

Ein Urteil hat das Bundessozialgericht noch nicht gesprochen. Es kündigte lediglich an, ein Gutachten einholen zu wollen. Aber schon das ist ein Meilenstein in der Geschichte der sozialgerichtlichen Rechtsprechung.
Die Berufskrankheitenverordnung zählt
Eine Berufskrankheit kann nur eine Erkrankung sein, die in der Liste anerkannter Berufskrankheiten auch als Berufskrankheit aufgeführt ist. Die Berufskrankheitenverordnung stellt mit ihren Merkblättern detaillierte Anforderungen auf, die erfüllt sein müssen, damit die Berufsgenossenschaft eine Krankheit anerkennt.
Berufskrankheiten liegen regelmäßig länger andauernde berufliche Einwirkungen auf den Körper zugrunde.
Der Arbeitsunfall setzt ein plötzliches Ereignis voraus
Neben der Anerkennung einer Berufskrankheit regelt das Gesetz auch die Anerkennung von Arbeitsunfällen. Ein Arbeitsunfall ist ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden geführt hat.
Der Arbeitsunfall beruht damit im Regelfall immer auf einem einzigen, konkret feststellbaren Ereignis.
Das posttraumatische Belastungssyndrom stellt eine seelische Verletzung dar
Das posttraumatische Belastungssyndrom (PTBS) ist die Folge eines Traumas. Es handelt sich dabei um ein belastendes Ereignis oder eine Situation, welche die betroffene Person selbst nicht bewältigen und verarbeiten kann. Ein Trauma resultiert oft aus einer psychischen oder physischen Gewalteinwirkung und äußert sich als "seelische Verletzung".
Derartige seelische Verletzungen können einen Menschen ein Leben lang beeinträchtigen. PTBS sind bekannt bei Soldat*innen, Polizist*innen, Menschen im Rettungswesen, aber auch bei Flüchtlingen, Opfern von Gewaltverbrechen oder Unfallopfern.
Belastende Ereignisse katastrophalen Ausmaßes können zum PTBS führen
Dem PTBS gehen regelmäßig ein oder mehrere belastende Ereignisse von außergewöhnlichem Umfang oder katastrophalem Ausmaß voran. Die Bedrohung muss dabei nicht unbedingt einen selbst betreffen. Sie kann auch bei anderen beobachtet und erlebt werden, wie im Falle eines schweren Unfalls, den man gesehen hat.
Die PTBS tritt üblicherweise innerhalb eines halben Jahres nach dem traumatischen Ereignis auf. Sie äußert sich durch verschiedene psychische und psychosomatische Symptome, führt aber auch zu weiteren Begleiterkrankungen. Zur PTBS sind Flashbacks, emotionale Taubheit und auch ein Gefühl der Hilflosigkeit bekannt.
Um das PTBS streiten viele Kläger*innen beim Sozialgericht
Berufsgenossenschaften und Sozialgerichte müssen sich häufig mit der Frage befassen, ob ein traumatisches Ereignis im Berufsleben zu einem PTBS führen kann. Lassen sich schwerwiegende psychische Beeinträchtigungen auf ein einziges traumatisches Ereignis von katastrophalem Umfang zurückführen, kommt die Anerkennung der PTBS als Arbeitsunfall in Betracht.
Häufig macht aber nicht ein einziges Ereignis krank. Vielfach ist es die Summe unterschiedlicher Situationen, der vor allem Menschen im Rettungsdienst, der Polizei, aber auch Feuerwehrleute oder Soldat*innen ausgesetzt sind. Die ersten Ereignisse stecken diese Menschen oft noch gut weg, vor allem, weil diese oft schon in jungen Jahren geschehen. Aber entgegen einer weit verbreiteten Ansicht, gewöhnt man sich nicht daran – im Gegenteil. Die Psyche wird angreifbarer und irgendwann bringt ein Ereignis, das für sich genommen nicht besonders schlimm sein muss, das Fass zum Überlaufen. Eine schwerwiegende psychische Erkrankung lässt sich in der Regel also nicht auf ein einziges Ereignis zurückführen.
Die Berufskrankheitenverordnung führt eine PTBS nicht auf
Berufsgenossenschaften können dann ebenso wenig wie die Dienstherren der Beamt*innen einen Arbeits- bzw. Dienstunfall anerkennen. Aber auch eine Berufskrankheit ließ sich bislang rechtlich nicht durchsetzen, denn die Berufskrankheitenverordnung führt die PTBS nicht auf.
Daran wollte der vor dem Bundessozialgericht klagende Rettungssanitäter etwas ändern. Er war im Rahmen seiner Tätigkeit unter anderem beim Amoklauf eines Schülers in Winnenden eingesetzt und wurde mehrfach mit Selbstmorden konfrontiert. Schon vor Jahren diagnostizierten die Ärzte bei ihm eine PTBS.
Der klagende Rettungssanitäter war vielen Traumatisierungen ausgesetzt
Der Bericht aus einem Heilverfahren wies darauf hin, dass der Kläger im Rettungsdienst viele traumatisierende Erlebnisse gehabt habe. Gleichzeitig habe er über Personalknappheit und ähnliche, ihn belastende Vorgänge in der Rettungswache berichtet. Begonnen habe seine Symptomatik nach zwei Amokläufen, als der Kläger als Helfer eingesetzt war sowie nach Suiziden zweier miteinander befreundeter Mädchen.
Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte sowohl das Vorliegen eines Arbeitsunfalles als auch einer Berufskrankheit ab. Die Beschwerden des Klägers seien nicht Folge eines einzigen Ereignisses und könnten deshalb als Arbeitsunfall nicht anerkannt werden. Die Anerkennung einer Berufskrankheit scheitere daran, dass die Berufskrankheitenverordnung eine solche Erkrankung nicht kenne.
Der Kläger streitet um die Anerkennung einer „Wie-Berufskrankheit“
Der Kläger bestand jedoch weiter darauf, an einer Berufskrankheit zu leiden. Zur Begründung verwies er auf § 9 Abs. 2 SGB VII, wonach eine Anerkennung einer sogenannten "Wie-Berufskrankheit“ (Wie-BK) in Betracht komme.
Bei einer solchen Wie-BK müssen die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Berufskrankheitenverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit anerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Berufskrankheit erfüllt sind.
Das Risiko muss höher sein als bei der Allgemeinbevölkerung
Das ist dann der Fall, wenn eine Erkrankung nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen durch besondere Einwirkungen verursacht ist, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.
Lesen Sie dazu mehr:
„Wie-Berufskrankheit“ – Was ist das denn?
Sozialgericht und Landessozialgericht gaben der BG recht
Dem Rettungssanitäter hatte sowohl das Sozialgericht als auch das Landessozialgericht entgegengehalten, es gebe keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse dafür, dass (allein) die wiederholte Konfrontation der Ersthelfer mit traumatischen Ereignissen generell geeignet sei, eine PTBS zu verursachen.
Der Rettungssanitäter brachte beim Bundessozialgericht vor, die eigenen Literaturrecherchen des Landessozialgerichts seien nicht geeignet, das Vorliegen neuer Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft beurteilen zu können. Es gebe zahlreiche Studien, die eine erhöhte Disposition für eine PTBS bei Rettungssanitätern belegen würden. Er falle durch alle Raster, wenn seine psychische Erkrankung, die die erlebten Ereignisse während seiner Tätigkeit ausgelöste hatten, weder als Arbeitsunfall noch als Berufskrankheit anerkannt werden könne.
Das Bundessozialgericht vertagte den Rechtsstreit
Das Bundessozialgericht hat zu dieser Frage verhandelt. Zu einem Urteil kam es jedoch nicht. Es vertagte den Rechtsstreit. Allein das ist schon etwas Besonderes. Das Bundessozialgericht hat nämlich angekündigt, dass es beabsichtigt, ein Gutachten einzuholen.
Das Gutachten soll sich mit der Frage befassen, ob die PTBS nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht wird, denen die Rettungssanitäter durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.
Das Ergebnis dieses Gutachtens darf mit Spannung erwartet werden. Bestätigt es die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse für den Zusammenhang einer PTBS mit der Tätigkeit des Rettungssanitäters, werden sicher viele weitere Verfahren in vielen unterschiedlichen Berufsbereichen folgen.
Das sagen wir dazu:
Im August 2017 trat die letzte Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung in Kraft. Darin wurden neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft aufgenommen, die verschiedene Berufskrankheiten betrafen, beispielsweise die Berufskrankheit Nummer 1320 (bösartige Neubildungen des lymphatischen, blutbildenden und verwandten Gewebes).
Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Frage, ob es neue medizinisch wissenschaftliche Erkenntnisse für die Anerkennung einer „Wie-BK“ gibt, ist regelmäßig die letzte Änderung der Berufskrankheitenverordnung.
Ob es für den Fall der posttraumatischen Belastungsstörung ein Hindernis sein wird, dass die letzte Änderung noch nicht sehr lange her ist, bleibt abzuwarten.
Beamt*innen können so schnell nicht profitieren
Für Beamt*innen gibt es aber bereits jetzt einen Dämpfer. Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es die Möglichkeit, außerhalb der feststehenden Berufskrankheitenverordnung eine Krankheit als „Wie-BK“ anzuerkennen. Im Dienstunfallrecht der Beamt*innen ist das nicht möglich. Eine entsprechende gesetzliche Bestimmung gibt es dort nicht.
Beamt*innen können deshalb nur Entschädigungen für anerkannte Dienstunfälle erhalten oder für Berufskrankheiten, die in der Berufskrankheitenverordnung als solche aufgeführt sind.
Sollte das vom Bundessozialgericht in Auftrag gegebene Gutachten die notwendigen medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisse für einen Zusammenhang der PTBS mit der Tätigkeit eines Rettungssanitäters ergeben, so könnten Beamt*innen davon nur profitieren, wenn die Berufskrankheitenverordnung diese Krankheit ausdrücklich mit aufnähme.
Lesen Sie mehr zur PTBS bei Polizist*innen:
Posttraumatische Belastungsstörung als Dienstunfall
Keine rückwirkende Anerkennung von Berufskrankheiten für Beamte.
Das sagen wir dazu