Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen kassiert, das eine vorläufige Kostenübernahme abgelehnt hatte. Das Gericht überspanne die Anforderungen an die Eilbedürftigkeit.

Streit um Bedarfsgemeinschaft

Geklagt hatte ein Bezieher von Grundsicherung („Hartz IV“), der mit einer weiteren Person in einem Haushalt lebte. Das Jobcenter ging davon aus, dass eine Bedarfsgemeinschaft vorliegt und bewilligte die Kosten nur in reduziertem Umfang.

Der Leistungsempfänger beantragte daraufhin, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung zumindest vorläufig gezahlt werden. Das Sozialgericht gab ihm insofern auch Recht.

Allerdings hob das Landessozialgericht diese Gewährung wieder auf: Solange der Vermieter noch keine Räumungsklage erhoben habe, drohe keine Wohnungs- oder Obdachlosigkeit. Daher fehle die notwendige Eilbedürftigkeit für eine vorläufige Gewährung.

Effektiver Rechtsschutz grundgesetzlich geboten

Dieser Ansicht widersprach nun das Bundesverfassungsgericht entschieden: Das Gericht habe es versäumt, die Eilbedürftigkeit anhand der Umstände des Einzelfall zu prüfen und sich stattdessen nur pauschal darauf bezogen, ob schon eine Räumungsklage erhoben worden ist.

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fuße auf dem grundrechtlichen Gebot des effektiven Rechtsschutzes gegen jegliche Akte der öffentlichen Gewalt. Vor diesem Hintergrund müsse auch die Sozialgerichtsbarkeit im Eilrechtsschutz entscheiden, wenn den Antragstellern sonst eine erhebliche, irreversible Verletzung ihrer Rechte drohe.

Je wahrscheinlicher es ist, dass erhebliche Belastungen eintreten, die auch nicht wieder rückgängig zu machen sind, desto eher müsse Eilrechtsschutz möglich sein. Die Gerichte dürften hier keinen übermäßig strengen Maßstab anlegen.

Nicht nur Obdachlosigkeit ist Nachteil

Vor diesem Hintergrund habe die Entscheidung des Landessozialgerichts die Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit überspannt. Insbesondere fehle eine Auseinandersetzung mit den konkret drohenden Folgen der Rechtsversagung.

Das LSG liege falsch, wenn es als Nachteil nur die Obdachlosigkeit zum Maßstab nehme. Auch ein Wechsel der Wohnung müsse vermieden werden. Insgesamt müssten alle negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art berücksichtigt werden, die ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für den Beschwerdeführer gehabt hätte.

Auch das Abstellen auf die Räumungsklage als sehr späten Zeitpunkt sei unverhältnismäßig. Denn dann sei das Mietverhältnis schon gekündigt und der Verlust der Wohnung könne nicht mehr ausgeschlossen werden. Auch hiermit habe sich das LSG nicht auseinander gesetzt.

Hier gibt es den vollständigen Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgericht vom 01. August 2017 - Az.: 1 BvR 1910/12


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Das sagen wir dazu:

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung den Prüfungsmaßstab für den einstweiligen Rechtsschutz erfreulich klar definiert: Ausgangspunkt ist der Anspruch des Leistungsbeziehers auf angemessene Unterkunft.

Es geht um Einzelfallprüfung

Dieser Anspruch muss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gesichert werden. Je erheblicher und konkreter der Anspruch bedroht ist, desto eher besteht ein Anspruch auf vorläufige Kostenübernahme. Geprüft wird der Einzelfall.

Das hat das Landessozialgericht hier unterlassen und sich stattdessen auf den Standpunkt gestellt, es müsse erst die Räumung drohen. Das Verfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass das schon zu spät sein kann. Außerdem könne ein Anspruch auf einstweiligen Rechtsschutz schon dann gegeben sein, wenn andere Nachteile drohen.

Das Bundesverfassungsgericht hat damit einen realistischen und einzelfallbezogenen Maßstab angelegt, der als Richtschnur für künftige Entscheidungen der Sozialgerichte dienen kann.

Rechtliche Grundlagen

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 19 (4)

(4) 1Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. 2Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. 3Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.