Wenn das BAföG nicht reicht, um die Ausbildung zu finanzieren...Copyright by  fotomek/Fotolia
Wenn das BAföG nicht reicht, um die Ausbildung zu finanzieren...Copyright by fotomek/Fotolia

Die junge Frau Neumann hat es erfasst: Mit Mindestlohn-Jobs oder in einer Zeitarbeitsfirma kann sie nicht sicher für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Sie holt über die Volkshochschule ihren mittleren Reifeabschluss nach.
 
Sie überlegt, was ihr liegt und ob diese Tätigkeit nach der Ausbildung auch ihren Lebensunterhalt so sichern kann, dass sie Hartz IV dauerhaft „Adieu“ sagen kann.

 

 

Trotz Anspruch auf Arbeitslosengeld I reicht das Geld nicht

Bei Geringverdienern wie Frau Neumann reicht bei Arbeitslosigkeit das Geld nicht für das Existenzminimum. Die junge Frau rutscht wegen der Höhe des Arbeitslosengeldes (ca. 60 % ihres bisherigen Nettos) wieder in den Bezug von Hartz IV. Denn mit dem niedrigen Arbeitslosengeld hat sie schon nicht genügend Mittel, um die Kosten der Unterkunft zu tragen und wenigstens das Existenzminimum zu erreichen. Sie erhält dann Arbeitslosengeld II als aufstockende Leistung.
 
Aus diesem Kreislauf will sie raus.
 

BAföG allein reicht nicht, um die Ausbildung zu finanzieren

Die Entscheidung fällt auf eine medizinische technische Ausbildung. Sie bewirbt sich bei einer Schule mit einem guten Ruf, die sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichen kann und wird genommen.
Diese Ausbildung wird auch mit BAföG gefördert.
 
Als Erwachsene, die nicht bei den Eltern wohnt, erhält sie den Höchstsatz von 504 €. Die BAföG Leistungen soll dem Begünstigten ermöglichen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und sich auf die Ausbildung zu konzentrieren. Doch 504 € für Miete, Leben und Ausbildung, das reicht nicht.
 

Grundsatz: keine Hartz IV-Leistungen für BAföG-Empfänger

Diejenigen, die für eine Ausbildung oder das Studium BAföG erhalten können, haben grundsätzlich keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen nach dem SGB II.
 
Doch kein Grundsatz ohne Ausnahmen. Diese sind in § 7 Abs. 6 SGB II geregelt.
Ausnahmen gelten für Schüler an Berufsfachschulen und Fachschulen, deren Besuch keine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt. Zudem bei Schülern und Studenten, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen, weil die Ausbildungsstätte zu weit entfernt liegt, sie verheiratet sind oder sie mit eigenen Kindern in einem Haushalt leben. Frau Neumann fällt unter die Ausnahmeregelung.
 

Wie gewonnen, so zerronnen?

Das Jobcenter wertet das BAföG als Einnahme und will von diesen Einnahmen lediglich 100 € als anrechnungsfrei ansehen.
 
BAföG soll dem Begünstigten die Möglichkeit geben, auch diejenigen Ausbildungskosten zu stemmen, die zur Erlangung des Ausbildungszieles anfallen. Bei Frau Neumann sind das ca. 200 € Schulgeld und Fahrtkosten im Monat. Bleibt es bei der Berechnung des Jobcenters, müsste sie aus dem Hartz IV-Regelsatz, der auf das Existenzminimum gerechnet und 424 € (Stand 2019) monatlich beträgt, schon allein 100 € für die Ausbildung ausgeben.
 

Wie rechnet die Behörde?

Das Jobcenter macht eine Bedarfsberechnung. Bei einem Regelsatz von 424 € plus die Kosten für Miete und Heizung (hier 400 €), ermittelt die Behörde einen Bedarf von 824 €.
 
Demgegenüber steht eine Einnahme von BAföG (504 € -100 € anrechnungsfrei) gleich 404 €.
Es verbleibt ein errechneter Bedarf von 420 €, die Frau Neumann von der Behörde bekommt. Zusammen mit 504 € BAföG hat sie damit 924 € zur Verfügung.
Das klingt erst mal auskömmlich, aber davon gehen 400 € an Miete ab, so dass 524 € verbleiben. Aus dem Regelsatz ist zum Beispiel auch der Strom zu zahlen (- 50 € gleich 474 €). Weiter gehen das Schulgeld und die Fahrtkosten mit 200 € ab. Es verbleiben 274 € für alle Kosten, angefangen von Nahrung, Kleidung und Ersatzkäufen, falls etwas kaputtgeht. Da ging bald gar nichts mehr.
 

Hilfe durch den gewerkschaftlichen Rechtsschutz

Und als die Behörde auch noch die Wohnung als zu teuer und unangemessen bewertete, versuchte es Frau Neumann mit einem Nebenjob, um wenigstens den Freibetrag von 100 € Hinzuverdienst auszunutzen. Dieser Nebenverdienst wurde aber voll angerechnet, weil der Freibetrag schon beim BAföG angewendet worden ist.
 
Die junge Frau wandte sich an ihre Gewerkschaft. Das Widerspruchsverfahren war erfolglos. Nach Einreichung der Klage beraumt das Sozialgericht einen sogenannten Erörterungstermin an. Das ist ein Termin vor dem Sozialgericht, in dem noch keine Entscheidung ergehen kann.
 

Argumentation der Behörde

Das Jobcenter hatte zunächst grundsätzlich eingewendet, dass nur 100 € Freibetrag in Betracht kämen und keine tatsächlichen Kosten anerkannt würden. Diese Rechtsprechung fußte aber noch auf einem alten Gesetzestext und ließ sich nach der neuen Formulierung im SGB II nicht mehr aufrechterhalten.
 
Neue Ablehnungsgründe wurden gesucht und argumentiert, die Kosten seien nicht notwendig, da die Klägerin auch eine kostenfreie Schule in einer anderen Stadt hätte besuchen können.
 

Argumente der Klägerin

Für die Klägerin konnte der DGB Rechtsschutz Düren erfolgreich anführen, dass die Gesetzesänderung nunmehr eine Berücksichtigung der konkreten Kosten vorsieht. Die Klägerin konnte auch darlegen, dass die konkreten Kosten notwendig sind. Denn die Schule ohne Schulgeld wäre, wenn überhaupt, nur mit einem großen Zeitaufwand zu erreichen. Außerdem gilt auch für die Klägerin das grundgesetzliche geschützte Recht auf freie Berufswahl.
 
Ziel des Verfahrens war, eine geringere Anrechnung vom BAföG als Einkommen zu erreichen. Die Kosten für die Schule sollten dafür ähnlich wie Werbungskosten im Steuerrecht zu bewerten sein.
 

Dringender Appell des Gerichts auf Einigung

Das Gericht hat im Erörterungstermin die Klägerin ausführlich befragt, warum sie diese Schule gewählt habe, bei der sie doch Schulgeld zahlen musste.
Am wichtigsten wog für die Klägerin die Auskunft, dass sie mit Bestehen der dortigen Abschlussprüfung eine Art Jobgarantie sah. Diese Schule hatte ganz kurzfristig entschieden, wer genommen würde und war außerdem mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Fahrrad zum Bahnhof, Zugfahrt und kurze Fußstrecke) gut zu erreichen.
 
Das Gericht hatte vergeblich nach Rechtsprechung zur Frage anrechnungsfreier Einnahmen beim BAföG gesucht. Dazu sind die gesetzlichen Änderungen wohl noch zu neu. Eine Parallele zur Absetzbarkeit bei der Steuer, wollte das Gericht nicht ziehen, da dies zu eng gefasst sei. Aber das Grundrecht auf freie Berufswahl dürfe man nicht aus dem Auge verlieren.
 
Das Gericht schätzte die Erfolgschancen der Klägerin höher ein, als die der Behörde. Es ging davon aus, dass derjenige, der verliert, Berufung beim Landessozialgericht einlegen wird. Dies ebenso beim zweiten streitigen Punkt über die Höher der Kosten der Unterkunft. Er regte daher dringend eine außergerichtliche Einigung der Parteien an.
 

Klägerin entscheidet sich für erhöhte Leistung noch während der Ausbildung

Tatsächlich gelang eine Verständigung mit der Behörde. Bei der Berechnung der Einnahmen wurden diese um die tatsächlichen Kosten wie Schulgeld, Fahrtkosten und auch die übliche 30 € Pauschale gekürzt. Es gab neue Bescheide über fast zwei Jahre und eine schöne Nachzahlung für die Klägerin. Die Auszahlungen für die restliche Ausbildungszeit erhöhten sich entsprechend.
 
Die Klägerin hat richtig überlegt, dem Vergleich zuzustimmen. Ein Vergleich heißt gegenseitiges nachgeben. Sie musste im Gegenzug die Kürzung der Kosten der Unterkunft hinnehmen. Das war bitter genug.
 
Die Chance voll zu gewinnen, aber wegen der Prozessdauer von zwei Instanzen noch lange zu darben, war abzuwägen mit dem Vorteil der schnellen Nachzahlung und zumindest deutlichen Verbesserung für die restliche Ausbildungszeit.
Mit dem sicheren Geld hatte sie die Nachzahlung sowie über 100 € mehr im Monat. Das sind 37 % mehr als vorher und der entscheidende Punkt. Selbst, wenn sich durch den Rechtsstreit die Nachzahlung verdoppeln sollte. Jetzt fehlt das Geld so dringend und die Nachzahlung würde sie, wenn sie gewinnt, erst zu einem Zeitpunkt bekommen, zu dem sie bereits als gelernte Kraft verdient. Daher die eindeutige Entscheidung für den Vergleich.
 

Fazit:

Gerade bei Gesetzesänderungen ist schon einmal neu zu denken.
Der Gesetzgeber dreht an einem Rädchen, in dem er einen Paragrafen oder einen Unterabsatz eines Gesetzes ändert. Das wirkt sich dann auch an anderer Stelle aus. Somit konnte sich die Behörde hier nicht auf die alte Rechtsprechung berufen. Neue gibt es dazu noch nicht.
 
Bei politischen Entscheidungen hat man häufig den Eindruck, Ausgaben werden dort ohne größere Prüfung bewilligt. Im Gegenzug erleben wir, dass bei den schwächsten, den Harz IV Empfängern, aufwändig nach Gründen gesucht wird, um eine Anspruchserhöhung für den Betroffenen zu verhindern.
Das ist hier zum Glück nicht gelungen und wirtschaftlich ist es allemal, denn Frau Neumann wird mit Bestehen der Prüfung gute Jobperspektiven haben.
 
 
LINKS:
Die Regelung des § 7 SGB II ist hier nachzulesen

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