter und knapp 20 Leiharbeitnehmer. Erst beim Erreichen des Schwellenwertes von über 500 Mitarbeitern ist nach dem Betriebsverfassungsgesetz ein zweites Betriebsratsmitglied freizustellen.

Dieser würde aber nur erreicht, wenn man die Leiharbeiter mitzählt, was der Arbeitgeber verneinte. Das Bundesarbeitsgericht entschied dagegen, dass nach Sinn und Zweck der Schwellenwerte die in der Regel beschäftigten Leiharbeitnehmer mitzuzählen seien.

Die bisherige Rechtsprechung, nach der nur solche Arbeitnehmer mitzählen, die beim Arbeitgeber selbst beschäftigt und in dessen Organisation eingebunden sind, sei in Fällen des drittbezogenen Personaleinsatzes nicht sachgerecht. Denn die Leiharbeiter seien im Verleihbetrieb nicht eingegliedert, zum Entleihbetrieb bestehe keine vertragliche Bindung.

Der Wortlaut stehe einem solchen Ergebnis nicht entgegen, da die Formulierung „in der Regel“ nur zufällige Ergebnisse bei schwankender Beschäftigtenzahl ausschließen wolle. Diese Gefahr sei bei langfristig eingesetzten Leiharbeitern nicht gegeben.

Vor allem spreche der Sinn und Zweck der Vorschrift für eine Einbeziehung der Leiharbeitnehmer: Die gestaffelte Freistellung je nach Größe der Belegschaft diene einer effektiven Betriebsratsarbeit. Je größer die Belegschaft, desto mehr Aufwand habe der Betriebsrat.

Dieser Arbeitsaufwand werde nicht nur durch die Stammbelegschaft, sondern auch durch die Leiharbeitnehmer bestimmt. Diese dürften die Sprechstunden des Betriebsrats besuchen und individuelle Beschwerden vorbringen und hierzu Betriebsratsmitglieder zur Unterstützung heranziehen. Ihr Einsatz sei als personelle Einzelmaßnahme mitbestimmungspflichtig, auch bei sozialen Angelegenheiten habe der Betriebsrat für diese das Mitbestimmungsrecht wahrzunehmen.

Dieser Mehraufwand rechtfertige, auch Leiharbeitnehmer bei der Freistellung mitzuzählen, so dass im zu entscheidenden Fall ein weiteres Mitglied vollständig freizustellen war.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.01.2017 – Aktenzeichen 7 ABR 60/15 (Leiharbeiter zählen bei Freistellung mit)

Tarifvertragsrecht

Tarifverträge sind eine Besonderheit des Arbeitsrechts. Auf Basis der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit setzen die Tarifvertragsparteien Recht, das verbindlich für ihre Mitglieder wirkt. Diese besondere Form privatrechtlicher Normsetzung führt zu Auslegungsschwierigkeiten eigener Art und ist immer wieder Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzung.

1. Diskriminierung durch gestaffelten Urlaubsanspruch

So enthalten manche Tarifverträge Leistungen, deren Höhe sich nach dem Lebensalter richtet, etwa beim Erholungsurlaub. Eine solche Unterscheidung als Diskriminierung wegen des Alters unzulässig, wie das Bundesarbeitsgericht in einem vom Centrum vertretenen Fall für den wichtigen Bereich des TVöD entschieden

Altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer diskriminiert jüngere Beschäftigte

Geklagt hatte eine Mitarbeiterin des öffentlichen Dienstes, die zum Zeitpunkt der Klage 38 Jahre alt war. Sie forderte für das zurückliegende und das laufende Jahr jeweils einen weiteren Urlaubstag aus dem Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung.

Für ihr Arbeitsverhältnis galt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), der die Beschäftigungsverhältnisse der Angestellten des Bundes und der Kommunen regelt. Nach diesem Tarifvertrag stand ihr ein Urlaubsanspruch von 29 Arbeitstagen zu, weil sie das 30., aber noch nicht das 40. Lebensjahr vollendet hatte. Erst nach Vollendung des 40. Lebensjahrs sah der Tarifvertrag einen Anspruch von 30 Tagen vor.

Das Bundesarbeitsgericht sprach ihr für die beiden Jahre jeweils einen weiteren Urlaubstag zu. Die Differenzierung der Urlaubsdauer nach dem Lebensalter benachteilige Beschäftigte, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unmittelbar und verstoße damit gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters.

Eine solche Differenzierung sei auch nicht damit zu rechtfertigen, dass ältere Menschen ein gesteigertes Erholungsbedürfnis hätten. Jedenfalls im Hinblick auf die im Tarifvertrag vorgesehenen Altersgrenzen von 30 und 40 Jahren sei ein solches gesteigertes Erholungsbedürfnis von Beschäftigten bereits ab dem 30. bzw. 40. Lebensjahr ließe sich kaum begründen. Rechtsfolge der Diskriminierung sei logischerweise eine Angleichung nach oben, weshalb jüngeren Beschäftigten wie der Klägerin nun der volle Tarifurlaub zustehe.

Auf Basis dieser Entscheidung hat das Centrum weitere erfolgreiche Verfahren gegen diskriminierende Urlaubsstaffelungen in Tarifverträgen geführt. So beispielsweise gegen den Hotelbetreiber Maritim, der Urlaub auf Basis des Manteltarifvertrags für das Hotel- und Gaststättengewerbe gewährte.

Der Tarifvertrag sah eine Schwelle bei Vollendung des 50. Lebensjahres vor (BAG, 9 AZR 330/159). Im Verfahren gegen HELIOS (BAG, 9 AZR 53/15, 9 AZR 695/15) kam es nicht zu einer Entscheidung, weil die Beklagte die Revision zurückzog.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.03.2012 – Aktenzeichen 9 AZR 529/10 Altersdiskriminierung durch gestaffelten Urlaub nach einem Tarifvertrag

2. Auslegung Gebäudereiniger-Tarifvertrag

Immer wieder sind Gerichte auch damit befasst, von den Tarifvertragsparteien verwendete Begriffe mit Leben zu füllen. So hat das Bundesarbeitsgericht darüber zu entscheiden, ob eine Spülkraft in einem Labor „Unterhaltungsarbeiten“ im Sinne des Tarifvertrags für Gebäudereiniger-Handwerk ausübt.

DGB Rechtsschutz setzt Tariflohn durch

Die Spülkraft war Mitglied der IG BAU und zu einem vertraglich vereinbarten Stundenlohn von 7,30 Euro beschäftigt. Sie verlangte von ihrer Arbeitgeberin eine Entlohnung nach dem Tarifvertrag des Gebäudereiniger-Handwerks entsprechend einem Stundenlohn von seinerzeit 8,15 Euro bzw. 8,40 Euro.

Beide Vertragsparteien waren tarifgebunden. Streitig war nur, ob die Klägerin „Innen- und Unterhaltungsarbeiten“ ausübt, was die beklagte Arbeitgeberin bestritt. Die Klägerin legte im Verfahren da, dass sie von den Labor-Beschäftigten benutzte Gläser, Reagenzgläser, Kolben und Zylinder aus Glas viermal an jedem Arbeitstag einsammle, die Utensilien mit einer Industriespülmaschine reinige, und diese danach wieder ausräume und am jeweils nächsten Arbeitstag die gereinigten Gegenstände wieder in die Labore bringe.

Damit erbrachte sie nach Überzeugung des Bundesarbeitsgerichts „Innen- und Unterhaltungsarbeiten“
 Im Sinne des Tarifvertrags. Danach sind Unterhaltungsarbeiten fortlaufende und kontinuierlich auszuführende Reinigungsarbeiten seien, die dem Erhalt, dem Schutz und der Pflege von Gegenständen dienen.

Diese Arbeiten bezögen sich aber nicht nur auf die Gebäude selbst, sondern auch auf die Ausstattung, die zum bestimmungsgemäßen Gebrauch und damit zur Raumausstattung gehören. Das seien im Falle des Labors die von der Klägerin genannten Gegenstände. Erst die Reinigung der Gegenstände durch die Klägerin ermögliche ihre weitere ordnungsgemäße Nutzung. Damit gewährleiste die Klägerin Erhalt, Schutz und Pflege der Gegenstände.

Damit hatte die Laborspülkraft Anspruch auf tarifliche Entlohnung nach dem Tarifvertrags für Gebäudereiniger-Handwerk inklusive des tariflichen Urlaubsgeldes.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.01.2013 – Aktenzeichen 4 AZR 272/11 (Anwendbarkeit des Gebäudereiniger-TV)

3. Anforderung an Satzung bei OT-Mitgliedschaft

Zu den unerfreulichen Phänomenen des Tarifvertragsrechts gehört die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung. Das Bundesarbeitsgericht lässt zu, dass Unternehmen sich Verbänden anschließen und deren Leistungen nutzen können, ohne gleichzeitig der Tarifbindung zu unterfallen. Gleichzeitig setzt das Bundesarbeitsgericht einer solchen Praxis Grenzen, indem es eine strikte Trennung von tarifgebundenen und nicht-tarifgebundenen Unternehmen fordert und hierfür die Satzung des Verbandes prüft.

Im dem vom Centrum vertretenen Fall hatte ein Mitarbeiter auf Zahlung einer tariflichen Jahressonderzahlung geklagt. Diese hatte seine Arbeitgeberin, ein Unternehmen der Abfall- und Entsorgungswirtschaft, mit Hinweis auf die nicht (mehr) vorliegende Tarifbindung nicht gezahlt, sondern nur einen geringeren Betrag.

Die Arbeitgeberin war zunächst Vollmitglied im Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft e.V. gewesen. Nach einer Satzungsänderung war in diesem Verein auch eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung im sogenannten „Wirtschaftsverband“ möglich. Die Beklagte wechselte im Jahre 2002 in diese Mitgliedsform.

Sie gewährte in den Folgejahren nur eine reduzierte Jahressonderzahlung. Nach dem Tarifvertrag betrug diese 75% eines Monatsentgelts. Der Kläger klagte die Differenz zwischen erhaltenem und tariflichem Sonderentgelt ein und berief sich darauf, die Arbeitgeberin sei nach wie vor tarifgebunden. Das Bundesarbeitsgericht sprach ihm das Differenzentgelt zu.

Zwar sei eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung möglich, diese unterliege jedoch weiteren juristischen Voraussetzungen. Es genüge nicht, die Rechtsfolge der Bindung an den Tarifvertrag auszuschließen. Vielmehr müsse gewährleistet sein, dass die OT-Mitglieder keinerlei Einfluss auf tarifpolitische Entscheidungen haben. Dies erstrecke sich auch auf das passive und aktive Wahlrecht.

Um feststellen zu können, ob die geforderte strikte Trennung tatsächlich vorliegt, überprüft das Bundesarbeitsgericht die Satzung des Arbeitgeberverbandes. Diese, und nicht die tatsächliche Praxis ist entscheidend. Im vorliegenden Fall genügte die Satzung den Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts nicht.

Eine klare Trennung fehle schon deshalb, weil dem Vorstand, zu dessen Aufgaben die Auswahl der Mitglieder der Tarifkommission zählt, nicht ausschließlich tarifgebundene Mitglieder angehören müssen. Damit können OT-Mitglieder über die Besetzung der Tarifkommission mitentscheiden.

Weiterhin sei es Aufgabe des Verbandspräsidenten, die Große Tarifkommission zu leiten, ohne dass die Satzung dieses Amt für OT-Mitglieder versperrt. Rein tatsächlich könnte also ein OT-Mitglied Leiter der Großen Tarifkommission sein.

Nachdem die Tarifbindung also nicht wirksam ausgeschlossen war, blieb sie für die Beklagte bestehen, so dass der Kläger Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung hat.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.01.2015 – Aktenzeichen 4 AZR 797/13 - (OT-Mitgliedschaft – Anforderungen an die Verbandssatzung)

4. Auslegung von Fachbegriffen bei technischem Wandel

Ein weiteres Problem bei der Auslegung von Tarifverträgen besteht darin, dass die Tarifvertragsparteien konkrete Sachverhalte regeln, etwa bei der Eingruppierung, und diese dann später nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Das Bundesarbeitsgericht hat sich festgelegt, dass eine veränderte Bewertung aufgrund des technischen Wandels jedenfalls nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen darf

DGB Rechtsschutz setzt - zeitgemäße - Eingruppierung durch

Eine medizinisch-technische Radiologieassistentin hatte auf tarifliche Entlohnung geklagt. Als Mitglied der Gewerkschaft ver.di richtete sich diese nach einem zwischen ver.di und ihrem Arbeitgeber geschlossenen Tarifvertrag.

Alle Tarifverträge galten rückwirkend ab dem 1. Januar 2011. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesarbeitsgericht erhielt die Klägerin eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 6, Stufe 3 gemäß dem Entgelt-TV. Sie begehrte eine Vergütung nach Entgeltgruppe 8, da sie im Bereich der Computertomographie (CT) bei Schichtaufnahmen in 3-D mitwirke und mit Spezialgeräten arbeite.

Die Arbeitgeberin hatte eine solche Vergütung abgelehnt: Die Klägerin sei nicht an „Spezialgeräten“ zur Schichtaufnahme in 3-D tätig. Man müsse bedenken, dass sich der Tarifvertrag in seinen Beschreibungen auf den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) aus dem Jahre 1971 beziehe. Damals seien Schichtaufnahmen in 3-D noch Neuheiten gewesen, heute seien sie üblich.

Das Bundesarbeitsgericht erteilte dieser Wertung eine Absage: Das CT sei ein Spezialgerät zur Anfertigung von Schichtaufnahmen in 3-D. Für die Auslegung des Begriffs „Spezialgerät“ im Tarifvertrag sei entscheidend, was die Tarifvertragsparteien bei Vertragsschluss im Jahre 1971 im hatten. Da das Standardgerät damals noch das Röntgengerät war, mit dem nur zweidimensionale Aufnahmen möglich waren, sei der von der Klägerin verwendete CT ein „Spezialgerät“, weil mit diesem auch 3-D Aufnahmen möglich sind.

Die Gerichte dürften tarifvertragliche Regelungen nicht wegen der fortschreitenden technischen Entwicklung anders auslegen, wenn Wortlaut und Gesamtzusammenhang keinen Anlass hierzu bieten, da dies ein Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie darstelle.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.03.2016 – Aktenzeichen 4 AZR 502, 503/14 – (Eingruppierung öD Auslegung von verwendeten Fachbegriffen bei technischem Wandel)

Sozialrecht

Das Sozialrecht regelt im Wesentlichen die Ansprüche der Versicherten gegen die Träger der Sozialversicherung, also Renten-, Kranken-, Arbeitslosen-, Pflege- und Unfallversicherung. Daneben spielen auch Verfahren für schwerbehinderte Menschen und Leistungsbezieher nach SGB II („Hartz IV“) eine große Rolle.

Im Sozialrecht hat das Centrum mehrfach Musterprozesse begleitet, die sogar zu Gesetzesänderungen geführt haben.

1. Hartz IV-Regelsätze

So hat auch das Centrum Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelsätzen nach SGB II („Hartz IV“) geführt.

Die Regelsätze waren im Zuge der sogenannten „Hartz-Reformen“ pauschal festgelegt worden, besondere Bedürfnisse wurden nur noch in sehr engen Grenzen anerkannt.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelsätze für verfassungswidrig erklärt, weil sie willkürlich bemessen waren. Die Regelsätze bei „Hartz IV“ sichern das sozio-kulturelle Minimum, das jedem Menschen nach dem Sozialstaatsgebot zusteht.

Zur Ermittlung des Anspruchsumfangs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.

Da er dies nicht getan hatte, erklärte das Verfassungsgericht die Regelsätze für verfassungswidrig, da eine verfassungskonforme Anpassung nicht Sache des Gerichts, sondern des Gesetzgebers sei. Der Gesetzgeber war zu Änderungen gezwungen.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 09.02.2010 - Aktenzeichen 1 BvL 1/09 

2. Bedarfsgemeinschaft

Einer der neuen Begriffe, den die Hartz-Gesetzbebung mit sich gebracht hat, ist die „Bedarfsgemeinschaft“. Liegt eine solche vor, so werden die erzielten Einkommen gegenseitig angerechnet. Das Centrum hat eins von mehreren Verfahren geführt, in denen das Bundessozialgericht den Begriff präzisiert und von der Ehe abgegrenzt hat.

Die Leistungsbezieherin lebte mit dem Vater der gemeinsamen Tochter in einer Wohnung. Da es keine hinreichenden Beweise dafür sah, dass die beiden mittlerweile nicht mehr als Paar, sondern nur noch als Wohngemeinschaft zusammen lebe, nahm das Landessozialgericht eine Bedarfsgemeinschaft an.

In der Begründung berief es sich auf eine Vorschrift aus dem Familienrecht, nach der die Gatten eine Trennung nachweisen müssen. Das Bundessozialgericht entschied dagegen, dass diese Regelung auf eheähnliche Gemeinschaften grade nicht angewendet werden dürfen. Die Vorinstanz habe einen falschen Maßstab angelegt.

Richtigerweise bestehe keine dahingehende Vermutung, dass Menschen, die zusammen leben, eine Bedarfsgemeinschaft darstellen. Das Gesetz sehe vielmehr vor, dass eine solche in Form der Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft anhand von Indizien im Wege einer Gesamtwürdigung festzustellen sind. Insbesondere müssten Leistungsberechtigte, die irgendwann mal als Bedarfsgemeinschaft zusammen gelebt haben, keinen „nach außen erkennbaren Trennungswillen“ dokumentieren.

Das heißt, dass Jobcenter und Gerichte für den jeweiligen Bewilligungszeitraum eine Bedarfsgemeinschaft nachweisen müssen, wenn sie das Einkommen verrechnen wollen. Dadurch, dass das Bundessozialgericht die entsprechende Anwendung der familienrechtlichen Vorschrift verneint, sind die Leistungsbezieher nicht in der Beweispflicht.

Bundessozialgericht, Urteil vom 12.10.2016 - Aktenzeichen B 4 AS 60/15 R

3. Krankengeldfalle

Auch bei der sogenannten „Krankengeldfalle“ konnte eine gesetzliche Änderung erwirkt werden. In diese Fall gerieten Versicherte, die ihre Erkrankung nicht fortlaufend dokumentiert hatten.

Nach der Gesetzeslage mussten sie spätestens am „letzten Tag der Krankmeldung“ eine Folgebescheinigung besorgen, also an dem Tag, an dem sie noch krankgeschrieben waren, nicht erst an dem Tag, für den keine Bescheinigung mehr vorlag, wie dies nach dem gesunden Menschenverstand vielleicht nahegelegen hätte.

Endete die Vorbescheinigung an einem Sonntag, war der Arztbesuch am Montag also schon zu spät.

Krankengeld: BSG bleibt hart bei Nachweispflicht fortlaufender Arbeitsunfähigkeit

Da diese Regelung auch vielen Ärzten unbekannt war, schrieben sie oft falsch krank und setzten ihre Patienten erheblichen Problemen aus.

Auch aufgrund des Drucks, den DGB, IG Metall und das Centrum in dieser Frage aufgebaut hatten, konnte diese Falle entschärft werden. Jetzt reicht eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch am Folgetag, wenn der letzte Tag der Krankheit auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt.

Weiterbewilligung von Krankengeld – einem misslichen Umstand wird abgeholfen
§ 46 SGB V neue Fassung

4. Betriebsfeier

Eine Verbesserung konnte das Centrum für Beschäftigte auch im Hinblick auf die nun bald wieder anstehenden Weihnachtsfeiern erreichen. Durch eine Änderung der Rechtsprechung wurde der Unfallschutz bei Arbeitsunfällen ausgeweitet.

Bisher galt dieser nur dann, wenn die Weihnachtsfeier oder eine andere Gemeinschaftsveranstaltung „im Einvernehmen“ mit der Unternehmensleitung stattfand und außerdem ein Repräsentant der Unternehmensleitung persönlich an der Veranstaltung teilnahm.

Die zweite Voraussetzung hat das BSG in der vom Centrum erwirkten Entscheidung aufgegeben, so dass jetzt auch solche Veranstaltungen dem Schutz der Unfallversicherung unterliegen, bei denen kein Mitglied der Geschäftsführung (mehr) anwesend ist.

Bundessozialgericht gibt langjährige Rechtsprechung zur Betriebsfeier auf

Betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen stehen nach Überzeugung des BSG unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, weil durch sie das Betriebsklima gefördert und der Zusammenhalt der Beschäftigten untereinander gestärkt wird.

Dieser Zweck werde auch erreicht und gefördert, wenn kleinere Untergliederungen eines Betriebes Gemeinschaftsveranstaltungen durchführen. Die Teilnahme der Betriebsleitung oder des Unternehmers persönlich sei hierfür nicht erforderlich.

Bundessozialgericht, Urteil vom 05.07.2016 - Aktenzeichen B 2 U 19/14 R

5. Künstlersozialversicherung

Im Rechtsstreit für eine kommunalpolitisch engagierte Journalistin konnte das Centrum erreichen, dass diese trotz ehrenamtlicher Tätigkeit in der Kommunalpolitik ihren Sozialversicherungsschutz bei der Künstlersozialversicherung behält.

Die Klägerin war als freiberufliche Journalistin tätig und darüber hinaus im Stadtrat ihrer Gemeinde engagiert, zuletzt als Fraktionsvorsitzende ihrer Partei. Aufgrund dieses Engagements erhielt sie Sitzungsgelder, Aufwandsentschädigungen und Verdienstausfall im Umfang von durchschnittlich etwa 20.000 Euro im Jahr, die sie als Einnahmen aus "sonstiger selbstständiger Tätigkeit" versteuerte.

Die Künstlersozialkasse, bei der die Fraktionsvorsitzende kranken- und pflegeversichert war, stellte daraufhin fest, dass kein Versicherungsschutz mehr bestehe, weil sie Einkünfte aus einer erwerbsmäßig ausgeübten selbstständigen Tätigkeit erziele. Die Kommunalpolitikerin klagte gegen den Bescheid, blieb aber in allen Instanzen erfolglos.

Das Bundessozialgericht entschied dagegen, dass das kommunalpolitische Engagement nicht als selbstständige Tätigkeit zu qualifizieren ist. Die Sitzungsgelder, Aufwandsentschädigungen und der Ersatz des Verdienstausfalls als selbstständige Publizistin berühre den Status der Klägerin als Versicherte der Künstlersozialversicherung nicht, weil sie das kommunalpolitische Mandat als Ratsmitglied rein ehrenamtlich und damit nicht "erwerbsmäßig" ausübe.

Ein Ende der Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung solle nur dann eintreten, wenn eine andere selbstständige Tätigkeit auf den "Broterwerb" gerichtet sei. Dagegen sei eine Tätigkeit als Ratsfrau ehrenamtlich und damit grundsätzlich unentgeltlich. Jedenfalls solle es nicht zum Verlust des Sozialversicherungsschutzes führen.

Bundessozialgericht, Urteil vom 18.02.2016 - Aktenzeichen B 3 KS 1/15 R

6. Rente mit 63

Schließlich koordiniert und begleitet das Centrum derzeit Musterverfahren zur Frage, ob die Ausnahmevorschrift bezüglich der erforderlichen 45 Beitragsjahren bei der Rente mit 63 verfassungsgemäß ist.

Rente mit 63: Ausnahme verfassungswidrig? – Ratgeber für Betroffene

Bei dieser Wartezeit von 45 Beitragsjahren sind solche Zeiten nicht anzurechnen, in denen Versicherte in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn arbeitslos waren. Etwas anderes gilt nur, wenn die Arbeitslosigkeit aus einer Insolvenz oder Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers resultiert.

Mit dieser Ausnahme wollte der Gesetzgeber Missbrauch verhindern. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten es nicht in der Hand haben, durch gemeinschaftliches Zusammenwirken, etwa durch Aufhebungsvertrag, das Arbeitsverhältnis so zu beenden, dass der Arbeitnehmer nach zweijährigem Bezug von Arbeitslosengeld in Rente geht („Rente mit 61“).

In den Musterverfahren geht es um Fallgestaltungen, in denen ein solches Zusammenwirken nicht vorliegt, sondern das Arbeitsverhältnis aus sachlichen Gründen gekündigt wurde. Die Auswahl der Fälle macht deutlich, dass es einen bunten Strauß von Situationen gibt, in denen es willkürlich wäre, dem Versicherten eine Rente zu versagen.

Besonders deutlich ist dies dann, wenn der Arbeitnehmer vor der Arbeitslosigkeit in einer Transfergesellschaft beschäftigt war, weil der Arbeitgeber in großem Umfang Personal abgebaut hat. Auch eine betriebsbedingte Kündigung bei Stilllegung ganzer Fertigungsbereiche mit Kündigung aller Beschäftigten fällt wohl nicht unter den Bereich missbräuchlichen Verhaltens.

In einigen Fällen können die Arbeitnehmer ihre Beschäftigung auch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, auch hier ist ein Missbrauch fernliegend. Ziel der Verfahren ist, auch den Beschäftigten, die in den zwei Jahren vor Renteneintritt Arbeitslosengeld bezogen haben, eine Rente mit 63 zu verschaffen.

siehe hierzu auch:

Rente mit 63 – Bundessozialgericht weist Klagen wegen fehlender Beitragszeiten ab

Verwaltungsrecht

Im Verwaltungsrecht vertritt das Centrum in erster Linie Beamtinnen und Beamte in Streitigkeiten gegen ihre Dienstherren. Von besonderer Relevanz waren zwei Verfahren, in denen die Beamten Ausgleich für geleistete Mehrarbeit verlangt hatten.

1. Mehrarbeitsausgleich 1:1

In dem einen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass geleistete Mehrarbeit auch in Gestalt von Bereitschaftsdienst im selben Umfang auszugleichen ist, wie sie tatsächlich angefallen ist, also 1:1

Freizeitausgleich für Mehrarbeit in Form von Bereitschaftsdienst im Verhältnis „1 zu 1“

Geklagt hatte ein Polizist, der im Rahmen eines Einsatzes in Gorleben mehrere Tage lang in permanenter Einsatzbereitschaft war. Er hatte diese jedoch nicht voll angerechnet bekommen, obwohl die erforderliche Mehrarbeit anordnet, vermerkt, gutgeschrieben und abgezeichnet worden war.

Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass auch die Einsatzbereitschaft wie reguläre Mehrarbeit zu behandeln und entsprechend auszugleichen sei. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass die maßgebliche Vorschrift eine Differenzierung nach Mehrarbeit in Volldienst oder Bereitschaftsdienst nicht nahelege.

Vor allem aber diene der Freizeitausgleich nicht nur dazu, eine Regeneration des Beamten zu ermöglichen, sondern habe in erster Linie den Zweck, die Einhaltung der regelmäßigen Arbeitszeit jedenfalls im Gesamtergebnis zu gewährleisten. Dies erfordere einen vollen Ausgleich.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.11.2016 - Aktenzeichen 2 C 21.15

2. Unionswidrige Mehrarbeit

In dem zweiten Fall hat das Bundesverwaltungsgericht der Klage mehrerer Feuerwehrbeamter stattgegeben, die einen Ausgleich für unionsrechtswidrige Mehrarbeit gefordert hatten.

Anspruch auf Freizeitausgleich für unionsrechtswidrige Mehrarbeit

Der vom Centrum vertretene Feuerwehrmann hatte sich, wie seine Kollegen, bereit erklärt, über die Höchstarbeitszeit hinaus bis zu 56 Stunden pro Woche zu arbeiten. Dies war nach einer Verordnung des Landes Brandenburg möglich. Er war der Ansicht, dass diese Verordnung gegen Unionsrecht verstößt.

Das Bundesverwaltungsgericht gab ihm, wie auch seinen Kollegen recht. Offenkundig verletzten die Rechtsverordnungen das in der EU-Arbeitszeitrichtlinie geregelte Benachteiligungsverbot, wonach keinem Arbeitnehmer Nachteile daraus entstehen dürfen, wenn dieser nicht bereit ist, mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentageszeitraums zu arbeiten.

Einen solchen Nachteilsausgleich enthielt die Verordnung des Landes seinerzeit nicht. Unerheblich sei auch, dass die Kommune als Dienstherr des Feuerwehrmannes keinen Einfluss auf die Verordnung gehabt habe.

Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.7.2017 – Aktenzeichen 2 C 32.16

Europarecht

Auch auf europäischer Ebene hat das Centrum wichtige Entscheidungen erwirken können, insbesondere vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH).

1. Kein Urlaubsverlust bei Wechsel von Vollzeit in Teilzeit

Der EuGH hat das deutsche Arbeitsrecht, auch und vor allem im Bereich des Urlaubsrechts, grundlegend verändert. Etwa durch den Fall „Brandes“. Die Klägerin Bianca Brandes war Angestellte des Landes Niedersachsen und Mitglied der Gewerkschaft ver.di.

Ursprünglich war sie in Vollzeit fünf Tage in der Woche beschäftigt. Sie wurde dann schwanger und kehrte mit einem Resturlaub von 22 Tagen an ihre Arbeitsstelle zurück, allerdings in Teilzeit für drei Tage in der Woche. Ihr Arbeitgeber kürzte daraufhin ihren Urlaubsanspruch entsprechend.

Das Arbeitsgericht hielt diese Umrechnung für europarechtswidrig und legte die Frage deshalb dem Gerichtshof der Europäischen Union vor. Dieser entschied im Sinne der Klägerin

Kein Urlaubsverlust nach Wechsel von Vollzeit zu Teilzeit

Dabei wiederholte der Gerichtshof der Europäischen Union, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einen Grundsatz des Sozialrechts der Union darstelle und daher nicht restriktiv ausgelegt werden dürfe.

Im Fall Brandes bedeute das, dass es keine Auswirkung auf den Umfang des einmal erworbenen Urlaubsanspruchs habe, wenn der Urlaub zu einem Zeitpunkt genommen werde, in dem der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit verringert habe. Eine Kürzung dürfe daher nicht erfolgen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat damit bestätigt, dass der Urlaub als bezahlter Freistellungsanspruch in dem Umfang zu gewähren ist, in dem er erworben wurde. Ein Wechsel von Vollzeit in Teilzeit führt also nicht zu einer Verringerung des in Zeiten der Vollzeit erworbenen Urlaubsanspruchs. Im Folgenden haben sich deutsch Arbeitsgerichte bis zum Bundesarbeitsgericht dieser Rechtsprechung angeschlossen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.09.2016 - Aktenzeichen 9 AZR 53/14 (F)

Gerichtshof der Europäischen Union, Beschluss vom 13.06.2013 - Aktenzeichen C-415/12 (Bianca Brandes/Land Niedersachsen)

2. Deutsch-Österreichische Altersteilzeit

Ebenfalls um eine Frage der Teilzeitarbeit ging es im Fall Larcher. Hier entschied der EuGH, dass ein Arbeitnehmer bei der Altersteilzeit nicht diskriminiert werden darf, weil er in verschiedenen Ländern gearbeitet hat

Deutsch – Österreichische Altersteilzeit vor dem EuGH

Der Kläger war österreichischer Staatsangehöriger und wohnte in Österreich. Gearbeitet hatte er über 40 Jahre sowohl in Österreich als auch in Deutschland. Zum Ende seines Erwerbslebens hatte er mit seinem damaligen österreichischen einen Altersteilzeitvertrag geschlossen.

Bei Eintritt in die Altersrente wurden für die Zeit der Altersteilzeit jedoch nur die Beitragszeiten in Österreich berücksichtigt. Als er daraufhin auch in Deutschland Rente beantragte, wurde diese mit der Begründung abgelehnt, die Altersteilzeit sei nicht nach deutschem Recht durchgeführt worden. Auf seine Klage hin legte schließlich das Bundessozialgericht den Fall dem EuGH vor.

Dieser sah in der Nichtgewährung der Rente einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Der Kläger werde diskriminiert, weil er in nicht nur einem Mitgliedstaat gearbeitet habe.

Hätte er ausschließlich in Österreich gearbeitet, hätte er vorgezogene Rente in voller Höhe in Österreich bezogen. Ebenso, wenn er nur in Deutschland gearbeitet hätte. Die Tatsache, dass er sein Grundrecht auf Freizügigkeit verwirklicht hat, dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 18.12.2014 - Aktenzeichen C-523/13 (Walter Larcher/ Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd)

3. Dynamische Bezugnahmeklausel bei Betriebsübergang

Im Asklepios-Fall hatte sich der EuGH mit der Frage zu beschäftigen, ob eine arbeitsvertragliche Klausel, die auf einen Tarifvertrag „in der jeweils gültigen Fassung“ verweist, auch dann noch gilt, wenn der Arbeitsvertrag auf einen Betriebserwerber übergeht

Gewerkschaftliches Centrum gewinnt vor dem Europäischen Gerichtshof

Die beiden ver.di-Mitglieder, die vom Centrum vertreten wurden, waren zunächst bei einem kommunalen Klinikum beschäftigt gewesen, dieses wurde dann auf eine private GmbH ausgegründet. Um dennoch zu gewährleisten, dass sie in den Genuss der tariflichen Lohnentwicklung kommen, erhielten sie einen neuen Arbeitsvertrag, der auf die Tarifverträge, „in der jeweils gültigen Fassung“ verwies.

Die Firma Asklepios, auf die die GmbH später übergegangen war, wollte die Tariferhöhungen nicht mehr zahlen. An den Tarifvertrag fühlte sich Asklepios nicht gebunden, weil ja keine Möglichkeit bestehe, auf diesen einzuwirken.

Der EuGH widersprach dieser Ansicht. Die Bindung bestehe fort und die Arbeitnehmer hätten Anspruch auf die Tariferhöhungen. Die dynamische Bezugnahmeklausel sei Inhalt des Arbeitsvertrages und könne damit nicht vom Arbeitgeber einseitig außer Kraft gesetzt werden.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 27.04.2017 - Aktenzeichen C 680/15, C 681/15 (Asklepios/Felja und Graf)

4. Überlange Verfahrensdauer

Auch vor dem Europäischen Gerichthof für Menschenrechte in Straßburg, der über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention wacht, hat das Centrum erfolgreich Verfahren geführt. Von besonderer Relevanz waren dabei zwei Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer.

Zu den Grundsätzen eines fairen Prozesses, den die EMRK in Artikel 6 statuiert gehört auch, dass ein Verfahren „innerhalb angemessener Frist“ zu verhandeln ist, die Gerichte sich also nicht unbegrenzt Zeit lassen dürfen. Dahinter steht die Erwägung, dass auch durch langsame Verfahren das Recht vereitelt werden kann.

Zwei ver.di-Mitglieder hatten bereits langjährige Sozialrechtsstreitigkeiten geführt, als sie aufgrund der erheblichen Verfahrensdauer vor dem Landessozialgericht eine Beschwerde vor dem Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte erhoben. Der Prozessvertreter des Centrums rügte den Verstoß gegen das Verbot der überlangen Verfahrensdauer (Nr. 62202/11 Pappalardo/Deutschland; Nr. 280/12 Gensik/Deutschland).

Der Europäische Gerichtshof hat die Beschwerden nur deshalb zurückgewiesen, weil der deutsche Gesetzgeber im Laufe des Verfahrens einen eigenen Entschädigungsanspruch im Gerichtsverfassungsgesetz geschaffen hatte § 198 Gerichtsverfassungsgesetz

Damit sah der Europäische Gerichtshof einen hinreichenden Schutz durch das nationale Recht als gewährleistet an, so dass er in der Sache nicht mehr zu entscheiden habe. Erfolgreich waren die Verfahren dennoch, weil die beiden ver.di-Mitglieder nach der oben genannten Vorschrift eine Entschädigung für die überlangen Verfahrensdauer erhalten haben.

Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.02.2013 – Aktenzeichen L 12 SF 3/12 EK AL