Aufgegriffene Straftäter sind bei einer Vernehmung nicht immer kooperativ. Copyright by Adobe Stock/VadimGuzhva
Aufgegriffene Straftäter sind bei einer Vernehmung nicht immer kooperativ. Copyright by Adobe Stock/VadimGuzhva

Als Autorin zahlreicher Veröffentlichungen für die DGB Rechtsschutz GmbH bin ich ebenso wie viele meiner Redakteurskolleg*innen selbst seit Jahren im aktiven Rechtsschutz tätig. Da begegnet man vielen Menschen. Manch ein*e Mandant*in begleitet einen ein halbes Berufsleben lang. So auch der Kläger dieses Verfahrens, der mich ursprünglich um Unterstützung wegen der Anerkennung eines Dienstunfalles bat.
 

Die Frage nach der Schuld stand zunächst im Vordergrund

Ist ein Polizist selbst schuld, wenn er im Dienst angegriffen wird? Das war zunächst die entscheidende Frage. Nach jahrelangem Kampf ist uns nun ein Erfolg gelungen. Mit einer zynischen Bemerkung hatte der Dienstherr es stets abgelehnt, die Angriffe auf meinen Mandanten als tätliche Angriffe im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes anzuerkennen.
 

Das Unfallverfahren endete positiv

Das Unfallverfahren hatten wir nach einem langen Gerichtsprozess erfolgreich beendet. Der Dienstherr musste ein posttraumatisches Belastungssyndrom, das sich bei dem Polizisten nach Widerstandshandlungen verschiedener Straftäter einstellte, als Dienstunfall anerkennen. Der Beamte erhält dafür nun Unfallfürsorgeleistungen seines Dienstherrn.
 
Schon 2014 stellte er beim Land den Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz. Nach diesem Gesetz sollen Opfer von Gewalttaten entschädigt werden. Das Land lehnte ab. Der Kläger habe sich selbst in eine gefährliche Situation begeben und trage deshalb eine Mitschuld an dem nachfolgend aufgetretenen Gesundheitsschaden.
 

Entschädigungsleistungen soll es nur für Bürger geben

Außerdem würden Beschäftigte des Staates nicht unter den Schutzzweck des Opferentschädigungsgesetzes fallen. Entschädigungsleistungen könnten nur Bürgerinnen und Bürger erhalten, die rechtswidrig angegriffen worden seien.
 
Schon das Verfahren beim Sozialgericht war sehr emotionsgeladen, weil der Gegner dem Polizisten die Schuld an den gesundheitlichen Folgen selbst zuschrieb. Er habe sich schließlich gewehrt. Tragen Polizist*innen wirklich selbst schuld, wenn sie im Einsatz verletzt werden? Das Sozialgericht stellte sich damals ganz eindeutig auf die Seite meines Mandanten. Es sprach ihm die begehrte Leistung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu.
 
Zu diesem Urteil hatten wir bereits berichtet:
Selbst schuld! Landesamt will einen Polizisten für den Angriff eines Straftäters nicht entschädigen


Finanzielle Leistungen konnte der Kläger nicht erwarten

Das Land war mit diesem Urteil nicht einverstanden und ging in Berufung. Zwischenzeitlich hatte sich auch herausgestellt, dass die Unfallfürsorgeleistungen des Dienstherrn auf eine etwaige Leistung nach dem Opferentschädigungsgesetz angerechnet würden.
 
Finanziell hatte der Kläger daher nichts zu erwarten. Dennoch wollten wir gerichtlich geklärt wissen, dass das posttraumatische Belastungssyndrom des Klägers Folge eines rechtswidrigen Angriffs nach dem Opferentschädigungsgesetz war.
 
Nach einer Verfahrensdauer von sieben Jahren gab das Gericht diesem Antrag nun statt, sehr zur Freude des Klägers und seiner Prozessbevollmächtigten.
 

Das Land änderte seine Argumentation im Berufungsverfahren nicht

 Das Land beharrte im Berufungsverfahren weiter auf seiner Meinung, wonach Polizeibeamt*innen den Bestimmungen des Opferentschädigungsgesetzes nicht unterfallen.
 
Der Leitgedanke des Opferentschädigungsgesetzes sei die Verantwortung des Staates, seine Bürger*innen vor Gewalttaten und Schädigungen durch kriminelle Handlungen zu schützen, da der Staat Träger des Gewaltmonopols und der Verbrechensverhütung und -bekämpfung sei. Versage dieser Schutz, hafte der Staat dem Opfer nach den Voraussetzungen des Opferentschädigungsgesetzes. Der Kläger habe als Polizeibeamter dabei die Pflicht, sich für die Bevölkerung auch mit seinem Körper einzusetzen.
 

Der Kläger hatte selbst unmittelbar Zwang ausgeübt

Der Kläger sei im Rahmen seiner Dienstausübung persönlich betroffen gewesen. Dabei habe er selbst unmittelbaren Zwang ausgeübt. Dies sei im Zusammenhang mit der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbedienstete des Saarlandes erfolgt.
 
Im Hinblick darauf, dass der Kläger als Polizeivollzugsbeamter den Staat als Träger des Gewaltmonopols vertrete und insoweit selbst für die Verbrechensverhütung und -bekämpfung zuständig sei, erscheine es zweifelhaft, dass das Opferentschädigungsgesetz auch ihn schütze.
 

Das Landessozialgericht prüft die Voraussetzungen des Gesetzes ganz genau

Dieser Rechtsauffassung ist das Landessozialgericht nicht gefolgt. Es weist darauf hin, dass die Voraussetzungen des Opferentschädigungsgesetzes an drei Merkmale anknüpften:
 

  • Es müsse ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff, ein sogenannter schädigender Vorgang, vorliegen.
  • Dieser schädigende Vorgang müsse zu einer Schädigung und zu Schädigungsfolgen geführt haben.
  • Für alle drei Merkmale fordere das Gesetz eine ursächlichen Zusammenhang.

 
Das Landessozialgericht hielt es für ausreichend belegt, dass der Kläger vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffen ausgesetzt war. Einmal habe ein Täter versucht, ihn mit Billardkugeln zu schlagen. Dem Kläger sei es dabei gelungen, den Schlag abzuwehren.
 

Der Täter griff den Kläger vorsätzlich und rechtswidrig an

Damit sei es zu einer körperlichen, also tätlichen Auseinandersetzung gekommen. Der Täter habe auch vorsätzlich und rechtswidrig gehandelt. Es spiele keine Rolle, ob der Betroffene einen tatsächlichen körperlichen Kontakt durch seine Abwehrhandlungen verhindert habe.
 
Auch bei einem späteren Vorfall habe es einen körperlichen Kontakt gegeben. Hier wollte der Kläger den Täter mit einer Schlagbewegung von sich fernhalten. Gegen die im Anschluss durchgeführte Fixierung des Täters am Boden, leistete dieser Widerstand. Der Täter habe damit den Kläger körperlich angegriffen und ihn auch verletzt.
 
Auch an einer Schädigung sowie an Schädigungsfolgen hatte das Gericht keinen Zweifel. Die ärztlichen Gutachten, die der Dienstherr des Klägers und später auch das Sozialgericht eingeholt hatten, bestätigten, dass das der Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten habe.
 

Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung werden auch angerechnet

Dafür, dass Beamt*innen bei dienstlichen Verrichtungen generell von Opferentschädigungsleistungen ausgeschlossen sein könnten, gibt es aus Sicht des Landessozialgerichts keine Hinweise. Sonstige Beschäftigte außerhalb von Beamtenverhältnissen könnten als Bürger des Landes durchaus einen Anspruch gegen die gesetzliche Unfallversicherung und gleichzeitig einen Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz haben.
 
Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung führten im Fall einer Schädigung von Arbeitnehmer*innen ebenfalls zu einer Anrechnung auf Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz. Das gleiche bestimme das Gesetz für Beamt*innen. Allein der Beamtenstatus könne somit Ansprüchen nach dem Opferentschädigungsgesetz nicht entgegen stehen.
 

Das Gesetz regelt genau, wann Leistungen versagt werden dürfen

Im Übrigen bestimme das Gesetz, dass Leistungen nur dann versagt werden dürften, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht habe oder wenn es aus sonstigen Gründen unbillig wäre, eine Entschädigung zu gewähren. Solche Gründe seien etwa das eigene Verhalten des Anspruchstellers.
 
Das Opfer habe einen Angriff mitverursacht, wenn sein Tatbeitrag nicht nur ein Teil der Ursachenkette gewesen sei, sondern wesentlich mitgewirkt habe. Die Vergleichbarkeit der Tatbeiträge von Opfer und Angreifer bestimme deren strafrechtliche Einordnung. Die Tatbeiträge seien vergleichbar, wenn sie jeweils strafbare Handlungen darstellten und die Strafandrohungen in etwa gleich seien.
 

Leichtfertiges Handeln schließt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz aus

Eine Mitverursachung durch das Opfer komme zwar auch in Betracht, wenn dessen Handlung keinen Straftatbestand erfülle. Das Opfer müsse sich dabei leichtfertig selbst gefährden. Gleiches gelte, wenn sich das Opfer seiner konkret erkannten Gefahr leichtfertig nicht entzogen habe, obwohl ihm dies zumutbar und möglich gewesen wäre.
 
Das Opfer müsse in hohem Maße vernunftswidrig gehandelt und in grob fahrlässiger Weise unterlassen haben, einer höchstwahrscheinlich zu erwartenden Gefahr auszuweichen. Allerdings verlange das Opferentschädigungsgesetz nicht, dass der Angegriffene sich verstecke. Er dürfe einen Angriff durch tätiges Verhalten abwehren.
 

Der Kläger hatte rechtmäßig gehandelt

Das Landessozialgericht bekräftigt dabei ausdrücklich, dass der Kläger rechtmäßig im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung als Polizist gehandelt habe. Dies ergebe sich aus den Strafurteil. Es gebe auch kein alternatives Verhalten, das naheliegender oder geboten gewesen wäre. Die rechtswidrige Gewaltanwendung habe der Täter ausgeführt und nicht der Kläger.
 
Das Verhalten des Klägers sei auch nicht unbillig gewesen. Eine Unbilligkeit setze voraus, dass die Mitverursachung des Klägers derjenigen des Täters an Bedeutung annähernd gleichkomme. Dafür sei nichts ersichtlich.
 

Polizeibeamt*innen sind vom Opferentschädigungsgesetz nicht ausgenommen

Für den Ausschluss von Polizeibeamt*innen aus dem Opferentschädigungsgesetz gebe es keine Grundlage. Die eigentliche Zielgruppe mögen Personen sein, die der Staat durch die Polizei oder sonstige Organe vor Gewalttaten nicht hinreichend schützen konnte und die deswegen gesundheitliche Schäden erlitten.
 
Es gebe andererseits aber keinen Grund, ausgerechnet eine Personengruppe, die aufgrund ihrer Tätigkeit besonderen Gefahren ausgesetzt sei, ohne klaren Anhalt in der Formulierung des Gesetzes von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz auszuschließen. Auch und gerade Polizeibeamte könnten mit Situationen konfrontiert werden, in denen sie sich selbst nicht mehr hinreichend vor Gewalt schützen könnten und auch nicht mehr geschützt würden.
 

Soldat*innen sind vom Gesetz ausdrücklich geschützt

Für andere besonders gefährdete Personengruppen werde die entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes ausdrücklich angeordnet. Das gelte beispielsweise für Soldat*innen. Wieso dann gerade Polizisten bei dienstlichen Verrichtungen ausgeschlossen sein sollten, wenn die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen, könne das Gericht nicht nachvollziehen.
 
Obwohl sich der Tenor des Urteils erst einmal negativ liest, denn das Landessozialgericht gab der Berufung des Beklagten statt, gab das Urteil meinem Mandanten recht. Das Gericht hob nämlich auch die Ursprungsbescheide auf und stellte fest, dass die posttraumatische Belastungsstörung Folge eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs nach dem Opferentschädigungsgesetz war.
 
Die gesundheitlichen Probleme konnte ich meinem Mandanten mit dem Urteil des Landessozialgerichts nicht nehmen. Nach der gerichtlichen Entscheidung hatte er aber doch sein Vertrauen in Recht und Gesetz wiedergefunden. Das hat mich als seine Prozessbevollmächtigte ganz besonders gefreut.

Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Manche Gerichtsverfahren sind von Emotionen begleitet. Für die Kläger*innen gilt das allemal. Aber auch wir Jurist*innen sind nicht immer ganz frei von persönlichen und individuellen Betrachtungen. Trotz aller Emotionen müssen die Beteiligten einen Rechtsstreit aber unter Außerachtlassung all jener persönlicher Empfindlichkeiten durchführen.

Nur die objektive Anwendung geltenden Rechts bringt vor Gericht ein Ergebnis. Wenn in einem Verfahren aber gleich ein ganzer Berufsstand hinsichtlich seines Handelns infrage gestellt wird, wenn Personen, die sich, ihren Körper und manchmal auch ihr Leben zum Schutz ihrer Mitmenschen einsetzen und dabei den Hinweis erhalten, sie seien selbst daran schuld, wird es schwer, Emotionen beiseite zu schieben.

Umso erfreulicher, dass das Landessozialgericht hier eine ganz klare Entscheidung zugunsten der Polizistinnen und Polizisten des Landes gesprochen hat.