Ein schwerbehindertes GEW-Mitglied erhält Entschädigung, weil die Universität Chemnitz nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte.
Ein schwerbehindertes GEW-Mitglied erhält Entschädigung, weil die Universität Chemnitz nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte.

Die Entschädigung war zu zahlen, weil die Universität es versäumt hatte, den schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen.

Bewerbung als Juniorprofessor Politikwissenschaften 

Der promovierte Psychologe hatte sich im Herbst 2013 bei der Universität auf eine Juniorprofessur „Politikwissenschaftliche Forschungsmethoden“ beworben. Der damals Anfang dreißigjährige Wissenschaftler ist in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt und deshalb mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehindert. Auf seine Schwerbehinderung hatte er im Bewerbungsschreiben hingewiesen.

Von der Universität erhielt er eine Absage, man habe sich für einen anderen Bewerber entschieden. Er wendete sich daraufhin an die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, bei der er Mitglied ist. Diese leitete die Sache an den DGB Rechtsschutz weiter.

Schwerbehinderte haben Anspruch auf ein Vorstellungsgespräch 

Rechtlicher Ansatzpunkt war eine Vorschrift, nach der schwerbehinderte Bewerber, die sich auf eine Stelle im Öffentlichen Dienst bewerben zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen sind, sofern sie nicht offensichtlich ungeeignet sind.

Verstößt ein öffentlicher Arbeitgeber gegen dieses Gebot, so steht dem Bewerber ein Schadensersatz in Höhe von bis zu drei Monatsgehältern zu, selbst wenn er bei diskriminierungsfreier Auswahl auch nicht eingestellt worden wäre. 

In der ersten Instanz wurde die Klage kurzerhand abgewiesen: Da der Kläger Psychologe sei, sei er für eine politikwissenschaftliche Professur offensichtlich ungeeignet. Er hätte also nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen.

Anspruch entfällt nur bei offensichtlicher Ungeeignetheit 

Ob ein Bewerber offensichtlich ungeeignet ist, hängt von der Stelle ab, auf die er sich bewirbt. Entscheidend ist insofern die Stellenausschreibung. 

So hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (Urteil vom 19. September 2011 - 3 Sa 182/11) ein Politologin für offensichtlich ungeeignet erachtet, die sich auf die Stelle einer städtischen Gleichstellungsbeauftragten beworben hatte. Die in der Ausschreibung geforderten praktischen Erfahrungen in der Umsetzung von Gender Mainstreaming sowie gute Kenntnisse in der Geschlechter- und Frauenforschung waren aus ihrer Bewerbung nicht ersichtlich gewesen.

Die Universität Chemnitz hatte gefordert, der Bewerber solle das Fachgebiet Politikwissenschaftliche Forschungsmethoden in seiner vollen Breite abdecken und über fundierte Kenntnisse der empirischen Sozialforschung verfügen.

Ein formeller Abschluss in Politikwissenschaft war nicht gefordert. Das Landesarbeitsgericht musste sich also damit auseinandersetzen, ob der promovierte Psychologe offensichtlich ungeeignet ist für den Bereich der politikwissenschaftlichen Forschungsmethoden und der empirischen Sozialforschung.

Ausschreibung und Wirklichkeit

Hier hatte es sich das Arbeitsgericht Chemnitz noch leicht gemacht und darauf verwiesen, dass der Kläger kein Politologe ist. Vor dem Landesarbeitsgericht konnte der Kläger das Urteil jedoch erschüttern. Er konnte nachweisen, dass:

  • Empirische Sozialforschung keine rein politikwissenschaftliche Disziplin ist.
  • Die Fachliteratur in Psychologie und Politik sich im Bereich der Methoden nicht unterscheidet.
  • Seine eigene Fachrichtung „Politische Psychologie“ an manchen Universitäten in der Psychologie, an anderen dagegen bei den Politikwissenschaften angesiedelt ist.
  • Er selbst über die Spezialisierung auf Politische Soziologie einen inhaltlichen Bezug zur ausgeschriebenen Stelle hat.
  • Auch der gegenwärtige Stelleninhaber nicht über die geforderten Qualifikationen verfügt bzw. verfügen muss.

Vor diesem Hintergrund schlug das Gericht einen Vergleich in Höhe von 3.000 € vor, was etwa einem dreiviertel Monatsgehalts entsprochen hätte. Der Kläger war mit diesem Angebot einverstanden und hätte das Verfahren damit beendet.

Freistaat Sachsen lernt nur auf die harte Tour 

Doch es sollte anders kommen: Die Vertreter der Freistaats Sachsen, die als Träger der Universität Chemnitz verklagt waren, widerriefen den Vergleich, nachdem sie sich vom Gericht vorher schon eine unübliche lange Widerrufsfrist hatten einräumen lassen.

Damit bestätigte der Freistaat seinen schwachen Auftritt beim Landesarbeitsgericht: So zeigten sich die Vertreter erkennbar überrascht, als dass Gericht einen Vergleich ins Spiel brachte, obwohl dies vor Arbeitsgerichten tägliche Praxis ist.

Die Quittung folgte dann auch prompt im Urteil: Statt der ausgehandelten 3.000 € verurteilte das Landesarbeitsgericht den Freistaat zu einer Entschädigung in Höhe von einem Monatsgehalt, also fast 4.200 €.

Kläger ist doppelter Sieger 

Damit hat sich das starre Beharren und Taktieren des Freistaats Sachen nicht ausgezahlt. Es zeigt sich einmal mehr, dass sich gerade in Bereichen, in denen das Gericht einen eigenen Spielraum hat, ein kooperatives Verhalten auszahlt.

Für den Kläger ist der Prozessausgang in doppelter Hinsicht erfreulich: Zum einen kann er mit der erstrittenen Entschädigung einen erheblichen Teil seines Studienkredits zurückzahlen.

Zum anderen hat er mittlerweile einen anderen Dienstherrn gefunden, den er offenbar mit seinen politologischen Fähigkeiten überzeugen konnte: Er ist jetzt Referent in einem Bundesministerium.

 

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen vom 18.08.2016 - 5 Sa 654/15 - finden Sie hier im Volltext.


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Entschädigung wegen Diskriminierung eines Schwerbehinderten

Bundesarbeitsgericht stärkt den Schutz vor Diskriminierung

Keine Entschädigung für schwerbehinderten Bewerber bei fehlendem Bewerbungsanschreiben

Das sagen wir dazu:

Wer einen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung geltend macht, muss Anhaltspunkte dafür darlegen, dass er tatsächlich diskriminiert wurde. Die Diskriminierung lag im vorliegenden Fall darin, dass der Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch bei einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber eingeladen wurde, obwohl er auf seine Schwerbehinderung hingewiesen hatte.

Kann man eine Diskriminierung nachweisen, ist es Sache des Arbeitgebers nachzuweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt, zum Beispiel weil der Bewerber offensichtlich ungeeignet ist.

Der Freistaat Sachen hatte im Verfahren mehrfach betont, der gegenwärtige Stelleninhaber sei besser geeignet. Darauf kommt es nicht an! Ein Bewerber ist nur dann nicht einzuladen, wenn von vornherein ausgeschlossen ist, dass er für die Stelle in Frage kommt. 

Achtung Fristen! 

Wer also eine Diskriminierung nachweisen kann, hat gute Chancen auf eine Entschädigung. Wenn man wie der Freistaat Sachsen in diesem Fall ein Sachverständigengutachten als Beweis dafür anbietet, dass ein Bewerber offensichtlich ungeeignet ist, der muss sich fragen lassen, wie offensichtlich eine Tatsache sein kann, die man erst durch ein Gutachten nachweisen kann.

Es besteht jedoch eine erhebliche Hürde für Bewerber: Der Anspruch muss innerhalb von zwei Monaten nach Ablehnung geltend gemacht und innerhalb von drei Monaten nach der Geltendmachung eingeklagt werden. 

Wer die Fristen versäumt, verliert seinen Anspruch auf eine Entschädigung, auch wenn die Diskriminierung noch so offensichtlich ist! 

Rechtliche Grundlagen

§ 82 Besondere Pflichten der öffentlichen Arbeitgeber Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen

Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (Artikel 1 des Gesetzes v. 19.6.2001, BGBl. I S. 1046)

§ 82 Besondere Pflichten der öffentlichen Arbeitgeber

Die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber melden den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze (§ 73).

Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.

Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Einer Integrationsvereinbarung nach § 83 bedarf es nicht, wenn für die Dienststellen dem § 83 entsprechende Regelungen bereits bestehen und durchgeführt werden.