Einen traurigen Fall hatten die Jurist*innen des Rechtsschutzbüros Neuruppin zu vertreten. Sie setzen sich vor dem Arbeitsgericht für eine Förderschullehrerin ein, die bereits seit 30 Jahren bei einem christlichen Verein als sonderpädagogische Mitarbeiterin tätig war. Ihre Vergütung richtete sich nach dem Haustarifvertrag.

Die Frau erwarb eine zusätzliche Qualifikation im Förderschulbereich. Sie erhielt daher die Vergütung einer Lehrerin an Förderschulen. Das war etwas mehr als zuvor. Ihr Verdienst lag damit aber weiter unter demjenigen der Beschäftigten an Förderschulen des Landes - und das viel Jahre lang. Etwas mehr als 40.000 € brutto verdiente sie pro Jahr. Das waren bis zu 7.000 € weniger, als sie im öffentlichen Dienst bekommen hätte.

Das Schulgesetz Brandenburg gibt den Verdienst vor

Nach dem Schulgesetz von Brandenburg müssen Lehrer an Ersatzschulen ein Gehalt bekommen, das hinter den Gehältern der Lehrkräfte an entsprechenden Schulen in öffentlicher Trägerschaft nicht wesentlich zurück bleibt.

Der Verdienst ihrer Mandantin sei bereits seit Jahren sittenwidrig, behaupteten die Prozessvertreter*innen des DGB Rechtschutzes vor Gericht. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestätigte das Arbeitsgericht Neuruppin diese Auffassung.

Auch das Bundesarbeitsgericht hat Vorgaben gemacht

Das Bundesarbeitsgericht hält eine Vereinbarung für sittenwidrig, wenn sie gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Eine Entgeltvereinbarung kann deswegen nichtig sein, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht.

Dabei ist weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch die Absicht erforderlich, den*die Betroffene*n zu schädigen. Es genügt, dass der*die Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt. Damit will das Gesetz anerkannte Rechts- und Grundwerte des Gemeinschaftslebens schützen.

Bei arbeitsvertraglichen Vergütungsabreden stellt das Bundesarbeitsgericht auf den Zeitraum ab, der im Streit steht. Danach kann eine Entgeltvereinbarung zuerst noch wirksam sein, im Laufe der Zeit jedoch gegen die guten Sitten verstoßen, wenn sie nicht an die allgemeine Lohn- und Gehaltsentwicklung angepasst wird.

Im Grundgesetz regelt Art. 7 die Genehmigung einer privaten Schule als Ersatz für eine öffentliche Schule. Diese Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist. Damit schützt das Grundgesetz die Lehrkräfte unmittelbar, so das Bundesarbeitsgericht.

Der Lohn der Klägerin war sittenwidrig

Das Arbeitsgericht Neuruppin bestätigte diese Grundsätze. Die Vergütung der Klägerin verstoße gegen die guten Sitten. Ihre Bezahlung lag unter der Grenze von 75 Prozent des Gehalts vergleichbarer Lehrkräfte im öffentlichen Dienst.

Der Arbeitgeber erhalte nach dem Schulgesetz Brandenburg einen Betriebskostenzuschuss für die Personalkosten. Es bestünden deshalb keine Bedenken, dass er eine Mindestvergütung von 75 Prozent des Gehalts der vergleichbaren Lehrkräfte im öffentlichen Dienst des Landes Brandenburg leisten müsse.

Die Klägerin habe über Jahre hinweg bei weitem weniger verdient. Weil ihre Vergütung sittenwidrig war, habe sie einen Anspruch auf die übliche Vergütung. Dabei komme es auf die Vergütung in einem vergleichbaren Wirtschaftskreis an, also an Ersatzschulen in Brandenburg. Nicht maßgeblich sei dabei allerdings der Verdienst an Ersatzschulen mit kirchlichem Träger.

100 Prozent gibt es nicht

Die Auffassung der Klägerin zur Sittenwidrigkeit ihrer Vergütung treffe zu. Daraus resultiere allerdings kein Anspruch auf eine 100-prozentige Vergütung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst.

Das Gericht könne der Klägerin nur den Mindestanspruch von 75 Prozent zusprechen. Sie habe nicht nachgewiesen, dass eine höhere Vergütung an Ersatzschulen des Landes Brandenburg üblich sei.

Für die letzten drei Jahre sei dieser Anspruch auch nicht verjährt. Die weiter zurückliegende Zeit müsse der Arbeitgeber demgegenüber nicht nachträglich vergüten.

Das Urteil des Arbeitsgericht Neuruppin vom  17. Juni 2021 – 1 Ca 400/20 hier im Volltext

Rechtliche Grundlagen

§ 612 BGB; Art. 7 GG

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 612 Vergütung
(1) Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.
(2) Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.
(3) (weggefallen)

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 7
(1) Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.
(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.
(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.
(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.
(5) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.
(6) Vorschulen bleiben aufgehoben.