Kein Zusammenhang zwischen Ablehnung und Behinderung bei fehlender Kenntnis von Schwerbehinderung
Kein Zusammenhang zwischen Ablehnung und Behinderung bei fehlender Kenntnis von Schwerbehinderung

Im Januar 2014 bewarb sich ein Schwerbehinderter auf eine Stelle als Kaufmann. Über das Karriereportal der Webseite der potentiellen Arbeitgeberin lud er seine Bewerbungsunterlagen hoch. 

Kläger erstinstanzlich erfolgslos

Die von dem Kläger übersandten Unterlagen enthielten unter anderem einen Lebenslauf und Zeugnisse, jedoch kein Bewerbungsanschreiben. Der zehn Seiten umfassende Lebenslauf enthielt unter der Überschrift "Zur Person" an letzter Stelle und ohne Hervorhebung die Information über seine Schwerbehinderung. 

Die Beklagte lehnte die Bewerbung ab und begründete dies damit, dass sämtliche Bewerbungen ohne Bewerbungsanschreiben von vornherein als offensichtlich nicht ernst gemeint aussortiert worden seien. Der Bewerber sah sich aufgrund seiner Behinderung diskriminiert und klagte auf Zahlung einer Entschädigung.

Das Arbeitsgericht Mainz wies die Entschädigungsklage des Bewerbers ab. Begründet wurde dies damit, dass die Beklagte die Bewerbung nicht aufgrund der Schwerbehinderung abgelehnt habe, sondern aufgrund des fehlenden Anschreibens. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) ein.

Keine Diskriminierung aufgrund Schwerbehinderung 

Das Landesarbeitsgericht  Mainz bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und wies die Berufung des Klägers zurück. Ein Zusammenhang zwischen der Ablehnung der Bewerbung und der Behinderung habe nicht bestanden. 

Die Beklagte habe, so die Richter*innen der 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Mainz, vielmehr sämtliche Bewerbungen ohne Prüfung der Unterlagen aussortiert, die kein Anschreiben enthalten haben. Dem Kläger habe kein Anspruch auf Entschädigung zugestanden, da er nicht wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei.

Hinweis auf Schwerbehinderung muss deutlich erkennbar sein

Nach Auffassung des Mainzer Berufungsgerichts müsse ein Bewerber den Arbeitgeber über seine Schwerbehinderteneigenschaft grundsätzlich im Bewerbungsanschreiben unter Angabe des Grades der Behinderung informieren. 

Eine Angabe im Lebenslauf sei auch möglich, was an hervorgehobener Stelle und deutlich, zum Beispiel durch eine besondere Überschrift, geschehen könne. Unauffällige Informationen, indirekte Hinweise in beigefügten amtlichen Dokumenten oder eine in den Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises genügen nicht als ordnungsgemäße Information.

So aber habe der Fall hier gelegen. Der Kläger habe die Informationen über seine Schwerbehinderung lediglich im Lebenslauf eingestreut. Die Beklagte habe somit keine Kenntnis von der Behinderung erhalten können oder müssen.

Aus dem Übersehen der Information über die Schwerbehinderung ergibt sich kein Entschädigungsanspruch

Den Hinweis des Klägers, der auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2008 verwies, wonach ein Entschädigungsanspruch bereits dann bestehe, wenn der Arbeitgeber oder ein Mitarbeiter die Angabe über die Schwerbehinderung übersehe, hielt das Landesarbeitsgericht für unbeachtlich. 

Denn die Entscheidung sei für den vorliegenden Fall nicht anwendbar gewesen. Im Fall des Bundesarbeitsgerichts habe sich die Information über die Behinderung im Bewerbungsanschreiben befunden, was aber hier gefehlt habe.

Anmerkung:

Die Entscheidung des Landesarbeitsgericht Mainz ist im Ergebnis zutreffend. Bereits mit Urteil vom 18.09.2014, Az: 8 AZR 759/13, hat das Bundesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass Bewerber*innen, die in ihrer Eigenschaft als schwerbehinderte Menschen bei der Behandlung berücksichtigt werden wollen, ihre Schwerbehinderteneigenschaft regelmäßig im Bewerbungsschreiben anzugeben haben. 

Auch sei die Angabe des Grades der Behinderung (GdB) oder eine etwaige Gleichstellung mit den Schwerbehinderten bekannt zu geben. Wenn die Information im Lebenslauf vorgenommen wird, so hat dies nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung „an hervorgehobener Stelle und deutlich, etwa durch eine besondere Überschrift, zu geschehen“. 

„Eingestreute" oder unauffällige Informationen, indirekte Hinweise in beigefügten amtlichen Dokumenten, eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises etc. stellen keine ordnungsgemäße Information des angestrebten Vertragspartners dar.

Da diese Rechtsprechung bekannt war, kann man an der Ernsthaftigkeit der Bewerbung des schwerbehinderten Klägers Zweifel haben. Es ist zumindest nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei dem Kläger in dem vom Landesarbeitsgericht  Mainz entschiedenen Fall um einen „AGG-Hopper“ handelte. Solche „AGG-Hopper“ versuchen unter Berufung auf ihre versteckt bekannt gegebene Schwerbehinderung eine Entschädigung  gerichtlich durchsetzen zu können, wenn die Bewerbung – wie erwartet -  erfolglos bleibt.

Da die Fälle des sogenannten „AGG-Hopping“ in immer größeren Umfang auftreten, hat der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts mit Beschluss vom 18.06.2015 dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„Ist das Unionsrecht dahingehend auszulegen, dass auch derjenige „Zugang zur Beschäftigung oder zur abhängigen Erwerbstätigkeit“ sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können?“

Anlass den Europäischen Gerichtshof anzurufen war folgender Fall:

Der Kläger hat 2001 die Ausbildung zum Volljuristen abgeschlossen und ist seither überwiegend als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Die Beklagte, die zu einem großen Versicherungskonzern gehört, schrieb ein „Trainee-Programm 2009“ aus. Dabei stellte sie als Anforderung einen nicht länger als ein Jahr zurückliegenden oder demnächst erfolgenden sehr guten Hochschulabschluss und qualifizierte berufsorientierte Praxiserfahrung durch Ausbildung, Praktika oder Werkstudententätigkeit.

Bei der Fachrichtung Jura waren zusätzlich eine arbeitsrechtliche Ausrichtung oder medizinische Kenntnisse erwünscht. Der Kläger bewarb sich hierfür. Er betonte im Bewerbungsschreiben, dass er als früherer leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung über Führungserfahrung verfüge. 

Derzeit besuche er einen Fachanwaltskurs für Arbeitsrecht. Weiter führte er aus, wegen des Todes seines Vaters ein umfangreiches medizinrechtliches Mandat zu betreuen und daher im Medizinrecht über einen erweiterten Erfahrungshorizont zu verfügen. 

Als ehemaliger leitender Angestellter und Rechtsanwalt sei er es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu arbeiten. Nach der Ablehnung seiner Bewerbung verlangte der Kläger eine Entschädigung in Höhe von 14.000,00 Euro. Die nachfolgende Einladung zum Gespräch mit dem Personalleiter der Beklagten lehnte er ab und schlug vor, nach Erfüllung seines Entschädigungsanspruchs sehr rasch über seine Zukunft bei der Beklagten zu sprechen.

Schon die Bewerbungsformulierung spricht nicht dafür dass der Kläger sich mit dem Ziel einer Einstellung beworben hat

Aufgrund der Bewerbungsformulierung und des weiteren Verhaltens geht der Senat davon aus, dass sich der Kläger nicht mit dem Ziel einer Einstellung beworben hat. Das Bewerbungsschreiben stehe einer Einstellung als „Trainee“ entgegen. Die Einladung zu einem Personalgespräch hat er ausgeschlagen. 

Damit ist der Kläger nach nationalem Recht nicht „Bewerber“ und „Beschäftigter“ im Sinne des Allgemeines Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Das Unionsrecht nennt jedoch in den einschlägigen Richtlinien nicht den „Bewerber“, sondern schützt den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit“. 

Nicht geklärt ist, ob das Unionsrecht ebenfalls voraussetzt, dass wirklich der Zugang zur Beschäftigung gesucht und eine Einstellung bei dem Arbeitgeber tatsächlich gewollt ist. Ob für das Eingreifen des unionsrechtlichen Schutzes das Vorliegen einer formalen Bewerbung genügt, ist eine allein dem Gerichtshof überantwortete Auslegungsfrage. 

Diskriminierungsschutz bei Scheinbewerbung? 

Mit Interesse darf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs erwartet werden, da sich diese sicherlich auf alle Arten von Bewerbungen auswirken wird, an deren Ernsthaftigkeit Zweifel angezeigt sind und deren Ziel es letztendlich ist Entschädigungszahlungen wegen Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gerichtlich zugesprochen zu bekommen.

Für den Autor ist es schwer vorstellbar, dass der Europäische Gerichtshof im Rahmen der Vorabentscheidung zu dem Ergebnis kommt, dass auch für Scheinbewerbungen, wie dies zum Beispiel im Falle der Bewerbung eines Schwerbehinderten der Fall sein kann, der seine Schwerbehinderteneigenschaft in einem Konvolut von Bewerbungsunterlagen „versteckt“, ein Diskriminierungsschutz besteht.

Über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs werden wir berichten.

Hier kann das vollständige Urteil des Landesarbeitsgericht Mainz vom 20.08.2015 nachgelesen werden

Her zum vollständigen Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 16.09.2008, Az: 9 AZR 791/07

Hier zum vollständigen Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 18.09.2014, Az: 8 AZR 759/13

Hier die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts zum Vorlagebeschluss an den Europäischen Gerichtshof vom 18.06.2015, Az: 8 AZR 848/13 (A):

Hier gibt es den vollständigen Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts an den Europäischen Gerichtshof vom 18.06.2015, Az: 8 AZR 848/13 (A):

Lesen sie hierzu auch

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Im Praxistipp:
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) - § 15 Entschädigung und Schadensersatz

Rechtliche Grundlagen

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) - § 15 Entschädigung und Schadensersatz

§ 15 Entschädigung und Schadensersatz - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.
(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.
(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.
(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.