Die gesetzlichen und tariflichen Regelungen zur Nachtarbeit beschäftigen das Bundesarbeitsgericht immer wieder. Es hat festgestellt, dass jede Nachtarbeit gesundheitsschädlich ist. Als Ausgleich kommen vor allem Freizeitausgleiche oder andere Maßnahmen, die die körperlichen Auswirkungen abmildern, in Betracht. Alternativ muss die Nachtarbeit durch Zuschläge verteuert werden.
Tarifverträge müssen das Gebot der Gleichheit beachten
Diese Zuschläge werden vorrangig in Tarifverträgen geregelt. Das BAG hat nun festgestellt, dass den Tarifvertragsparteien einen großer Beurteilungsspielraum haben, wie sie diese konkret gestalten. Zum Beispiel können sie unterschiedliche Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit vereinbaren, weil deren Planbarkeit als sachlicher Grund in Betracht kommt.
Bereits 2018 hatte es entschieden, dass Tarifverträge am Gleichheitssatz zu messen sind. Wenn sie dagegen verstoßen, erfolgt eine Anpassung nach oben. Wer ungerechtfertigt weniger bekommt, hat damit Anspruch auf die Vergütung die demjenigen zusteht, der zu Unrecht besser gestellt wurde.
So war die Regelung in einem Manteltarifvertrag der Textilindustrie in Nordrhein-Westfalen genauso als gleichheitswidrig angesehen worden wie 2020 im Manteltarifvertrag für Brauereien in Hamburg und Schleswig-Holstein.
Bessere Planbarkeit kann sachlicher Grund sein
2020 hatte das BAG außerdem den EuGH angerufen, um zu klären, ob Unionsrecht bei der Auslegung nationaler tariflicher Regelungen zu Nachtarbeitszuschlägen in unterschiedlicher Höhe zu berücksichtigen ist.
Der EuGH hat dies verneint, sodass das BAG nunmehr die Regelungen nach deutschem Arbeitszeitrecht zu beurteilen hatte. Geklagt haben zahlreiche Arbeitnehmer*innen aus der Ernährungsindustrie, für die unterschiedliche tarifliche Zuschlagsregelungen gelten.
Sie gehören der Gewerkschaft NGG an und werden von der DGB Rechtsschutz GmbH vertreten. Ihre Prozessvertreterin Angelika Kapeller erklärte dazu: „Das Bundesarbeitsgericht hat heute erneut klargestellt, dass die Nachtarbeit im Schichtbetrieb genauso belastend ist wie unregelmäßige Nachtarbeit. Es gibt keinen Gewöhnungseffekt. Die Dauernachtarbeit oder Arbeit in Nachtschicht ist biologisch genauso belastend wie unregelmäßiger Nachtarbeit. Für die Höhe der Zuschläge können die Tarifvertragsparteien allerdings auch weitere Aspekte heranziehen. Diese müssen sich aber aus dem Tarifvertrag selbst ergeben. Ein solcher sachlicher Grund kann nach der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts auch die Planbarkeit von vorhersehbarer Nachtarbeit sein. Es muss nun die Regelungen in allen anderen Tarifregelungen an diesen Kriterien bewerten.“
Weiter Tarifverträge auf dem Prüfstand
Entschieden hat das BAG über vier Tarifverträge. Bis Juni sind drei weitere Termine anberaumt, in denen die Rechtmäßigkeit von insgesamt weiteren 19 Tarifverträgen auf dem Prüfstand steht. Sie betreffen 400 Verfahren, die allein beim BAG anhängig sind.
In den unteren Instanzen sind außerdem mehr als 6.000 Rechtsstreite anhängig. Die Jurist*innen der DGB Rechtsschutz GmbH mussten für alle Gewerkschaftsmitglieder Klagen erheben, weil sich die Arbeitgeber nicht auf Musterverfahren einlassen wollten.
Die Entscheidungen haben auch die zahlreichen Arbeitgebervertreter, die Zeugen der Verhandlung waren, überrascht. Angelika Kapeller: „Das Ergebnis hätte auch anders ausfallen können, nämlich so, wie es das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil von 2018 vorgezeichnet hatte. Den Klägern blieb aufgrund dieser Entscheidung und der Weigerung der Arbeitgeber zu einer anderen Verfahrensweise nichts anderes übrig, als den Klageweg zu bestreiten. Für ihren Mut gebührt ihnen großer Respekt. Er ist leider nicht belohnt worden. Wir werden jetzt sehen, wie das Bundesarbeitsgericht die weiteren Tarifverträge bewertet.“
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Rechtliche Grundlagen
§ 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz (ArbZG)
Soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen, hat der Arbeitgeber dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.