Sind Hartz-IV-Sanktionen verfassungswidrig? Das Bundesverfassungsgericht wird darüber in Kürze entscheiden. Copyright by bluedesign /fotolia
Sind Hartz-IV-Sanktionen verfassungswidrig? Das Bundesverfassungsgericht wird darüber in Kürze entscheiden. Copyright by bluedesign /fotolia

Wenn sich Bezieher von SGB II-Leistungen  - besser bekannt als Hartz IV  - nicht auf angebotene Stellen bewerben, Termine nicht wahrnehmen oder gegen andere Weisungen verstoßen, kann das Jobcenter die Leistungen streichen, bei wiederholten Verstößen sogar um 100 Prozent. Das Bundesverfassungsgericht hat nun zu prüfen, ob diese Regelung mit der Verfassung zu vereinbaren ist.
 

Kann man das Existenzminimum kürzen?

Aus Sicht der Gewerkschaften ist der Fall klar: Das Existenzminimum, das das Grundgesetz jedem Menschen zugesteht, kann nicht gekürzt werden. Annelie Buntenbach, Mitglied im DGB-Vorstand, sagte am Rande der Gerichtsverhandlung: „Betroffene können sich ganz grundlegende Bedürfnisse wie Lebensmittel, Medikamente oder Miete, Strom und Heizung nicht mehr leisten  - von gesellschaftlicher Teilhabe ganz zu schweigen.“
 
Buntenbach verweist darauf, dass eine Kürzung des Regelbedarf um 60 Prozent oder sogar 100 Prozent für die Betroffenen existenzgefährdend sei. Hartz-IV-Sanktionen dürfen nicht die Existenz gefährden
 
Das Verfassungsgericht hat in der Verhandlung deshalb zunächst zu klären versucht, wie geeignet die Minderungen sind, um Leistungsberechtigte zu motivieren, den Mitwirkungsanforderungen nachzukommen und dazu beizutragen, ihre Existenz eigenständig zu sichern.
 
Erörtert wurde außerdem, ob ein ausreichender Schutz vor negativen Auswirkungen insbesondere für Kinder und Angehörige in Bedarfsgemeinschaft besteht und inwieweit das Gesetz Härtefallregelungen vorsieht.
 

Verfahren basiert auf Richtervorlage

Bis es zu der Verhandlung kam, war es ein weiter Weg. Bereits im Jahr 2015 hatte das Sozialgericht Gotha dem Verfassungsgericht einen Fall vorgelegt, in dem es die Sanktionen als Verstoß gegen die Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot wertete. Sozialgericht hält Kürzung von Hartz IV für verfassungswidrig
 
Aus diesen Vorschriften ergebe sich das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das bei einer Kürzung oder kompletten Streichung des Arbeitslosengeldes II gefährdet sei.
 
Das Verfassungsgericht sah zwar in der Richtervorlage „durchaus gewichtige verfassungsrechtliche Fragen“ Es sei aber nicht auszuschließen, dass der angegriffene Bescheid schon aus anderen Gründen unwirksam sei, so dass es auf diese Frage nicht ankomme. Es wies die Vorlage als unzulässig ab. Verfassungsgericht beseitigt Hartz IV-Sanktionen nicht
 
Doch das Sozialgericht ließ nicht locker und legte nur wenige Monate nach der Abweisung der ersten Vorlage im August 2016 erneut einen Fall vor. Sozialgericht Gotha kämpft weiter gegen Hartz IV-Sanktionen
 
Auf dieser Vorlage fußt das jetzige Verfahren. Mit einer Entscheidung ist in einigen Monaten zu rechnen.
 
Hier gehts zur Pressemitteilung des BVerfG

Das sagen wir dazu:

Das Verfassungsgericht wird die Regelungen kaum so belassen, wie sie derzeit sind. Das zeigen schon die in der Verhandlung aufgeworfenen Fragen. Anders als viele andere Gesetze sieht das SGB II, in dem die Sanktionen geregelt sind, keine Härtefallklausel vor – allein das dürfte das Gesetz verfassungswidrig machen.

Untergrenze muss gewährleistet bleiben

Es ist auch kaum eine Pflichtverletzung denkbar, die eine Streichung auf null rechtfertigen würde. Ein Staat, der seine Bürger ohne ein absolutes Mindestmaß an Versorgung lässt, weil er nicht zu Terminen erscheint, die dieser ihm verordnet? Wo bleibt da die Menschenwürde?

Zudem müssen die Sanktionen in jedem Fall bestimmte Minimalleistungen unberührt lassen. Die Ausgaben für Miete und Heizen, für Essen und Haushalt, wird man schwerlich kürzen können. Bei Kosten für Bildung, Kultur und Gastronomie mag man streiten. Aber diese sind im Regelsatz ohnehin so gering veranschlagt, dass dies nur eine minimale Kürzung bedeuten kann.

Es ist zu erwarten, dass das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Reihe von Auflagen machen wird, die er bei der Sanktionierung beachten muss. Gut möglich, dass anschließend von der ursprünglichen Regelung nicht mehr viel übrig bleibt.

Rechtliche Grundlagen

§§ 31, 31a SGB II

§ 31 SGB II
(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis
1. sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Absatz 3 Satz 3 festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen,
2. sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,
3. eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.
Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) Eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist auch anzunehmen, wenn
1. sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Arbeitslosengeldes II herbeizuführen,

2. sie trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,

3. ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat, oder

4. sie die im Dritten Buch genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

§ 31a SGB II

(1) Bei einer Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Arbeitslosengeld II um 60 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig. Eine wiederholte Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt wurde. Sie liegt nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt. Erklären sich erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachträglich bereit, ihren Pflichten nachzukommen, kann der zuständige Träger die Minderung der Leistungen nach Satz 3 ab diesem Zeitpunkt auf 60 Prozent des für sie nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs begrenzen.

(2) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung nach § 31 auf die für die Bedarfe nach § 22 zu erbringenden Leistungen beschränkt. Bei wiederholter Pflichtverletzung nach § 31 entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig. Absatz 1 Satz 4 und 5 gilt entsprechend. Erklären sich erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nachträglich bereit, ihren Pflichten nachzukommen, kann der Träger unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ab diesem Zeitpunkt wieder die für die Bedarfe nach § 22 zu erbringenden Leistungen gewähren.

(3) Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs kann der Träger auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Der Träger hat Leistungen nach Satz 1 zu erbringen, wenn Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben. Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mindestens 60 Prozent des für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs soll das Arbeitslosengeld II, soweit es für den Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Absatz 1 erbracht wird, an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden.

(4) Für nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte gilt Absatz 1 und 3 bei Pflichtverletzungen nach § 31 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechend.