Erhalt des Arbeitsplatzes geht vor: Arbeitsgericht Detmold lässt krankheitsbedingte Kündigung als unverhältnismäßig scheitern
Erhalt des Arbeitsplatzes geht vor: Arbeitsgericht Detmold lässt krankheitsbedingte Kündigung als unverhältnismäßig scheitern

Die Fehlzeiten der 47-jährigen Montiererin sind hoch und liegen deutlich über 6 Wochen pro Jahr, wo die Rechtsprechung die Zumutbarkeitsgrenze ansetzt. 2013 fehlte sie das volle Kalenderjahr, in 2014 noch 42 Wochen und auch 2015 liefen 20 Wochen an. 

Krankheitsbedingte Kündigung mit Erfolg angegriffen

Nachdem der Arbeitgeber krankheitsbedingt kündigte, wandte sich das Gewerkschaftsmitglied an die IGM. Diese beauftragte den DGB Rechtsschutz in Detmold mit der rechtlichen Vertretung. Eine Kündigungsschutzklage beim örtlichen Arbeitsgericht erfolgte und verhalf der Klägerin zu ihrem Recht. 


Das Arbeitsgericht Detmold gab der Klage statt und erklärte die Kündigung für unwirksam. Es bestehe keine negative Prognose dahingehend, dass die Klägerin nicht innerhalb der nächsten 24 Monate wieder arbeitsfähig sein wird. Zudem scheiterte die Kündigung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht hinreichend dargelegt wurde

Prüfung der sozialen Rechtfertigung in drei Stufen 

Fraglich war hier schon, ob es bei der wiederkehrenden längeren Ausfallzeiten der Klägerin um eine langanhaltende Erkrankung handelte. Davon war der Arbeitgeber ausgegangen und hatte sich darauf berufen, dass bei Ausspruch der Kündigung völlig ungewiss gewesen sei, ob seine Mitarbeiterin innerhalb der nächsten 24 Monate genesen würde. 


Egal ob eine langanhaltende Erkrankung vorliegt oder häufige Kurzerkrankungen, muss die Prüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung in drei Schritten erfolgen. Zunächst ist eine negative Prognose in Bezug auf den zu erwartenden Gesundheitszustand erforderlich. Dies bedeutet, dass von weiterer häufiger oder andauernder Arbeitsunfähigkeit auszugehen wäre. In der zweiten Stufe müssten dann die voraussichtlichen Auswirkungen des Gesundheitszustandes – also die Fehlzeiten wegen Krankheit – zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. In der dritten und letzten Stufe sind diese Beeinträchtigungen abzuwägen mit den Interessen des betroffenen Arbeitnehmers. 

Prognose durch Erscheinen der Klägerin zur Arbeit widerlegt

Die Detmolder Richter*innen sahen keine langanhaltende Erkrankung, da die Klägerin zwischenzeitlich wieder gearbeitet hatte und dies über nicht unerhebliche Zeiträume. 


Damit sei die Prognose der Beklagten schon widerlegt. Der Arbeitgeber hatte sich nicht auf erhebliche Fehlzeiten berufen, sondern hatte die Kündigung darauf gestützt, dass mit einer Genesung der Klägerin nicht zu rechnen gewesen sei. Nach dem Bundesarbeitsgericht kann aber die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nur dann einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsfähigkeit gleichgestellt werden, wenn in absehbarer Zeit mit einer anderen als der negativen Prognose nicht zu rechnen ist. Und eben dies sah das Gericht als widerlegt an, weil die Klägerin zwischenzeitlich gearbeitet hatte. Auf die möglicherweise erheblichen Fehlzeiten kam es nicht an.


Die Frage der der möglicherweise dennoch bestehenden Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen, ließ das Gericht offen. 

Kündigung scheitert an der Verhältnismäßigkeit

Denn die Kündigung scheitere auch nach dem Prinzip des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, so die Richter*innen. Der Arbeitgeber habe nicht ausreichend dargelegt, dass er ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt hat. Das führt dazu, dass strenger Maßstäbe anzusetzen sind bei der Frage, ob es alternative leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten gibt und der Arbeitgeber diese ausreichend geprüft und dem Arbeitnehmer angeboten hat. 

Denn Sinn und Zweck der Regelung des § 84 Absatz 2 SGB IX ist die Verpflichtung des Arbeitgebers bei einer längeren Krankheit eines Beschäftigten die Möglichkeiten zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.

Der Erhalt des Arbeitsplatzes geht vor

Unterlässt der Arbeitgeber ein BEM oder führt dieses nicht ordnungsgemäß durch, macht das die Kündigung nicht unwirksam. Aber die Vorschriften über das BEM stellen eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Der Arbeitgeber muss darlegen, dass ihm ein milderes Mittel als eine Beendigungskündigung nicht zur Verfügung gestanden habe, um den betrieblichen Beeinträchtigungen zu begegnen. Als mildere Mittel kommen eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes in Betracht oder der Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz, der notfalls auch durch Versetzungen frei gemacht werden muss. Nur wenn der Arbeitgeber nachvollziehbar begründet, warum es solche Möglichkeiten nicht gibt, ein BEM also nutzlos wäre, ist sein Fehlen unschädlich. 

So lag der Fall hier aber eben nicht. Der Arbeitgeber hatte zum BEM nicht weiter vorgetragen, also auch nicht dazu, dass dieses keinen Erfolg gehabt hätte. Das Gericht machte deutlich, dass die Anforderungen hoch sind und jede alternative Anpassung des Arbeitsplatzes durchgespielt und jeder andere Arbeitsplatz in Betracht gezogen hätte werden müssen. Nur dann wäre der Arbeitgeber seiner Darlegungslast nachgekommen dazu, dass eine Beschäftigung der Klägerin auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz nicht möglich gewesen wäre.

Da dies nicht dargelegt wurde, stuften die Richter*innen die Kündigung als unverhältnismäßig ein.

Das Urteil ist rechtskräftig und die Klägerin wird weiterbeschäftigt.

Anmerkung der Redaktion zum betrieblichen Eingliederungsmanagement:

Auch wenn das BEM keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung ist, so stellt es doch ein wichtiges Instrument zum Schutz des Arbeitnehmers dar. Bei krankheitsbedingten Kündigungen lohnt sich immer ein genauer Blick, ob ein BEM durchgeführt wurde und in welcher Weise. Zum Beispiel kann bei einer neuen Fehlzeit nach einem durchgeführten Eingliederungsmanagement durchaus vor Ausspruch einer Kündigung ein neues BEM erforderlich sein, wenn eine andere Erkrankung mit anderen Einschränkungen vorliegt oder einfach nur ein gewisser Zeitraum vergangen ist. 

Informieren Sie sich allgemein zum BEM in unserem Glossareintrag zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement


Im Praxistipp: Sozialgesetzbuch (SGB IX) Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - § 84 SGB IX Prävention

Rechtliche Grundlagen

Sozialgesetzbuch (SGB IX) Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - § 84 SGB IX Prävention

Sozialgesetzbuch (SGB IX) Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - § 84 SGB IX Prävention

(1) Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
(2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.
(3) Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter können Arbeitgeber, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern.