Erst die schwere Fußfraktur, dann auch noch sehen müssen, woher das Geld für die häusliche Pflege kommt. © Adobe Stock: phoomrat
Erst die schwere Fußfraktur, dann auch noch sehen müssen, woher das Geld für die häusliche Pflege kommt. © Adobe Stock: phoomrat

Die Krankenkasse hatte dem Mann aus Niedersachsen bereits die Übernahme der notwendigen Taxikosten für Fahrten zur Behandlung verweigert. Die Behandlung war infolge einer schweren Mittelfußfraktur erforderlich geworden. Zu der Einschränkung seiner Mobilität hatte der Mann auch einen epileptischen Anfall erlitten. Weitere Anfälle in der Zukunft mit schweren Stürzen konnten seine Ärzte nicht ausschließen.

 

Der Verletzte erhob Klage. Mit Unterstützung der Jurist*innen vom DGB Rechtsschutz Braunschweig gewann er seinen Prozess.

 

Lesen Sie dazu:

 

Taxikosten für ambulante Behandlung

 

https://www.dgbrechtsschutz.de/recht/sozialrecht/krankenversicherung/themen/beitrag/ansicht/krankenversicherung/taxikosten-fuer-ambulante-behandlung/details/anzeige/

 

Alles lief schief

 

Aber es kam schlimmer. Den Fuß nach einer schweren Mittelfußfraktur eingegipst, konnte der Mann sich mit Unterarmgehstützen nur mühsam fortbewegen. Den Fuß selbst durfte er überhaupt nicht belasten. Das Bad erreichte der Mann nur unter größten Anstrengungen. Ohne fremde Hilfe kam er in die Dusche nicht hinein.

 

Für einen Übergangszeitraum hoffte er auf die Unterstützung seiner Krankenkasse. Die kam nur eingeschränkt. Die vom Arzt verordnete häusliche Krankenpflege förderte die Krankenkasse lediglich für zwei Wochen. Obwohl sich die Mobilität und Belastbarkeit des Betroffenen bis dahin nicht gebessert hatten, lehnte die Krankenkasse die Weitergewährung der häuslichen Krankenpflege. Dabei ging es nur um zwei Tage pro Woche für eine Dauer von vier Wochen.

 

Seinen Hinweis auf die eingeschränkte Mobilität ließ die Kasse nicht gelten. Für sie spielte es keine Rolle, dass sich dessen gesundheitliche Situation nicht gebessert hatte und er immer noch auf Unterstützung angewiesen war. Auch sein Hinweis, er drohe in der Dusche auszurutschen, wenn keine Hilfestellung gegeben sei, blieb außer Beachtung.

 

Der Formalismus musste herhalten

 

Stattdessen forderte die Krankenkasse ihn auf, eine ausführliche Begründung und Stellungnahme seines behandelnden Arztes vorzulegen, damit der Medizinische Dienst diese im Widerspruchsverfahren prüfen könne. Weitere Unterlagen reichte der Versicherte jedoch nicht ein. Warum, blieb im Verfahren offen.

 

Der medizinische Dienst habe mangels Angaben des behandelnden Arztes keinen begründeten Ausnahmefall feststellen können, wie es für die weitere Gewährung von häuslicher Krankenpflege erforderlich gewesen wäre, hieß es anschließend im Bescheid der Kasse. Eine Prüfung des Gesundheitszustandes des Versicherten gab es nicht.

 

Das Sozialgericht musste eingeschaltet werden

 

Nun blieb nur der Gang zum Sozialgericht. Es verurteilte die Krankenkasse zur Kostenübernahme. Diese habe die Kosten zu Unrecht abgelehnt, heißt es in der Entscheidung. Erst das Gericht hatte den Arzt des Klägers im Klageverfahren zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert. Diese sei auch eingegangen und bestätige die Angaben des Versicherten.

 

Nach dem Gesetz könnten Versicherte wegen schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung hauswirtschaftliche Versorgung erhalten, soweit keine Pflegebedürftigkeit mit Anerkennung eines entsprechenden Pflegegrades vorliege. Dieser Anspruch bestehe bis zu vier Wochen je Krankheitsfall. Er könne in begründeten Fällen für einen längeren Zeitraum bewilligt werden, wenn der Medizinische Dienst festgestellt habe, dass das erforderlich sei.

 

Amtsermittlung muss sein

 

Der Anspruch des Klägers scheitere nicht daran, dass der Medizinische Dienst mangels Angaben des behandelnden Arztes keinen begründeten Ausnahmefall feststellen konnte, wie es das Gesetz fordere. Der Medizinische Dienst habe nämlich beim verordnenden Arzt nicht nachgefragt, obwohl dies im Rahmen der notwendigen Amtsermittlung erforderlich gewesen wäre. Stattdessen habe es nur eine Aufforderung an den Kläger gegeben, einen ausführlichen Bericht vorzulegen.

 

In diesem Fall reiche es aus, wenn der behandelnde Arzt die erforderlichen Angaben spätestens während des gerichtlichen Verfahrens nach Aufforderung des Sozialgerichts nachreiche. Das sei geschehen.

 

Der Arzt habe die eingeschränkte Mobilität des Klägers und dessen verstärkte Sturzgefahr für einen längeren Zeitraum hinweg bestätigt. Das rechtfertige die Verordnung einer häuslichen Krankenpflege.

 

Hier geht es zum Urteil des Sozialgerichts Braunschweig

 

Das sagen wir dazu:

Lange musste der Mann warten. Die Klage reichte er schon 2019 ein. Das Sozialgericht sprach das Urteil erst 2022. Aber nichtsdestotrotz hatte es sich gelohnt, das Urteil abzuwarten.

 

Im sozialrechtlichen Verfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Das bedeutet, dass zunächst die Behörde im Verwaltungsverfahren einen Sachverhalt von Amts wegen ermitteln muss. Dazu bestimmt sie Art und Umfang der Ermittlungen selbst. Sie ist zwar an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden, muss aber alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände berücksichtigen.

 

Im hiesigen Fall hielt das Sozialgericht die Amtsermittlung der Krankenkasse für nicht ausreichend. Es genügte nicht, den Versicherten dazu aufzufordern, einen Bericht des Arztes vorzulegen. Die Krankenkasse hätte den Arzt selbst befragen müssen.

 

Dass dies erst im späteren sozialgerichtlichen Verfahren geschah, ist bedauerlich, zeigt aber, dass Gerichte es mit der rechtlich vorgeschriebenen Amtsermittlung im Verwaltungsverfahren ernst nehmen. So kann es die notwendige finanzielle Unterstützung manchmal auch Jahre später noch geben.

Rechtliche Grundlagen

§ 37 SGB V

(1) Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird. § 10 der Werkstättenverordnung bleibt unberührt. Die häusliche Krankenpflege umfasst die im Einzelfall erforderliche Grund- und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Versorgung. Der Anspruch besteht bis zu vier Wochen je Krankheitsfall. In begründeten Ausnahmefällen kann die Krankenkasse die häusliche Krankenpflege für einen längeren Zeitraum bewilligen, wenn der Medizinische Dienst (§ 275) festgestellt hat, dass dies aus den in Satz 1 genannten Gründen erforderlich ist.

(1a) Versicherte erhalten an geeigneten Orten im Sinne von Absatz 1 Satz 1 wegen schwerer Krankheit oder wegen akuter Verschlimmerung einer Krankheit, insbesondere nach einem Krankenhausaufenthalt, nach einer ambulanten Operation oder nach einer ambulanten Krankenhausbehandlung, soweit keine Pflegebedürftigkeit mit Pflegegrad 2, 3, 4 oder 5 im Sinne des Elften Buches vorliegt, die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung. Absatz 1 Satz 4 und 5 gilt entsprechend.

(…)