1. Hartz IV-Regelsätze
So hat auch das Centrum Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelsätzen nach SGB II („Hartz IV“) geführt.
Die Regelsätze waren im Zuge der sogenannten „Hartz-Reformen“ pauschal festgelegt worden, besondere Bedürfnisse wurden nur noch in sehr engen Grenzen anerkannt.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelsätze für verfassungswidrig erklärt, weil sie willkürlich bemessen waren. Die Regelsätze bei „Hartz IV“ sichern das sozio-kulturelle Minimum, das jedem Menschen nach dem Sozialstaatsgebot zusteht.
Zur Ermittlung des Anspruchsumfangs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.
Da er dies nicht getan hatte, erklärte das Verfassungsgericht die Regelsätze für verfassungswidrig, da eine verfassungskonforme Anpassung nicht Sache des Gerichts, sondern des Gesetzgebers sei. Der Gesetzgeber war zu Änderungen gezwungen.
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 09.02.2010 - Aktenzeichen 1 BvL 1/09
2. Bedarfsgemeinschaft
Einer der neuen Begriffe, den die Hartz-Gesetzbebung mit sich gebracht hat, ist die „Bedarfsgemeinschaft“. Liegt eine solche vor, so werden die erzielten Einkommen gegenseitig angerechnet. Das Centrum hat eins von mehreren Verfahren geführt, in denen das Bundessozialgericht den Begriff präzisiert und von der Ehe abgegrenzt hat.
Die Leistungsbezieherin lebte mit dem Vater der gemeinsamen Tochter in einer Wohnung. Da es keine hinreichenden Beweise dafür sah, dass die beiden mittlerweile nicht mehr als Paar, sondern nur noch als Wohngemeinschaft zusammen lebe, nahm das Landessozialgericht eine Bedarfsgemeinschaft an.
In der Begründung berief es sich auf eine Vorschrift aus dem Familienrecht, nach der die Gatten eine Trennung nachweisen müssen. Das Bundessozialgericht entschied dagegen, dass diese Regelung auf eheähnliche Gemeinschaften grade nicht angewendet werden dürfen. Die Vorinstanz habe einen falschen Maßstab angelegt.
Richtigerweise bestehe keine dahingehende Vermutung, dass Menschen, die zusammen leben, eine Bedarfsgemeinschaft darstellen. Das Gesetz sehe vielmehr vor, dass eine solche in Form der Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft anhand von Indizien im Wege einer Gesamtwürdigung festzustellen sind. Insbesondere müssten Leistungsberechtigte, die irgendwann mal als Bedarfsgemeinschaft zusammen gelebt haben, keinen „nach außen erkennbaren Trennungswillen“ dokumentieren.
Das heißt, dass Jobcenter und Gerichte für den jeweiligen Bewilligungszeitraum eine Bedarfsgemeinschaft nachweisen müssen, wenn sie das Einkommen verrechnen wollen. Dadurch, dass das Bundessozialgericht die entsprechende Anwendung der familienrechtlichen Vorschrift verneint, sind die Leistungsbezieher nicht in der Beweispflicht.
Bundessozialgericht, Urteil vom 12.10.2016 - Aktenzeichen B 4 AS 60/15 R
3. Krankengeldfalle
Auch bei der sogenannten „Krankengeldfalle“ konnte eine gesetzliche Änderung erwirkt werden. In diese Fall gerieten Versicherte, die ihre Erkrankung nicht fortlaufend dokumentiert hatten.
Nach der Gesetzeslage mussten sie spätestens am „letzten Tag der Krankmeldung“ eine Folgebescheinigung besorgen, also an dem Tag, an dem sie noch krankgeschrieben waren, nicht erst an dem Tag, für den keine Bescheinigung mehr vorlag, wie dies nach dem gesunden Menschenverstand vielleicht nahegelegen hätte.
Endete die Vorbescheinigung an einem Sonntag, war der Arztbesuch am Montag also schon zu spät.
Krankengeld: BSG bleibt hart bei Nachweispflicht fortlaufender Arbeitsunfähigkeit
Da diese Regelung auch vielen Ärzten unbekannt war, schrieben sie oft falsch krank und setzten ihre Patienten erheblichen Problemen aus.
Auch aufgrund des Drucks, den DGB, IG Metall und das Centrum in dieser Frage aufgebaut hatten, konnte diese Falle entschärft werden. Jetzt reicht eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch am Folgetag, wenn der letzte Tag der Krankheit auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt.
Weiterbewilligung von Krankengeld – einem misslichen Umstand wird abgeholfen
§ 46 SGB V neue Fassung
4. Betriebsfeier
Eine Verbesserung konnte das Centrum für Beschäftigte auch im Hinblick auf die nun bald wieder anstehenden Weihnachtsfeiern erreichen. Durch eine Änderung der Rechtsprechung wurde der Unfallschutz bei Arbeitsunfällen ausgeweitet.
Bisher galt dieser nur dann, wenn die Weihnachtsfeier oder eine andere Gemeinschaftsveranstaltung „im Einvernehmen“ mit der Unternehmensleitung stattfand und außerdem ein Repräsentant der Unternehmensleitung persönlich an der Veranstaltung teilnahm.
Die zweite Voraussetzung hat das BSG in der vom Centrum erwirkten Entscheidung aufgegeben, so dass jetzt auch solche Veranstaltungen dem Schutz der Unfallversicherung unterliegen, bei denen kein Mitglied der Geschäftsführung (mehr) anwesend ist.
Bundessozialgericht gibt langjährige Rechtsprechung zur Betriebsfeier auf
Betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen stehen nach Überzeugung des BSG unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, weil durch sie das Betriebsklima gefördert und der Zusammenhalt der Beschäftigten untereinander gestärkt wird.
Dieser Zweck werde auch erreicht und gefördert, wenn kleinere Untergliederungen eines Betriebes Gemeinschaftsveranstaltungen durchführen. Die Teilnahme der Betriebsleitung oder des Unternehmers persönlich sei hierfür nicht erforderlich.
Bundessozialgericht, Urteil vom 05.07.2016 - Aktenzeichen B 2 U 19/14 R
5. Künstlersozialversicherung
Im Rechtsstreit für eine kommunalpolitisch engagierte Journalistin konnte das Centrum erreichen, dass diese trotz ehrenamtlicher Tätigkeit in der Kommunalpolitik ihren Sozialversicherungsschutz bei der Künstlersozialversicherung behält.
Die Klägerin war als freiberufliche Journalistin tätig und darüber hinaus im Stadtrat ihrer Gemeinde engagiert, zuletzt als Fraktionsvorsitzende ihrer Partei. Aufgrund dieses Engagements erhielt sie Sitzungsgelder, Aufwandsentschädigungen und Verdienstausfall im Umfang von durchschnittlich etwa 20.000 Euro im Jahr, die sie als Einnahmen aus "sonstiger selbstständiger Tätigkeit" versteuerte.
Die Künstlersozialkasse, bei der die Fraktionsvorsitzende kranken- und pflegeversichert war, stellte daraufhin fest, dass kein Versicherungsschutz mehr bestehe, weil sie Einkünfte aus einer erwerbsmäßig ausgeübten selbstständigen Tätigkeit erziele. Die Kommunalpolitikerin klagte gegen den Bescheid, blieb aber in allen Instanzen erfolglos.
Das Bundessozialgericht entschied dagegen, dass das kommunalpolitische Engagement nicht als selbstständige Tätigkeit zu qualifizieren ist. Die Sitzungsgelder, Aufwandsentschädigungen und der Ersatz des Verdienstausfalls als selbstständige Publizistin berühre den Status der Klägerin als Versicherte der Künstlersozialversicherung nicht, weil sie das kommunalpolitische Mandat als Ratsmitglied rein ehrenamtlich und damit nicht "erwerbsmäßig" ausübe.
Ein Ende der Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung solle nur dann eintreten, wenn eine andere selbstständige Tätigkeit auf den "Broterwerb" gerichtet sei. Dagegen sei eine Tätigkeit als Ratsfrau ehrenamtlich und damit grundsätzlich unentgeltlich. Jedenfalls solle es nicht zum Verlust des Sozialversicherungsschutzes führen.
Bundessozialgericht, Urteil vom 18.02.2016 - Aktenzeichen B 3 KS 1/15 R
6. Rente mit 63
Schließlich koordiniert und begleitet das Centrum derzeit Musterverfahren zur Frage, ob die Ausnahmevorschrift bezüglich der erforderlichen 45 Beitragsjahren bei der Rente mit 63 verfassungsgemäß ist.
Rente mit 63: Ausnahme verfassungswidrig? – Ratgeber für Betroffene
Bei dieser Wartezeit von 45 Beitragsjahren sind solche Zeiten nicht anzurechnen, in denen Versicherte in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn arbeitslos waren. Etwas anderes gilt nur, wenn die Arbeitslosigkeit aus einer Insolvenz oder Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers resultiert.
Mit dieser Ausnahme wollte der Gesetzgeber Missbrauch verhindern. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten es nicht in der Hand haben, durch gemeinschaftliches Zusammenwirken, etwa durch Aufhebungsvertrag, das Arbeitsverhältnis so zu beenden, dass der Arbeitnehmer nach zweijährigem Bezug von Arbeitslosengeld in Rente geht („Rente mit 61“).
In den Musterverfahren geht es um Fallgestaltungen, in denen ein solches Zusammenwirken nicht vorliegt, sondern das Arbeitsverhältnis aus sachlichen Gründen gekündigt wurde. Die Auswahl der Fälle macht deutlich, dass es einen bunten Strauß von Situationen gibt, in denen es willkürlich wäre, dem Versicherten eine Rente zu versagen.
Besonders deutlich ist dies dann, wenn der Arbeitnehmer vor der Arbeitslosigkeit in einer Transfergesellschaft beschäftigt war, weil der Arbeitgeber in großem Umfang Personal abgebaut hat. Auch eine betriebsbedingte Kündigung bei Stilllegung ganzer Fertigungsbereiche mit Kündigung aller Beschäftigten fällt wohl nicht unter den Bereich missbräuchlichen Verhaltens.
In einigen Fällen können die Arbeitnehmer ihre Beschäftigung auch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, auch hier ist ein Missbrauch fernliegend. Ziel der Verfahren ist, auch den Beschäftigten, die in den zwei Jahren vor Renteneintritt Arbeitslosengeld bezogen haben, eine Rente mit 63 zu verschaffen.
siehe hierzu auch:
Rente mit 63 – Bundessozialgericht weist Klagen wegen fehlender Beitragszeiten ab