Nicht alles ist während der Krankheit verboten – schnell mal ein paar Pizzakartons verladen schadet in der Regel nicht. Copyright by Adobe Stock/malkovkosta
Nicht alles ist während der Krankheit verboten – schnell mal ein paar Pizzakartons verladen schadet in der Regel nicht. Copyright by Adobe Stock/malkovkosta

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln erklärte die Kündigung eines Lageristen für unwirksam, den sein Vorgesetzter während der Arbeitsunfähigkeit bei einer Tätigkeit beobachtet hatte.
 

Arbeit in der Pizzeria während Krankheit?

Der klagende Arbeitnehmer war im September 2019 für etwa zwei Wochen arbeitsunfähig krankgeschrieben.
 
An einem Sonntag während der Arbeitsunfähigkeit beobachtete der Vorgesetzte, wie der Lagerist in einer Pizzeria Pizzakartons zuerst in einer Styroporbox verstaute und diese anschließend in ein Auto verlud. In der Folgewoche war der Kläger weiterhin krankgeschrieben.
 
Nach der Rückkehr aus der Krankheit stellte die Arbeitgeberin den Kläger zur Rede und hörte anschließend den Betriebsrat zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung an. Der Kläger sei tatsächlich überhaupt nicht krank gewesen, sondern habe sich durch eine falsche Arbeitsunfähigkeit die Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung erschlichen. Deshalb bestehe der dringende Verdacht, dass der Kläger insgesamt an vielen Tagen eine Nebentätigkeit für die Pizzeria ausgeübt habe.
 
Selbst wenn er arbeitsunfähig gewesen sein sollte, so habe er mit seiner Tätigkeit in der Pizzeria seine Genesung gefährdet und sich damit ebenfalls pflichtwidrig verhalten. Außerdem habe er die Nebentätigkeit nicht angezeigt.
 

Kläger: kurzfristige, unentgeltliche Gefälligkeit

Der Kläger widersprach dieser Darstellung entschieden. Er sei tatsächlich krank gewesen und habe sich an dem fraglichen Tag nur etwa 15 Minuten in der Pizzeria aufgehalten und einen Kaffee getrunken, während er auf seine Pizza gewartet habe.
 
Der Inhaber der Pizzeria sei ein Freund von ihm. Da dieser sehr im Stress gewesen sei habe er die Wartezeit dazu genutzt, kurz ein paar befüllte Pizzakartons in eine Styroporbox zu stellen und diese in ein vor der Pizzeria geparktes Auto zu verladen.
 
Das Ganze habe nur etwa 10 Minuten gedauert und sei ein reiner Freundschaftsdienst gewesen. Geld habe er dafür keines erhalten.
 

Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Ist im Kündigungsschutzprozess streitig, ob der/die Arbeitnehmer*in tatsächlich arbeitsunfähig war, geht es zwischen den Parteien wie beim Pingpong hin und her. Juristisch spricht man von einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast.
 
Das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit um Entgeltfortzahlung zu erschleichen kann eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Wenn allerdings eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit vorliegt, so hat diese regelmäßig einen hohen Beweiswert. Das Gericht geht zugunsten der Beschäftigten davon aus, dass die Bescheinigung inhaltlich korrekt ist.
 
Der Arbeitgeber kann die Bescheinigung also nicht etwa mit der Behauptung vom Tisch wischen, der Arbeitnehmer habe überhaupt nicht krank ausgesehen. Um den Beweiswert zu erschüttern, muss er vielmehr ausreichende Tatsachen darlegen, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass geben.
 

Arbeitgeber kann Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit erschüttern

Zweifel können beispielsweise aufkommen, wenn Beschäftigte verstärkt vor und nach dem Wochenende oder einem Urlaub beziehungsweise an Brückentagen arbeitsunfähig sind. Auch wenn sie während der Krankheit einer ähnlichen Arbeit nachgehen, spricht dies eher gegen eine Arbeitsunfähigkeit.
 
Kann der Arbeitgeber seine Zweifel plausibel darlegen, ist es wiederum Sache des Arbeitnehmers darzulegen, welche Erkrankungen zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen diese mit sich gebracht haben und welche Verhaltensweisen ihm ärztlicherseits auferlegt worden sind. Dazu wird er im Regelfall die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinden.
 
Erst dann ist wiederum der Arbeitgeber am Zug. Er hat die Möglichkeit, diesen Vortrag des Arbeitnehmers zu widerlegen.
 

LAG sieht Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit nicht als erschüttert an

Im Falle des LAG Köln war das juristische Pingpong jedoch kurz: Das Gericht sah den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die der Kläger für den gegenständlichen Zeitraum vorgelegt hatte, nicht als erschüttert an.
 
Allein die kurzfristige Tätigkeit des Klägers beim Einladen von Pizzakartons reiche hierfür nicht, zumal der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits eine Woche krankgeschrieben war. Aus dieser kurzen Tätigkeit könne man auch nicht schließen, dass der Kläger die Tätigkeit über einen längeren Zeitraum ausgeübt habe. Es handelt sich hier um eine reine Vermutung der Beklagten ohne jeden Beweis.
 
Die Beklagte habe also die Darstellung des Klägers, nur für etwa 10 Minuten auf Basis eines Freundschaftsdienstes ausgeholfen zu haben, nicht widerlegen können. Man könne aus dieser kurzzeitigen Tätigkeit auch nicht schließen, dass der Kläger in der Lage gewesen wäre, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit als Lagerist vollschichtig auszuüben.
 

Keine Gefährdung des Heilungserfolgs

Die Arbeitgeberin könne die Kündigung auch nicht auf genesungswidriges Verhalten des Arbeitnehmers stützen. Denn sie habe nicht schlüssig dargelegt, inwieweit der Kläger durch die Tätigkeit seinen Heilungserfolg gefährde.
 
Erst dann, wenn bewiesen sei, dass ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer seine Pflicht verletzt hat, alles zu unternehmen, um zu gesunden, und alles zu unterlassen, was diesem Prozess entgegenwirken könnte, sei eine Kündigung denkbar.
 
Da die Beklagte die Version des Klägers nicht habe widerlegen können, er habe nur auf Basis einer kurzfristigen Gefälligkeit gehandelt, komme auch eine Pflichtverletzung wegen Nichtanzeige einer Nebentätigkeit nicht in Betracht.
 
Links
 
Urteil des LAG Köln
 
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Krank für den bisherigen Job, aber für andere Tätigkeit gesund

Das sagen wir dazu:

Eine Kündigung wie aus dem Bilderbuch: Ein Vorgesetzter sieht seinen krankgeschriebenen Mitarbeiter in einer Situation, die man auf den ersten Blick als „Arbeit“ bezeichnen kann, hier beim Verladen von Pizzakartons. Aber wenn das geht, dann kann er ja auch „richtig“ arbeiten. Also steht ihm die Entgeltfortzahlung nicht zu. Betrug!

Es zählen Fakten, keine Spekulationen

Der Fall zeigt, wohin derlei Schnellschüsse führen. Denn die Tatsachenbasis ist dünn:

  • „Das macht er bestimmt schon seit letzter Woche“ – Spekulation!
  • „Der sieht doch eigentlich ganz gesund aus“ – Manche Krankheit sieht man den Menschen nicht an!
  • „Der kann auch bei uns vollschichtig arbeiten“ – wer mal einen Pizzakarton verlädt, kann noch lange nicht acht Stunden im Lager malochen!


Der Arbeitgeber weiß im Regelfall nicht, warum der Arbeitnehmer krankgeschrieben ist. Es sei denn, der Arbeitnehmer erzählt es ihm. Mit jeder Form von Rückschlüssen sollte man also vorsichtig sein.

Wer als Arbeitgeber also meint, wegen vermeintlichem Lohnbetrug oder Gefährdung des Genesungserfolgs das Arbeitsverhältnis kündigen zu wollen, der sollte schon etwas mehr vorzuweisen haben, als den flüchtigen Eindruck eines verärgerten Vorgesetzten.

Rechtliche Grundlagen

§ 626 BGB

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.