Ein höherer Bedarf an Heizstrom setzt keine technische Ermittlung des Verbrauchs voraus. Das Landessozialgericht Berlin muss nun die Amtsermittlung na
Ein höherer Bedarf an Heizstrom setzt keine technische Ermittlung des Verbrauchs voraus. Das Landessozialgericht Berlin muss nun die Amtsermittlung na

Beim Arbeitslosgeld II sind die Kosten für Strom im Regelsatz erhalten. Das bedeutet: Der Leistungsempfänger muss die Stromrechnung aus der normalen monatlichen Zahlung vom Jobcenter begleichen. Es gibt nichts zusätzlich wie bei den Heizkosten. 

Mehrbedarf für dezentrale Warmwassererzeugung

Gesondert geregelt ist im zweiten Sozialgesetzbuch die dezentrale Warmwasserzubereitung. Wer mittels eines Warmwasserspeichers oder eines Durchlauferhitzers sein Wasser mit Strom erhitzt, erhält einen Mehrbedarf in Höhe von 2,3 Prozent des Regelbedarfes, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht (§ 21 Absatz 7 SGB II).

Die Frage, mit der sich das Bundessozialgericht (BSG) zu beschäftigen hatte, war, ob über die Pauschale hinaus Heizstrom als Bedarf anzuerkennen sein kann, wenn die Kosten für die Warmwassererzeugung nicht gesondert erfasst werden. 

Wohnung im Altbau ist technisch nicht auf dem neuesten Stand

Der Kläger bewohnt eine 2-Zimmer-Wohnung in einem 1910 erbauten Haus. Die Wohnung wird mit Kohle beheizt. Die Warmwassererzeugung erfolgt über einen Durchlauferhitzer in der Küche. Auch das Warmwasser im Bad wird durch den Durchlauferhitzer erzeugt. Die Wasserleitung zwischen Durchlauferhitzer und Waschbecken und Dusche ist nicht isoliert und verläuft über Putz.

Die Stromleitung zum Durchlauferhitzer verläuft unter Putz. Technisch ist es nicht möglich, ein Messgerät zwischenzuschalten und den Stromverbrauch des Durchlauferhitzers gesondert zu erfassen.

Schon 2007 hatte der Kläger das Jobcenter über die technische Ausstattung seiner Wohnung informiert und deshalb einen höheren Mehrbedarf für die Warmwassererzeugung geltend gemacht. Das Jobcenter lehnte ab, auch einen späteren Antrag. Im Streit steht im gerichtlichen Verfahren der Zeitraum Dezember 2010 bis Dezember 2012.  

Klage und Berufung beim Sozialgericht und Landessozialgericht Berlin ohne Erfolg

Mit seiner Klage und anschließender Berufung war der Kläger nicht erfolgreich. Die Berliner Sozialrichter waren der Ansicht, einen höheren Betrag als die gesetzliche Pauschale könne der Kläger nicht beanspruchen, da er einen höheren Bedarf nicht nachweisen könne.

Die Krux liegt hier darin, dass die Kosten für die Warmwassererzeugung nicht gesondert erfasst werden. Doch ganz so leicht dürfen es sich Jobcenter und Sozialgerichte nicht machen, wie es das BSG erfreulicherweise sieht.

Nichtzulassungsbeschwerde und Revision beim BSG erfolgreich

Den ersten Erfolg konnte das Gewerkschaftliche Centrum für den Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde erzielen. Das Landessozialgericht (LSG) hatte die Revision zum BSG nicht zugelassen. Die Revision war aber zuzulassen, weil das Verfahren eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft.

Auch die Berufung war im Sinne einer Zurückverweisung an das LSG erfolgreich.

Nach dem LSG komme es nicht darauf an, ob sich aus dem vom Kläger vorgetragenen baulichen Zustand und Alter seiner Anlagen ein abweichender Bedarf ergebe. Denn ein solcher setze voraus, dass der abweichende Bedarf mit einer technischen Einrichtung konkret ermittelt werden kann. Das sieht das BSG anders. Es hat das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das LSG zurückverwiesen. 

BSG erinnert an Amtsermittlungsgrundsatz und das menschwürdige Existenzminimum

Die Zurückverweisung erfolgte wegen fehlender Feststellungen. Das LSG muss nun also doch ermitteln, also den Kläger und eventuell einen Sachverständigen befragen und nach einer Beweiswürdigung entscheiden. Eine Schätzung schließt das BSG als Möglichkeit aus.

Bastian Brackelmann, der den Kläger im Revisionsverfahren vertrat, hatte moniert, dass die Sozialgerichte in erster und zweiter Instanz ihrer Pflicht zur Amtsermittlung nicht hinreichend nachgekommen waren. Aufgrund der gesetzlichen Formulierung zur Pauschale für den Mehrbedarf („…soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht“) hatten die Richter der ersten und zweiten Instanz dem Kläger die volle Beweislast für den konkreten Verbrauch an Heizstrom auferlegt.

Das BSG sagt dazu, dass eine technische Einrichtung zur Erfassung des Verbrauchs nicht Voraussetzung für eine abweichende Bemessung sei. Wie bei anderen streitigen Bedarfen müsse daher die Verwaltung und dann das Gericht von Amts wegen ermitteln. Es weist daraufhin, dass nach der gesetzlichen Konzeption auch dieser Mehrbedarf der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums diene, die auf eine realitätsgerechte Erfassung des zu deckenden Bedarfs ziele.

LINKS:

Den Terminsbericht vom Bundessozialgericht zur Entscheidung vom 7.12.2017 gibt es hier. 

Lesen Sie auch unsere Artikel:

Kein Anspruch auf unbegrenzte Übernahme der Wohnkosten

Zuschuss statt Darlehen, wenn Leistungsbezug absehbar kurz ist

Kosten für Unterkunft und Heizung auch im Eilverfahren

Das sagen wir dazu:

Die Begründung von Sozialgericht und Landessozialgericht ist schon nahezu perfide. Nicht selten dürfte es vorkommen, dass Bezieher von Arbeitslosengeld II in nicht sanierten Altbauten wohnen, die alles andere als auf dem technisch neuesten Stand sind. Dazu werden sie ja nahezu gezwungen, da die Wohnkosten gemessen am örtlichen Mietspiegel angemessen sein müssen. Ein Neubau oder kernsanierter Altbau dürfte grade in Berlin selten im niedrigen Mietniveau zu finden sein.

Also sitzt man, wie der Kläger, in einem Altbau, in dem das Wasser in Küche und Bad mit einem Durchlauferhitzer erwärmt wird und in dem es technisch nicht möglich ist, den konkreten Verbrauch des Stroms fürs Aufheizen festzuhalten. Wenn die Berliner Sozialrichter aus diesem Umstand der technischen Nicht-Ausstattung solcher Wohnungen nun den Schluss ziehen wollen, dass mangels Erfassung ein höherer Bedarf an Heizstrom nicht in Frage kommt, ist es gut, dass das BSG Einhalt geboten hat.  

Baulicher Zustand muss Bedeutung haben bei der Ermittlung des richtigen Bedarfes 

In der Sache kann Ergebnis der Ermittlungen vom LSG sein, dass die pauschalen Bemessungssätze den Bedarf des Klägers bei dezentraler Warmwassererzeugung wie im Allgemeinen hinreichend decken können. Doch selbst wenn es am Ende für den Kläger keine höheren Leistungen geben sollte, so ist zu begrüßen, dass es das BSG den Jobcentern und Sozialgerichten hier nicht so leichtmacht und diese nicht mangels technischer Vorrichtungen ablehnen dürfen. Zu einer realitätsgerechten Erfassung des Bedarfs, an die das BSG die Vorinstanzen erinnert, muss auch der bauliche Zustand einer Wohnung gehören. Alles andere wäre realitätsfremd.