Von Nichts im Geldbeutel lässt sich nicht gut leben. © Adobe Stock: GIBLEHO
Von Nichts im Geldbeutel lässt sich nicht gut leben. © Adobe Stock: GIBLEHO

Wer vom Mindestlohn leben muss, weiß, das ist sehr wenig. Ende 2021 betrug der Mindestlohn 9,60 € je Stunde und erhöhte sich im Januar 2022 auf 9,82 €. Am 1. Juli 2022 steht die nächste Erhöhung auf 10,45 € an. Die Bundesregierung will mittelfristig einen Mindestlohn von 12 Euro einführen.

 

Eine Verpackerin in Neubrandenburg wird von der Erhöhung im Sommer dieses Jahres schon profitieren können. Ihr Arbeitgeber zahlte ihr 2020 nur 10,10 € je Stunde. Monatlich kam sie damit auf 1.747 € brutto. Das waren 55 % des üblichen Tariflohnes für die Branche. Dort hätte sie 3.166 € verdient.

 

Seit 2007 arbeitete die Frau schon im Unternehmen. Nun wollte sie wissen, ob so wenig zum Leben genug ist. Beim Arbeitsgericht klagte sie unterstützt durch ihre Prozessbevollmächtigten des DGB Rechtsschutzes höheren Lohn ein. Ihre Vergütung sei sittenwidrig.

 

Das ist sie nicht, entschied das Arbeitsgericht.

 

Nicht jeder niedrige Lohn ist Wucher

 

Eine Vergütungsabrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer*in ist nichtig, wenn sie sittenwidrig ist oder ein wucherisches Rechtsgeschäft darstellt. Ein wucherähnliches Geschäft liegt vor, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen. Dazu müssen weitere sittenwidrige Umstände wie zum Beispiel eine verwerfliche Gesinnung hinzutreten.

 

Das auffälligen Missverhältnis bestimmt sich in der Regel im Verhältnis zum Tariflohn des jeweiligen Wirtschaftszweiges. Der Tariflohn stellt den Wert der Arbeitsleistung dar, wenn er in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet üblicherweise gezahlt wird.

 

Üblich ist eine Tarifvergütung ohne weiteres dann, wenn mehr als 50 % der Arbeitgeber des Wirtschaftsgebietes tarifgebunden sind oder wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer*innen eines Wirtschaftsgebietes beschäftigen.

 

Ist der Wert der Leistung mindestens doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, besteht von vorne herein ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Das lässt generell auf eine verwerfliche Gesinnung schließen. Betroffene müssen sich hierauf dann nur noch ausdrücklich berufen. 

 

Lässt sich ein besonders grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht von vorne herein erkennen, müssen zusätzliche Umstände vorliegen, aus welchen sich schließen lässt, dass der Arbeitgeber die Situationen verwerflicher Weise zu seinem Vorteil ausgenutzt hat. Das müssen Arbeitnehmer*innen dann aber beweisen.

 

55 % des Tariflohnes soll reichen

 

10,10 € je Stunde stellten kein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung dar, meint das Arbeitsgericht. Das Bundesarbeitsgerichts nehme das erst dann an, wenn das Arbeitsentgelt unterhalb von zwei Dritteln des maßgeblichen Tarifentgelts liege.

 

Die Klägerin verdiene jedoch gut 55 % des Tariflohnes. Hinweise auf eine verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers hinsichtlich des gezahlten Lohnes gebe es nicht. Die Klägerin habe dazu nichts weiteres vortragen können.

 

Die Realität ist vielfältig

 

Dass es Arbeitgeber gibt, die viel weniger zahlen, zeigt ein Fall aus Cottbus:

 

Stundenlohn von 1,54 € zwar sittenwidrig, aber nicht ausbeuterisch?! - Anwalt zahlt Dumpinglöhne 

 

In Berlin-Brandenburg entschied das Landesarbeitsgericht zum Fall einer Pizzafahrerin:

 

Hungerlohn für Pizzafahrerin 

 

In Neuruppin reichten dem Arbeitsgericht bei der Entlohnung einer Förderschullehrerin im öffentlichen Dienst schon weniger als 75 Prozent des Gehalts vergleichbarer Lehrkräfte aus, um Sittenwidrigkeit anzunehmen.

 

Ein ganz und gar unchristlicher Lohn

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund - Kammern Neubrandenburg