Ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) muss vom ernsthaften Bemühen des Arbeitgebers getragen sein.
Ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) muss vom ernsthaften Bemühen des Arbeitgebers getragen sein.


Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) von erkrankten Beschäftigten entwickelt sich zu einem immer wichtiger werdenden Konfliktfeld vor den Arbeitsgerichten.
 

„Ausgliederungsmanagement“ rechtfertigt Kündigung nicht

 
Die demografische Entwicklung und die über lange Zeit steigende Anzahl von Krankheitstagen speziell im psychischen und psychosomatischen Bereich machen seriöse Versuche zur Eingliederung unverzichtbar.
 
Immer häufiger wird das Eingliederungsmanagement auch zum Erfolgsfaktor im Kündigungsschutzprozess, weil die Versuche des Arbeitgebers, ein BEM durchzuführen, oft nicht ausreichen, um eine krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen.
 
In einem vom Arbeitsgericht Berlin rechtskräftig entschiedenen Fall fand kein ernst gemeintes Eingliederungsmanagement statt, sondern ein ausgrenzendes „Ausgliederungsmanagement“.
 

Arbeitgeber überzieht psychisch Kranken mit Kündigungen

 
Unter anderem wurde der in psychotherapeutischen Behandlung befindliche Kläger mit insgesamt fünf eindeutig unberechtigten Kündigungen überzogen und durfte im Keller arbeiten. Der Arbeitgeber machte sich dann auch nicht mehr die Mühe, die Kündigungen wegen angeblicher Pflichtverletzungen vor Gericht zu begründen.
 
Der Therapeut des Klägers bestätigte dem Gericht im zuletzt geführten Verfahren, dass die erheblichen Krankheitszeiten vor der letzten krankheitsbedingten Kündigung im Umfang von 515 Tagen in den letzten drei Jahren durch Personalverantwortliche des Arbeitgebers mitverursacht waren (Mobbing).
 
Ein zwei Jahre vor der letzten Kündigung eingeleitetes BEM, das der Herbeiführung der Kündigungsvoraussetzungen dienen sollte, reichte dem Arbeitsgericht jedoch nicht aus, um die Kündigung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung für berechtigt zu halten.
 

Arbeitsgericht vermisst Interaktion

 
Insbesondere hielt das Gericht es für irrelevant, dass der Kläger seinen Diagnosen nicht - so wie vom Arbeitgeber gewünscht - im BEM-Gespräch offenbart hatte.
 
Entscheidend sei, dass die Beklagte über einen längeren Zeitraum nichts Weiteres zur Eingliederung des Klägers unternommen habe. Sie habe nicht dargelegt, welche Maßnahmen oder Gesprächsansätze sie verfolgt habe, um zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und der Arbeitsplatz erhalten werden könne.
 
Eine bloße Anhörung des Arbeitnehmers reicht nach der Kammer des Arbeitsgericht für ein BEM nicht aus. Der Arbeitgeber müsse im Sinne einer Interaktion initiativ werden (hervorgehoben auch im Urteil).
 
Die fehlende Interaktion beim kollektiven Suchprozess führt nach Ansicht der Kammer zur Verlagerung von Darlegungslasten auf den Arbeitgeber, dies gilt insbesondere im Hinblick auf die häufig behauptete Nutzlosigkeit eines BEM.
 

Praxistipp

 
Durch die Entscheidung wird jetzt verdeutlicht, dass die Einleitung eines BEM durch Zeitablauf oder auch durch spätere Geschehnisse wie andere Kündigungen „verbraucht“ sein kann.
 
Ist der der Suchprozess durch den Arbeitgeber unseriös, etwa weil er auf den Abbruch des BEM durch den Beschäftigten gerichtet ist, sollte der Verlauf der Gespräche dokumentiert und zur Verwendung im Kündigungsschutzprozess gesichert werden.
 
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Urteil des Arbeitsgerichts Berlin


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Rechtliche Grundlagen

§ 84 SGB IX

Prävention

(1) Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.

(2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.

(3) Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter können Arbeitgeber, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern.