DGB Rechtsschutz wehrt unberechtigte Rückforderung von ALG II-Bezügen in Höhe von 15.000 Euro ab.
DGB Rechtsschutz wehrt unberechtigte Rückforderung von ALG II-Bezügen in Höhe von 15.000 Euro ab.

Die berufstätige Mandantin wohnte gemeinsam mit ihrer Tochter in einer kleinen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Weil ihr Einkommen nicht zum Leben reichte, erhielt sie vom Jobcenter ergänzende Leistungen als Aufstockerin.

Jobcenter fordert 15.000 Euro zurück

Im Mai 2014 teilte die Mandantin dem Jobcenter mit, dass sie zum Juni 2014 ein Mann in die Wohnung aufgenommen habe. Da sie mit diesem nun eine Bedarfsgemeinschaft bildete, stellte das Jobcenter die Leistungen ein.

Im Februar 2016 forderte das Jobcenter von der Mandantin einen Betrag in Höhe von 15.000 Euro. Hierbei handelte es sich um die Leistungen an die Mandantin und ihre Tochter für den Zeitraum von Februar 2012 bis Mai 2014.

Angeblich habe der Mitbewohner der Klägerin, mit dem sie inzwischen verheiratet ist, nicht erst seit Juni 2014, sondern schon seit Februar 2012 bei ihr gewohnt. Die Bedarfsgemeinschaft habe schon seitdem bestanden, daher habe sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen für diesen Zeitraum gehabt und müsse sie zurückzahlen.

Living next door to…

Das Jobcenter war, wohl aufgrund einer Meldeabfrage, zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mandantin und ihr späterer Ehemann seit Februar 2012 unter derselben Adresse gemeldet waren. Es erschien dem Jobcenter daher logisch, eine Bedarfsgemeinschaft der Beiden anzunehmen.

Bei dem fraglichen Haus handelte es sich jedoch um ein Mehrfamilienhaus mit mehreren räumlich abgetrennten Wohneinheiten. Tatsächlich hatte der spätere Ehemann seit Anfang 2012 in einem anderen Teil dieses Hauses gelebt, hatte dann die Mandantin kennengelernt und war später zu ihr gezogen.

Als das Jobcenter die Mandantin zur Zahlung aufforderte und ihr Vollstreckung androhte, wendete sie sich im April 2016 an das örtliche Büro der DGB Rechtsschutz GmbH.

Bescheid war bestandskräftig

Zu diesem Zeitpunkt war der Rückforderungsbescheid jedoch schon bestandskräftig, weil die betroffene Mandantin nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch gegen den Bescheid erhoben hatte. Wenn ein Bescheid bestandskräftig ist, kann man ihn in der Regel nicht mehr angreifen, die Mandantin hätte also die 15.000 Euro zahlen müssen.

Hier jedoch kam eine Sonderregelung des Sozialrechts ins Spiel, die nur Juristen kennen, die regelmäßig im Sozialrecht tätig sind. Denn hier ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass die Behörde beim Erlass von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist.

Mit diesem Überprüfungsantrag konnte also das Jobcenter dazu gezwungen werden, den Rückforderungsbescheid noch einmal zu überprüfen.

Jobcenter muss Bescheid überprüfen

Das Jobcenter befragte daraufhin erstmals die weiteren im Haus wohnenden Parteien, die zum Teil bezeugen konnten, dass der jetzige Ehemann zuvor in einer anderen Wohnung gelebt hatte. Außerdem konnte die Mandantin nachweisen:


  • Den Umzug innerhalb des Hauses durch eine dezidierte Aufstellung der Gegenstände, die sie gemeinsam von einer Wohnung in die andere getragen haben.
  • Den Beginn der gemeinsamen Lebensführung erst ab Sommer 2014 durch Vorlage diverser Rechnungen von Baumarkt und Möbelgeschäften.
  • Ebenso durch den Kaufbeleg über ein Doppelbett erst Anfang 2015.


Daraufhin nahm das Jobcenter den Rückforderungsbescheid zurück und setzte die Forderungshöhe gegen die Mandantin auf Null. Die Forderung in Höhe von 15.000 Euro gegen die Mandantin ist damit aus der Welt.

Anmerkung zum Überprüfungsantrag

Der Überprüfungsantrag nach dem Sozialgesetzbuch ist eine der wenigen Möglichkeiten, gegen bestandskräftige Bescheide vorzugehen. Mit diesem Instrument durchbricht der Gesetzgeber das Prinzip der Rechtssicherheit zu Gunsten des Sozialstaatsprinzips.

Anders als bei Bescheiden aus dem sonstigen öffentlichen Recht kann die angeordnete Rechtsfolge auch dann wieder beseitigt werden, wenn die hierfür vorgesehene Frist abgelaufen ist. Entscheidend ist, dass die Sozialbehörde das Recht falsch angewendet hat oder unrichtige Tatsachen zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht hat.

Rechtsvertreter, die im Sozialrecht nicht spezialisiert sind und diese Vorschrift nicht kennen, hätten die Mandantin hier möglicherweise fehlerhaft beraten und ihr mitgeteilt, dass sie gegen den bestandskräftigen Bescheid nichts mehr machen kann.

Aber was für den abwasserrechtlichen Gebührenbescheid oder die polizeirechtliche Beseitigungsanordnung gilt, gilt eben aufgrund des Sozialstaatsprinzips nicht für Bescheide der Sozialbehörden. Es kann daher von existenzieller Bedeutung sein, auch im Sozialrecht einen fachkundigen Experten einzuschalten.

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Rechtliche Grundlagen

§ 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch "Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes"

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X)

§ 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.