Wer mit dem Antrag auf Arbeitslosengeld wartet, bis die Abfindung aufgebraucht ist, kann Pech auf der ganzen Linie haben. Copyright by Adobe Stock/Elnur
Wer mit dem Antrag auf Arbeitslosengeld wartet, bis die Abfindung aufgebraucht ist, kann Pech auf der ganzen Linie haben. Copyright by Adobe Stock/Elnur

Im Juni 2017 schloss der Kläger im Alter von 57 Jahren mit seinem Arbeitgeber, einem großen saarländischen Unternehmen, einen Aufhebungsvertrag. Er erhielt eine Abfindung von rund 200.000 €. Nach fast 30 Jahren Betriebszugehörigkeit sollte das Arbeitsverhältnis im September 2017 enden.
 
Die Kündigungsfrist war nicht eingehalten. Der Kläger war laut Tarifvertrag unkündbar. Wird ein Arbeitsverhältnis dennoch unter Zahlung einer Abfindung beendet, regelt das Gesetz die Einzelheiten für die Gewährung von Arbeitslosengeld.
 

Es gilt eine fiktive Kündigungsfrist von 18 Monaten

Hat nämlich der*die Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten oder zu beanspruchen und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der Frist für eine ordentliche Kündigung beendet worden, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Frist geendet hätte. Ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, so gilt eine Kündigungsfrist von 18 Monaten.
 
Der Kläger hatte sein Arbeitsverhältnis im Juni 2017 beendet, obwohl es ordentlich nicht hätte gekündigt werden dürfen. Hier greift die fiktive Kündigungsfrist von 18 Monaten, die mit dem Ablauf des Monats Dezember 2018 endete. Der Kläger hätte mithin frühestens im Januar 2019 Arbeitslosengeld bekommen können.
 

Der Kläger meldete sich ab Januar 2019 arbeitssuchend

Erst im Laufe des Monats Oktober 2018 stellte der Kläger deshalb seinen formalen Antrag auf die Gewährung von Arbeitslosengeld. Er meldete sich dabei arbeitssuchend ab Januar 2019. Die Agentur für Arbeit meinte jedoch, das sei zu spät. Er habe zu diesem Zeitpunkt die gesetzlich vorgeschriebene Anwartschaftszeit nicht erfüllt.
 
Dazu müsse er in den letzten beiden Jahren wenigstens zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein. Das sei bei ihm jedoch nicht der Fall.
 

Der Kläger hätte erst ab Januar 2019 Arbeitslosengeld beziehen können

Das wollte der Kläger nicht gelten lassen. Er wies darauf hin, die Agentur für Arbeit habe ihn falsch beraten. Er hätte sein Arbeitslosengeld früher beantragt, wenn ihm die Rechtslage bekannt gewesen sei. Laut Steuerberater habe er wegen der Abfindung erst im Januar 2019 Arbeitslosengeld beziehen können. Deshalb habe er sich zu diesem späten Termin für seine Meldung entschieden.
 
Die Kläger wies im Verfahren ausdrücklich darauf hin, dass er sich schon im September 2018 persönlich bei der Beklagten gemeldet hatte. Die Sachbearbeiterin habe seinen Antrag aber damals nicht entgegengenommen.
 

Der zugesagte Anruf blieb aus

Stattdessen habe sie ihm für den nächsten Tag zur weitergehenden Beratung einen Rückruf in Aussicht gestellt. Dieses Telefonat sei aber nicht zustande gekommen.
 
Im September hätte er die 12-monatige Anwartschaftszeit jedoch noch erfüllt gehabt. Denn ausgehend von diesem Datum habe er in den letzten zwei Jahren noch 12 Monate lang gearbeitet.
 
Hätte er im September 2018 die richtigen Informationen erhalten, wäre sein Problem nicht aufgetreten. Er hätte sich dann früher arbeitslos gemeldet. Die verspätete Antragstellung habe die Beklagte zu vertreten. Sie habe ihn falsch beraten. Er habe nur die Information erhalten, er müsse seinen Antrag innerhalb einer Frist von drei Monaten vor dem gewünschten Start des Arbeitslosengeldbezuges stellen.
 

Den Antrag hatte der Kläger schon im September 2018 gestellt

Er habe seinen Antrag ursprünglich auch schon im September 2018 stellen wollen. Er sei deshalb auch persönlich bei der Agentur für Arbeit erschienen. Beraten habe man ihn damals nicht. Lediglich ein Anruf sei in Aussicht gestellt worden, aber nicht gekommen.
 
Deswegen habe er sich im Oktober 2018 noch einmal an die Beklagte gewandt. Erst dann habe er auch das Antragsformular ausgefüllt. Das hätte er aber schon im September tun können. Nur wegen dieser zeitlichen Verzögerung erhalte er nun kein Geld.
 

Einen Beratungsfehler sah das Gericht nicht

Das Sozialgericht sah allerdings keinen Beratungsfehler der Agentur für Arbeit. Wer Arbeitslosengeld haben wolle, müsse sich bei der Agentur für Arbeit persönlich vor Ort arbeitslos melden. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis schon im Oktober 2017 beendet. Er habe sich anschließend Anfang September 2018 arbeitslos gemeldet.
 
Auf den formalen Antrag vom Oktober 2018 komme es nicht an. Der Kläger habe im September schon bei der Arbeitsagentur vorgesprochen. Das reiche für eine Arbeitslosmeldung aus.
 

Der gewählte Zahlungsbeginn war das Problem

Dennoch müsse die Agentur für Arbeit kein Arbeitslosengeld zahlen. Der Kläger habe nämlich bei seiner Meldung im September 2018 angegeben, erst im Januar 2019 Arbeitslosengeld beziehen zu wollen. Dass man ihn zu diesem Zeitpunkt dahingehend beraten habe, er müsse sich erst drei Monate vorher melden, stelle keinen Beratungsfehler dar. Diese Auskunft sei richtig gewesen.
 
Nach dem Gesetz dürfe der Kläger wählen, ab welchem Datum er Arbeitslosengeld erhalten wolle. Unter Zugrundelegung einer persönlichen Arbeitslosmeldung im September 2018 habe der Kläger bestimmt, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld erst im Januar 2019 entstehen solle. Zu diesem Zeitpunkt habe er die gesetzlich geforderte Anwartschaftszeit nicht mehr erfüllt.
 

Der Kläger hatte keine ausreichenden Beitragszeiten

Dazu hätte er innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Arbeitslosmeldung zwölf Monate in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden haben müsse. Das habe er jedoch nicht. Zum Zeitpunkt des gewünschten Beginns der Arbeitslosengeldzahlung im Januar 2019 könne der Kläger keine zwölfmonatige Beschäftigung für die letzten beiden Jahren nachweisen.
 
Nach dem Gesetz bestehe deshalb kein Anspruch auf die Gewährung von Arbeitslosengeld.
 

Hilft der sozialrechtliche Herstellungsanspruch weiter?

Im Wege des sogenannten „sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs“ könne dem Kläger ebenfalls kein Zahlungsanspruch zugesprochen werden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch betreffe Fälle, in denen Verwaltungsfehler nicht nur zu einer rechtswidrigen Verwaltungsentscheidung führten. Sie müssten darüber hinaus auch bewirken, dass Betroffene eine für sich selbst ungünstige Entscheidung treffen.
 
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setze daher voraus, dass der Sozialleistungsträger aufgrund Gesetzes oder aufgrund des bestehenden Sozialrechtsverhältnisses dem Betroffenen gegenüber eine Pflicht zur Auskunft und Beratung verletzt habe. Dadurch müsse dem Betroffenen ein rechtlicher Nachteil entstanden sein.
 

Die Beklagte hatte keine gesetzliche Pflicht verletzt

Nur dann führe der sozialrechtliche Herstellungsanspruch die Rechtsfolge herbei, die eingetreten wäre, wenn der Sozialleistungsträger die ihm obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllt habe. Eine solche Pflicht habe die Beklagte jedoch nicht verletzt.
 
Dass der Kläger sich erst drei Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit melden müsse, stelle keinen Beratungsfehler dar. Diese Angaben der Mitarbeiterin habe den Kläger nicht zu einer für ihn ungünstigen Entscheidung veranlasst.
 

Es gab keine falsche Beratung zur Wahlmöglichkeit

Der zugesicherte Rückruf der Beklagten sei erfolgt, der Kläger sei aber nicht erreichbar gewesen. Damit habe die Beklagte ihrer Beratungspflicht Genüge getan.
 
Dass der Kläger aus eigenem Antrieb dann erst später um weitere Beratung ersucht habe, sei der Beklagten nicht anzulasten. Mangels Beratungsfehler komme ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht in Betracht. Arbeitslosengeld könne der Kläger deshalb nicht erhalten.
 
Das Verfahren geht nun in die Berufung.

Hier geht es zum Urteil

Rechtliche Grundlagen

§ 137 II SGB III, § 158 SGB III

Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594)
§ 137 Anspruchsvoraussetzungen bei Arbeitslosigkeit
(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat, wer

1.
arbeitslos ist,
2.
sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und
3.
die Anwartschaftszeit erfüllt hat.

(2) Bis zur Entscheidung über den Anspruch kann die antragstellende Person bestimmen, dass der Anspruch nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll.

Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594)
§ 158 Ruhen des Anspruchs bei Entlassungsentschädigung
(1) Hat die oder der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte. Diese Frist beginnt mit der Kündigung, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorausgegangen ist, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem Tag der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, so gilt bei

1.
zeitlich unbegrenztem Ausschluss eine Kündigungsfrist von 18 Monaten,
2.
zeitlich begrenztem Ausschluss oder Vorliegen der Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund die Kündigungsfrist, die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündigung maßgebend gewesen wäre.

Kann der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden, so gilt eine Kündigungsfrist von einem Jahr. Hat die oder der Arbeitslose auch eine Urlaubsabgeltung (§ 157 Absatz 2) erhalten oder zu beanspruchen, verlängert sich der Ruhenszeitraum nach Satz 1 um die Zeit des abgegoltenen Urlaubs. Leistungen, die der Arbeitgeber für eine arbeitslose Person, deren Arbeitsverhältnis frühestens mit Vollendung des 50. Lebensjahres beendet wird, unmittelbar für deren Rentenversicherung nach § 187a Absatz 1 des Sechsten Buches aufwendet, bleiben unberücksichtigt. Satz 6 gilt entsprechend für Beiträge des Arbeitgebers zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung.
(2) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht nach Absatz 1 längstens ein Jahr. Er ruht nicht über den Tag hinaus,

1.
bis zu dem die oder der Arbeitslose bei Weiterzahlung des während der letzten Beschäftigungszeit kalendertäglich verdienten Arbeitsentgelts einen Betrag in Höhe von 60 Prozent der nach Absatz 1 zu berücksichtigenden Entlassungsentschädigung als Arbeitsentgelt verdient hätte,
2.
an dem das Arbeitsverhältnis infolge einer Befristung, die unabhängig von der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestanden hat, geendet hätte, oder
3.
an dem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist hätte kündigen können.

Der nach Satz 2 Nummer 1 zu berücksichtigende Anteil der Entlassungsentschädigung vermindert sich sowohl für je fünf Jahre des Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen als auch für je fünf Lebensjahre nach Vollendung des 35. Lebensjahres um je 5 Prozent; er beträgt nicht weniger als 25 Prozent der nach Absatz 1 zu berücksichtigenden Entlassungsentschädigung. Letzte Beschäftigungszeit sind die am Tag des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der letzten zwölf Monate; § 150 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 und Absatz 3 gilt entsprechend. Arbeitsentgeltkürzungen infolge von Krankheit, Kurzarbeit, Arbeitsausfall oder Arbeitsversäumnis bleiben außer Betracht.
(3) Hat die oder der Arbeitslose wegen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses unter Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses eine Entlassungsentschädigung erhalten oder zu beanspruchen, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.
(4) Soweit die oder der Arbeitslose die Entlassungsentschädigung (Arbeitsentgelt im Sinne des § 115 des Zehnten Buches) tatsächlich nicht erhält, wird das Arbeitslosengeld auch für die Zeit geleistet, in der der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht. Hat der Verpflichtete die Entlassungsentschädigung trotz des Rechtsübergangs mit befreiender Wirkung an die Arbeitslose, den Arbeitslosen oder an eine dritte Person gezahlt, hat die Bezieherin oder der Bezieher des Arbeitslosengeldes dieses insoweit zu erstatten.