Ist die Verletzung durch einen rabiaten Busfahrer ein Arbeitsunfall? Copyright by Adobe Stock/Oleksandr
Ist die Verletzung durch einen rabiaten Busfahrer ein Arbeitsunfall? Copyright by Adobe Stock/Oleksandr

Frau Neumann beendete ihre Arbeit und stieg in einen Linienbus, um nach Hause zu gelangen. Im Bus ergab sich eine verbale Auseinandersetzung mit dem Busfahrer. Frau Neumann hatte sich die Nase geputzt. Der Busfahrer hielt sie für erkältet und forderte sie auf, sich nach hinten zu setzen. Frau Neumann sah das nicht ein und blieb wo sie war. So ihre Version. Der Busfahrer erklärte, sie habe ihn in Folge beschimpft und bespuckt.
 

Keine Zeugen für den Vorfall

Frau Neumann war alleine mit dem Busfahrer im Bus. An einer Haltestelle, die vor ihrem Reiseziel lag, habe der Busfahrer angehalten und sie an der Schulter gezogen. Dabei sei ihr Arm so unglücklich eingeklemmt worden, dass es laut knackte.
Frau Neumann erlitt eine schwere Armverletzung und hat die Anerkennung als Arbeitsunfall bei der Berufsgenossenschaft beantragt. Dies wurde abgelehnt. Widerspruchsverfahren und Klageverfahren vor dem Sozialgericht führten ebenfalls nicht zum Erfolg. Die Klägerin legte dann Berufung ein.
 

Wegeunfall ist nur grundsätzlich versichert

Auch bei einem Unfall von oder zur Arbeit reicht das reine auf dem Wege sein nicht aus. Es muss sich eine Gefahr realisieren, die in den Schutzbereich der Versicherung fällt. Das Bundessozialgericht hat in mehreren Entscheidungen Grundsätze herausgearbeitet, wann sich eine typische Verkehrsgefahr realisiert (z.B. BSG Urteil vom 17.12.2015  - B2U 8/14 R; BSG Urteil vom 18.6.2013 - B2U 10/12 R). Typischer Weise sind das Verletzungen aufgrund von Verkehrsunfällen.
Die Berufsgenossenschaft meint, beim hiesigen Sachverhalt habe sich keine Gefahr realisiert, die nach dem Schutzzweck der Norm der versicherten Tätigkeit der Klägerin zuzurechnen sei.
 

Angriffe durch Dritte auf dem Arbeitsweg können versichert sein

Bei der Frage, ob ein Überfall auf dem Weg nach oder von der Arbeitsstelle als Arbeitsunfall anzusehen ist, kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z.B. Urteile vom 30. Juni 1998  - B 2 U 27/97 R und vom 31. Oktober 1978  - 2 RU 40/78), in der Regel entscheidend auf die Beweggründe des Angreifers an. Will er die Geldtasche mit dem Firmengeld an sich bringen, liegt ein betriebsbezogenes Tatmotiv vor. Dann sind die Folgen des Überfalls als Arbeitsunfall anzuerkennen.
 

Tatmotiv als Abgrenzung

Es bedarf aber nicht zwingend eines betriebsbezogenen Tatmotivs, um den inneren Zusammenhang zwischen dem Überfall als Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit herzustellen Das hessische Landesozialgericht (Urteil vom 12.2.2008 - L 3 U 82/06) hat in einem Fall, in dem kein Motiv ermittelt werden konnte, den Angriff als Arbeitsunfall bejaht. Der Arbeitnehmer befand sich auf dem Weg zur Arbeit, als er hinterrücks brutal zusammengeschlagen wurde. Ein Motiv für den Angriff ergab sich selbst durch strafrechtliche Ermittlungen nicht.
 
Wenn aber die Beweggründe des Angreifers dem persönlichen Bereich der Beteiligten zuzurechnen sind, dann verliert der Zusammenhang zwischen dem Überfall als Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit an Bedeutung. Der vom Arbeitnehmer zurückgelegte Weg ist dann nur eine von vielen Gelegenheiten für den Angreifer.
 
Wie war das bei Frau Neumann und der Busfahrer? Diese sind sich völlig unbekannt gewesen. Damit argumentiert Frau Neumann auch. Ihr sei es nur darum gegangen, den Heimweg mit dem Bus fortzusetzen und der Busfahrer habe ihr das verweigern wollen. Ein persönliches Motiv für einen Streit fehle. Es habe sich hier die besondere Gefahr des Arbeitsweges mit dem Bus verwirklicht.
 

Verletzung passt zur Schilderung

Das Landessozialgericht hat den Sachverhalt, wie von Frau Neumann geschildert, zugrunde gelegt. Es ging auch davon aus, dass sich Frau Neumann die Fraktur so zugezogen hat, wie von ihr beschrieben und konnte sich auf ein eingeholtes Gutachten beziehen. Der Gutachter hatte ausgeführt, ein ruckartig ausgeführter Zug am fixierten Unterarm über einen Hebel passe zu der Verletzung. Weiter konnte sich Frau Neumann auf zwei Zeugen an der Bushaltestelle berufen, die sie, direkt nach dem Verlassen des Busses mit der Armverletzung gesehen haben.
 

Der Heimweg von der Arbeit war rechtlich nicht ursächlich für den Angriff

Das LSG führt aus, dass zwar das Zurücklegen des Heimwegs objektiv die Verletzung verursacht hat, dieser Weg aber letztlich nicht rechtlich wesentlich war. Es müsse sich eine Gefahr verwirklicht haben, gegen die die Versicherung schützen soll, wobei andere Mitursachen die rechtliche Zurechnung ausschließen können. Das ist der Fall, wenn diese das Geschehnis derart prägen, dass sie die versicherte Ursache verdrängen.
 
Letztlich entscheidet das LSG, dass das versicherte Zurücklegen des Heimweges zwar eine Mitursache sei, aber hinter dem Übergriff des Busfahrers zurücktrete. Sowohl Frau Neumann als auch der Busfahrer haben den Sachverhalt mit dem Naseputzen und der Aufforderung gleich geschildert. Das Motiv des Busfahrers war die Furcht vor Ansteckung mit einer Krankheit. Das sei ein privates Motiv. Daher hat das LSG die Berufung zurückgewiesen.
 

Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen

Gegen das Urteil des Landessozialgerichts ist eine Revision nicht möglich gewesen, da diese nicht gesondert zugelassen war. Frau Neumann versucht auch noch den letzten Strohhalm zu ergreifen. Sie lässt gegen die Entscheidung Nichtzulassungsbeschwerde erheben. Dies ist möglich, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das Bundessozialgericht hat die Beschwerde verworfen.
 
LINKS:
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen ist hier nachzulesen

Das sagen wir dazu:

Eigenanteil an der Auseinandersetzung und Motiv des Täters spielen eine entscheidende Rolle. Das ist gut nachvollziehbar, wenn Arbeitnehmer sich z.B. an einer Schlägerei beteiligen. Dann ist deren Eigenanteil deutlich im Vordergrund. Ebenso, wenn das Motiv im klassisch privaten Bereich liegt. Der abgesägte Ex lauert seiner Ehemaligen auf dem Heimweg auf. Dann treten erkennbar die nicht versicherten Gefahren in den Vordergrund. Das LSG musste gar nicht aufklären, ob Frau Neumann richtig in Streit mit dem Busfahrer geraten war, sie ihn tatsächlich beschimpft und bespuckt hatte. Denn schon nach ihrer Version kam das LSG zu dem Ergebnis, dass kein Wegeunfall vorlag.