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Globalisierung und menschenwürdige Arbeit – 100 Jahre Internationale Arbeitsorganisation

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag. Ziel der ILO ist es, auf internationaler Ebene Standards sozialer Gerechtigkeit sicherzustellen, indem sie Menschen- und Arbeitsrechte fördert und den Menschenhandel bekämpft. An der Universität Halle-Wittenberg fand jetzt eine Veranstaltung mit ausgewiesenen Fachleuten statt.

Unter dem Titel „Globalisierung und menschenwürdige Arbeit  - 100 Jahre ILO“ veranstaltete die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Kooperation mit DGB, DArbGV und der Stiftung Rechtsstaat Sachsen-Anhalt e.V. eine zweitägige Konferenz.

ILO  - 100 Jahren Jahre Kampf um menschenwürdige Arbeitswelt

Dazu hatten die Veranstalter - Prof. Dirk Hanschel, Prof. Katja Nebe und Prof. Daniel Ulber -internationale Expertinnen und Experten des Arbeitsvölkerrechts eingeladen. Gemeinsam mit einem interessierten Fachpublikum diskutierten sie über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Internationalen Arbeitsorganisation sowie deren Beitrag zu einer menschengerechten Gestaltung der Arbeitswelt.
 
Seit 100 Jahren kämpft die Internationale Arbeitsorganisation um eine menschenwürdige Arbeitswelt, indem sie versucht, internationale soziale Mindeststandards zu setzen. Ein solcher Ansatz ist notwendig, da auch die Unternehmen zunehmend globalisiert agieren.
 
Die Konferenz begann mit einem Empfang im historischen Löwengebäude der Martin-Luther-Universität, gefolgt von einigen einleitenden Worten von Prof. Dr. Daniel Ulber, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und Arbeitsrecht, der den Rahmen der Veranstaltung absteckte.

Festvortrag „100 Jahre ILO  - 100 Jahre Arbeitsvölkerrecht“

Den einleitenden Festvortrag hielt sodann Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schlachter, Rechtswissenschaftliche Direktorin des Instituts für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der Europäischen Union in Trier. Unter dem Titel „100 Jahre ILO, 100 Jahre Arbeitsvölkerrecht  - Entwicklungen, Probleme, Chancen“ verschaffte sie dem Publikum einen gelungenen Einstieg in das Thema.
 
An den Beginn setzte sie die Geburt der ILO als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg und das dadurch bedingte Selbstverständnis, nach dem nur soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Würde, wirtschaftliche Absicherung und Chancengleichheit den Frieden absichern können. Hinzu komme die kollektive Interessenvertretung und der Kampf gegen Armut.
 
Die Einzigartigkeit der ILO bestehe dabei darin, dass sie als völkerrechtliche Institution unter Beteiligung der Tarifvertragsparteien Recht setze und das Prinzip der Dreigliedrigkeit (Staaten, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände) konsequent beibehalte. Dies führe zu einer besonderen Legitimität bei der Normsetzung.
 
Neben dieser sei die Normüberwachung ein wichtiges Tätigkeitsfeld der ILO. Dabei unterscheide sich diese grundlegend von der Rechtsdurchsetzung im Nationalstaat. Denn anders als diese verfüge die ILO über keinerlei Zwangsmechanismen. Zudem kämen auch nicht allen Entscheidungen der ILO rechtlich bindender Charakter zu, viele seien auch nur unverbindliche Empfehlungen.
 
Gleichwohl wirke die ILO mit ihrer Normsetzung in Gestalt der völkerrechtskonformen Auslegung effektiv in nationales Recht hinein. Hinzu komme der politische Druck, den die ILO durch ihr ausgefeiltes Berichtswesen ausübe, nach dem Prinzip des „name and shame“, also einer offenen Benennung von Missständen.
 
Auch für die Zukunft sah Schlachter ein großes Betätigungsfeld für die ILO: Nach wie vor sei es nicht zielführend, die Probleme der globalisierten Wirtschaft mit nationalstaatlichen Mitteln zu bekämpfen. Eingriffe seien aber notwendig, um soziale Gerechtigkeit herzustellen und damit Kriege oder Revolutionen zu verhindern. Dies sei Aufgabe der ILO.

Podiumsdiskussion „ILO und Menschenrechte“

Im Anschluss an den Festvortrag beschäftigte sich eine Podiumsdiskussion mit dem Thema, inwieweit es Ziel und Aufgabe der ILO ist, Menschenrechte durchzusetzen. Dabei führte zunächst Prof. Dr. Dirk Hanschel, Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches, Europäisches und Internationales Öffentliches Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, in das Thema ein.
 
Es folgten Eingangsstatements von Prof. Dr. Eibe Riedel (Universität Mannheim, Emeritus für Deutsches und Ausländisches Öffentliches Recht, Völkerrecht, Europarecht und Rechtsvergleichung) und Lee Swepston (ehemaliger ILO Senior Advisor on Human Rights), wiederum gefolgt von einer lebhalten Diskussion.
 
Deutlich wurde dabei, dass sich die ILO selbst nicht nur als Organisation der Arbeit, sondern ebenso als Menschenrechtsorganisation sieht. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als dass auch menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu den Menschenrechten zählen.
 
Gleichzeitig gelingt es der ILO aber, in vielen Staaten Diskussionen um Menschenrechte gleichsam „durch die Hintertür“ einzuführen. Die Diskussion um allgemeine Menschenrechte blocken viele Staaten ab, da sie sich in die Rolle des Schurken gedrängt sehen.
 
Eine Diskussion um Arbeitsstandards ist demgegenüber viel leichter zu ertragen, da man diese auf einer eher rechtstechnischen Ebene ohne moralische Keule führen kann. Das Arbeitsvölkerrecht führt daher zu einer Versachlichung der Diskussion und ist eben deshalb oft besonders effizient.

Bryde: ILO als Vorreiterin im Völkerrecht

Noch vor der Mittagspause schloss sich Prof. Dr. Brun-Otto Bryde mit einem weiteren interessanten Aspekt an die Diskussion an. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht und Professor für Öffentliches Recht in Gießen beleuchtete die „asymmetrische Konstitutionalisierung von Wirtschaft und Arbeit“ im Völkerrecht.
 
Dabei habe die ILO eine Vorreiterrolle bei der globalen Implementierung von Arbeitnehmerrechten gespielt. Vor deren Gründung habe das Völkerrecht nur die Rechtsbeziehungen der Staaten untereinander geregelt  - Menschenrechte seien dem Völkerrecht entsprechend fremd gewesen.
 
Dies habe die ILO geändert: Sie sei die erste internationale Organisation mit politischer Zielsetzung und universellem Anspruch. Sie habe neue Verfahren entwickelt, die durch die Dreigliedrigkeit eine besondere demokratische Legitimation aufwiesen.
 
Bryde bedauerte, dass diese Leistung nicht genug gewürdigt werde. Dies liegt nach seiner Ansicht daran, dass die ILO für Völkerrechtler als etwas angesehen wird, um das sich Arbeitsrechtler kümmern sollen und für Arbeitsrechtler etwas, das Sache der Völkerrechtler ist.
 
Auch dürfe man sich nicht auf der Vorreiterrolle ausruhen. Am Beispiel anderer internationaler Organisationen wie der WTO, des IWF oder der Weltbank, die weniger auf demokratischer Legitimation als auf Macht aufbauen, zeigte Bryde auf, wie effektiv zwischenzeitlich auch diese Akteure handeln.

Die ILO und der Kampf um die Begrenzung der Arbeitszeit

Nach der Mittagspause führte Prof. Dr. Wolfhard Kohte, Direktor des Zentrums für Sozialforschung an der Universität Halle-Wittenberg, in das Thema Arbeitszeit ein. Er betonte die besondere Bedeutung dieses Themas, betrifft es doch den Kernbereich des arbeitsrechtlichen Synallagmas. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union hat in jüngster Vergangenheit verstärkt zu diesem Bereich geurteilt.
 
Die Brücke zum ILO-Arbeitszeitrecht schlug dann Rudolf Buschmann vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht in Kassel sowie Lehrbeauftragter für internationales Arbeitsrecht an der Universität Kassel. Schon die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (International Bill of Human Rights) habe eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit vorgesehen, auch die Versailler Verträge und die Präambel der ILO-Verfassung nähmen zur Frage der Arbeitszeit Stellung.
 
Buschmann gab einen erhellenden Überblick über die unterschiedlichen Konventionen und deren Umsetzung. Dabei verwies er auf eine Stellungnahme der deutschen Bundesregierung, wonach diese nur diejenigen Übereinkommen ratifizierte, für die im nationalen Recht auch die Umsetzung garantiert werden kann. Auch in der DDR sei der Umsetzungswille  - trotz gegenteiliger politischer Beteuerungen  - seinerzeit ebenfalls nur gering gewesen.
 
Diesen Umstand führte Buschmann auch auf das von ihm so genannte „Paradoxon der tripartistischen Rechtssetzung“ zurück: Danach sinke die Umsetzungsquote in dem Maße, in dem es um echte Verteilungsfragen gehe.

Die ILO als Arena im Kampf um Frauenrechte

Einen eher historischen Ansatz wählte Prof. Dr. Kirsten Scheiwe vom Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim: Moderiert von Prof. Dr. Katja Nebe, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit, referierte sie über das Leben dreier Frauen und deren Wirken im Rahmen der ILO in den 1920er Jahren.
 
Dabei lag ihr Schwerpunkt auf der Politikerin und Gewerkschafterin Gertrud Hanna. Die Buchdrucker-Hilfsarbeiterin hatte sich vor allem für die Rechte der Frauen sowie die Landarbeiter eingesetzt und fungierte bei der ILO als Beraterin. Für die SPD war sie bis zur Machtübernahme der Nazis Mitglied im preußischen Landtag.
 
Eher der bürgerlichen Frauenbewegung zuzurechnen ist Alice Salomon, die sich um die Professionalisierung der sozialen Arbeit verdient gemacht hat. Die promovierte Ökonomin war Mitbegründerin und Leiterin der sozialen Frauenschule Berlin, die junge Mädchen professionell und systematisch auf die soziale Hilfstätigkeit vorbereitete. Sie war auch im International Council of Women (ICW) aktiv.
 
Schließlich nannte Scheiwe die sozialdemokratische Staatswissenschaftlerin Erna Magnus, die sich insbesondere mit der Arbeitszeit der Hausangestellten beschäftigte. In ihrer Funktion als Wissenschaftlerin war sie mit der ILO in Kontakt gekommen.
 
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, welche besondere Rolle diese drei Frauen in einer seinerzeit von Männern geprägten Organisation spielten: Nicht einmal bei originären Frauenthemen wie dem Mutterschutz waren sie in den ILO-Gremien in der Mehrheit.

Praktische Konflikte der kollektiven Interessenvertretung

Zum Ende des vielschichtigen Programmes referierte Prof. Dr. Reingard Zimmer von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin über ausgewählte Konfliktbereiche der Vereinigungsfreiheit und dem Recht auf Kollektivverhandlungen.
 
Die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen sind Bestandteil der ILO-Kernarbeitsnormen, die unmittelbar gelten, also ohne, dass es einer Umsetzung in nationales Recht bedarf. Die ILO hat in diesem Bereich einige zentrale Übereinkommen geschlossen. Zu nennen sind insbesondere Nr. 87 und Nr. 98, ergänzt durch Nr. 135, in denen diese Rechte ausgeführt sind.
 
In ihrem Vortrag ging Frau Zimmer auf das Streikrecht ein. Dieses ist weder in Übereinkommen Nr. 87, noch in Nr. 98 ausdrücklich genannt, dennoch gilt es unbestritten, ähnlich wie im Grundgesetz.
 
Frau Zimmer erläuterte sodann Umfang und Einschränkungen des Streikrechts, wobei letztere wegen der überragenden Bedeutung dieses Rechts nur in engen Grenzen zulässig sind. Hier ging sie auf eine Vielzahl von Entscheidungen und Einzelfragen ein.
 
Zuletzt ging sie noch auf die besondere Fallgestaltung des Streikverbotes für Beamte ein, das nach Wertung des EGMR nur für Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung gilt, die in einem engen hoheitlichen Sinn tätig sind. Das Bundesverfassungsgericht hat dagegen das umfassende Streikverbot in seiner Entscheidung vom 12. Juni 2018 erneut bestätigt.

ILO  - gestern, heute, morgen

Der Beschluss des Verfassungsgerichts liegt nun wieder dem EGMR vor. Frau Zimmer erwartet hier eine deutliche Reaktion, nachdem der EGMR schon das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts „mit Besorgnis “ zur Kenntnis genommen hatte. Rudolf Buschmann vertritt die betroffenen Lehrerinnen und Lehrer.
 
Insofern schloss sich am Ende des zweiten Konferenztages ein Kreis, der die Veranstaltung sowohl in zeitlicher, als auch in inhaltlicher Hinsicht umgab. Verdienst der Veranstalter ist, nicht nur die historische Dimension der ILO, sondern auch deren Bedeutung für die Gestaltung der Arbeitswelt von heute und morgen sichtbar gemacht zu haben.
 
Der Einschätzung von Prof. Bryde folgend, sollte das Arbeitsrecht die ILO nicht den Völkerrechtlern überlassen, sondern es als wichtigen Teil des eigenen Rechtssystems begreifen und für sich nutzbar machen.
 
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