Wer krank ist, kann keinen Erholungsurlaub nehmen. © Adobe Stock TheVisualsYouNeed
Wer krank ist, kann keinen Erholungsurlaub nehmen. © Adobe Stock TheVisualsYouNeed

Anne Gebhardt vom DGB Rechtsschutzbüro Ludwigshafen vertrat vor dem Arbeitsgericht einen Kläger, dem es um die Übertragung seines Jahresurlaubes in das Folgejahr ging. Er war fast das ganze Jahr 2020 krank und konnte den Urlaub nicht antreten.

 

Urlaub dient der Erholung

 

Auf das Arbeitsverhältnis des Chemiearbeiters findet der Manteltarifvertrag für die chemische Industrie (MTV) Anwendung. In § 12 MTV heißt es, der Urlaub diene der Erholung und der Erhaltung der Arbeitskraft. Urlaubsjahr sei das Kalenderjahr und der Arbeitgeber müsse den Urlaub spätestens bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres gewähren. Der Urlaub erlösche, wenn er bis dahin nicht geltend gemacht worden sei.

 

Bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit beantragte der Kläger im März 2021, der Arbeitgeber möge seinen tariflichen Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2020 in das Jahr 2021 übertragen. Der Arbeitgeber teilte ihm hierauf mit, Urlaubsansprüche würden automatisch übertragen, wenn die Voraussetzungen vorlägen. Hinsichtlich des „übergesetzlichen" tariflichen Mehrurlaubs sei das jedoch nicht der Fall.

 

Der tarifliche Mehrurlaub bezeichnet die Urlaubstage, die den Beschäftigten nach dem Tarifvertrag zusätzlich zum gesetzlichen Urlaub zustehen. Der Kläger vertrat die Auffassung, auch dieser Urlaub verfalle im Zusammenhang mit seiner Arbeitsunfähigkeit nicht.

 

Urlaub muss geltend gemacht werden

 

Das Arbeitsgericht sah das anders. Eine wirksame Geltendmachung des Urlaubs im Sinne des Tarifvertrages setze voraus, dass der Urlaub vor Ablauf der Frist noch erfüllt werden könne. Nach dem Tarifvertrag erlösche der Urlaubsanspruch, wenn er bis zum Fristablauf nicht geltend gemacht worden sei.

 

Nach dem Tarifvertrag diene der Urlaub der Erholung. Der Urlaubsanspruch beziehe sich grundsätzlich auf das Kalenderjahr. Zwar sei eine Übertragung in das Folgejahr möglich, das ändere jedoch nichts an der Zielsetzung, die im Idealfall jahrzehntelang andauernde physische und psychische Beanspruchung durch regelmäßige Phasen der Erholung zu kompensieren und damit die Arbeitskraft langfristig zu erhalten.

 

Der Arbeitgeber habe die Pflicht, den Urlaub zu gewähren. Der Urlaub müsse nach dem Gesetz "genommen werden". Deshalb sei es beispielsweise auch nicht zulässig, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer verabredeten, den Urlaub in Abweichung der gesetzlichen Bestimmungen weitergehend zu übertragen.

 

Arbeitnehmer*innen müssen sich selbst um den Urlaub kümmern

 

Dabei ergebe sich insbesondere aus dem Tarifvertrag die Pflicht der Arbeitnehmer*innen, sich selbst darum zu kümmern, dass sie Urlaub bekommen. Ansonsten verfalle er. Andererseits könne sich ein*e Arbeitnehmer*in davor schützen, dass der Urlaub zum 31. März verfällt, wenn er*sie rechtzeitig Urlaub beantrage und dieser dann aus Gründen nicht erfüllt worden sei, die er*sie nicht zu vertreten habe.

 

Der Urlaubsanspruch sei ein Anspruch auf bezahlte Freistellung. Der Kläger habe eine solche Freistellung nicht beantragt, sondern ausdrücklich die Übertragung seines Urlaubsjahres auf das Folgejahr.

 

Im bedauerlichen Fall einer fortgesetzten Arbeitsunfähigkeit bedeute das Ansinnen des Klägers ein Weiterwachsen des Urlaubskontos über den 31. März hinaus. Das widerspreche aber dem Tarifvertrag. Der Klage gab das Gericht auf Grund dessen nicht statt.

 

Das Arbeitsgericht Detmold urteilte in einem ähnlichen Verfahren anders. Lesen Sie dazu:

 

Tariflicher Urlaubsanspruch nach Krankheit erfolgreich durchgesetzt 

 

Hier geht es zum Volltext des Urteils des Arbeitsgerichts 

 

 

 

Das sagen wir dazu:

Das Bundesarbeitsgericht hatte 2015 schon entschieden, dass der gesetzliche Urlaub krankheitsbedingt zwar in das Folgejahr übertragen werden kann, dass dies jedoch nicht zwingend für den tariflichen Mehrurlaub gilt.

 

Anders sei das, wenn eine arbeits- oder tarifvertragliche Regelung Arbeitnehmer*innen einen über den gesetzlichen Anspruch hinausgehenden Anspruch auf Erholungsurlaub einräume und dabei nicht zwischen gesetzlichen und arbeits- oder tarifvertragliche Urlaubsansprüchen unterscheide.

 

Hier geht es zum Urteil des BAG vom 17.11.2015 – Verfall von Urlaubsansprüchen

 

Das Bundesarbeitsgericht versteht den Manteltarifvertrag so, dass der Urlaub nicht bis zum 31. März des Folgejahres genommen sein muss. Er erlösche auch dann nicht, wenn der*die Arbeitnehmer*in bis zu diesem Zeitpunkt den Resturlaub geltend macht.

 

Das Gesetz  erfordere demgegenüber, dass der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden muss.

 

Das Arbeitsgericht Mainz lässt die Sprungrevision zu

 

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat im Hinblick auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht nur die Berufung, sondern darüber hinaus unmittelbar die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, weil der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung habe.

 

Dies gelte im Hinblick auf die Frage an, ob das Bundesarbeitsgericht von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichen wolle. Außerdem sei die Auslegung eines bundesweit geltenden Tarifvertrages betroffen.

 

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 7 BUrlG

§ 7 BurlG

(1) Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Der Urlaub ist zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer dies im Anschluss an eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation verlangt.

(2) Der Urlaub ist zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, dass dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Kann der Urlaub aus diesen Gründen nicht zusammenhängend gewährt werden, und hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub von mehr als zwölf Werktagen, so muss einer der Urlaubsteile mindestens zwölf aufeinanderfolgende Werktage umfassen.

(3) Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.

(4) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.