Die tarifliche Entgeltsicherung soll den Lebensstandard sichern

Copyright: Adobe Stock - Von William W. Potter
Die tarifliche Entgeltsicherung soll den Lebensstandard sichern Copyright: Adobe Stock - Von William W. Potter

Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. Sein Arbeitsverhältnis als Schweißfachmann

begann im Jahr 1977. Bis Ende 2018 übte er diese Arbeit aus, dann kam es aus gesundheitlichen Gründen zu einer Versetzung in die Blechabteilung.

 

Arbeitgeber ist ein mittelständisches Unternehmen bei Köln, ein Hersteller von Regalsystemen und Regaltechniken für Lager. Das Unternehmen hat mit der IG Metall einen Anerkennungstarifvertrag abgeschlossen. Deshalb gilt im Arbeitsverhältnis der Flächentarifvertrag Metall- und Elektroindustrie NRW (EMTV).

 

Alterssicherung in der Metallindustrie

Der Alterskündigungsschutz und die Altersverdienstsicherung gehören zu den großen gewerkschaftlichen Errungenschaften. Älteren Beschäftigten darf in der Metallindustrie nicht mehr ohne weiteres gekündigt werden. Und der Arbeitgeber darf das Entgelt ab einem gewissen Alter nicht mindern. Können Beschäftigte aus dieser Altersgruppe den bisherigen regelmäßigen Monatsverdienst alters- oder gesundheitsbedingt nicht mehr erzielen, muss der Arbeitgeber einen Ausgleichsbetrag bezahlen.

 

In diesem Fall richtet sich die Entgeltsicherung nach § 41 EMTV. Danach haben Beschäftigte nach der Vollendung des 53. Lebensjahres mit einer Betriebszugehörigkeit von zwölf Jahren, Vollendung des 54. Lebensjahres mit einer Betriebszugehörigkeit von elf Jahren, Vollendung des 55. Lebensjahres mit einer Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren, Anspruch auf Entgeltsicherung, wenn sie wegen gesundheitsbedingter ständiger Minderung ihrer Leistungsfähigkeit auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr eingesetzt werden können und deshalb auf einem geringer bezahlten Arbeitsplatz beschäftigt werden.

 

Die Entgeltsicherung beträgt 100 Prozent

Sie gleicht den Unterschied zwischen dem bisherigen Durchschnittsentgelt und dem auf dem neuen Arbeitsplatz erzielten Durchschnittsentgelt aus. Die Berechnung des bisherigen Durchschnittsentgelts erfolgt anhand der letzten zwölf Monate.

 

Mit der Tätigkeit als Schweißfachmann war der Kläger in die Entgeltgruppe 10 nach ERA eingruppiert. Er erhielt zusätzlich zum Tarifentgelt eine Leistungszulage in Höhe von rund 490 €. Diese Zulage hatte der Arbeitgeber festgesetzt nach einer Leistungsbewertung, die Anfang 2018 stattgefunden und 28 Punkte ergeben hatte.

 

Die neue Arbeit in der Blechverarbeitung entspricht der Entgeltgruppe 5 nach ERA.

 

Bis einschließlich September 2019 rechnete das Unternehmen das „alte“ Grundgehalt plus die Zulage von 490 € ab.

 

Nach neuer Leistungsbeurteilung wird der leistungsbezogene Anteil des gesicherten Entgelts reduziert

Im August 2019 fand eine neue Leistungsbeurteilung statt. Es ergaben sich dabei nur 16 Punkte und damit eine kleinere Zulage (315 €). Der Arbeitgeber rechnete darauf ab Oktober 2019 bei der Entgeltsicherung des Klägers nur noch eine Leistungszulage von 315 € mit ein.

 

Mit Hilfe des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes machte der Kläger die Differenzbeträge geltend und klagte diese dann beim Arbeitsgericht Siegburg ein. Nach dem Ziel der Entgeltsicherung müsse es bei der einmal festgestellten Zulage bleiben.

 

Das beklagte Unternehmen hingegen interpretierte den EMTV so, dass die Entgeltsicherung das Grundgehalt, nicht aber die Zulage sichere.

 

Erfolg in zweiter Instanz

Beim Arbeitsgericht Siegburg konnte der DGB Rechtsschutz Siegen noch keinen Erfolg für den Kläger erzielen. Die schlichte Begründung: nirgends im Tarifvertrag sei geregelt, dass nach einer neuen schlechteren Leistungsbeurteilung die Reduzierung der Leistungszulage nicht möglich sei.

 

So kam es zur Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln (LAG). Das Arbeitsgericht habe den Tarifvertrag fehlerhaft ausgelegt, denn eine Entgeltsicherung sei die Sicherung einer Untergrenze. Deshalb dürfe nach Beginn der Entgeltsicherung auch die Zulage nicht mehr sinken. Das trug der Kläger zusammengefasst vor.

 

Dieser Rechtsauffassung schloss sich das LAG an. Es hob das Urteil aus erster Instanz auf und verurteilte das beklagte Unternehmen zur Zahlung der Differenzbeträge. Da die Berechnungen hier etwas auseinandergingen, erhält der Kläger etwas weniger als beantragt.

 

Entgeltsicherung ist ein Mindestbetrag für die Zukunft

Den maßgeblichen Zeitpunkt für die Berechnung der Entgeltsicherung sieht das LAG im November 2019, als die Entgeltsicherung schriftlich beantragt wurde. Durchschnittsentgelt bedeute nach dem Tarifvertrag die durchschnittliche Summe aus Grundentgelt und Leistungszulage, wie sie in den letzten zwölf Monaten vor Antragstellung gezahlt wurde.

Die so berechnete Entgeltsicherung markiere für die Zukunft einen Mindestbetrag und dieser könne nicht unterschritten werden.

 

Das LAG hat die tariflichen Vorschrift ausgelegt und kommt zu diesem Ergebnis: Eine Reduzierung der so errechneten Entgeltsicherung kommt auch dann nicht in Betracht, wenn im Rahmen der nächsten Leistungsbeurteilung das Leistungsvermögen des Klägers schlechter beurteilt werden musste als zuvor.

 

Zweck der tariflichen Verdienstsicherung

Bereits der Wortlaut des Tarifvertrages mache deutlich, so das LAG, dass nach dem Willen der Tarifparteien nicht etwa eine Tätigkeit mit all ihren belastenden und begünstigenden Facetten gesichert werden soll, sondern ein Lebensstandard. Und die Bemessung dieses Lebensstandards richte sich nach dem in der Vergangenheit erzielten Arbeitsentgelt, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen einzelner Bestandteile des Entgelts erfüllt sind.

 

Von diesem eindeutigen Wortlaut sei auch nicht nach Sinn und Zweck der Tarifvorschrift abzuweichen. Unter Sicherung sei die Beibehaltung des Status quo zu verstehen. Und eine Änderung nach unten wäre das Gegenteil einer Sicherung.

 

Es kommt nicht auf das aktuelle Leistungsniveau an

Schließlich bestätige auch die Systematik des Tarifvertrages, dass die Entgeltsicherung aus § 41 EMTV als Ausnahmevorschrift für Beschäftigte mit gesundheitsbedingt Leistungseinbußen einen Mindestbetrag regelt. Und, so das LAG weiter, dieser Mindestbetrag berechne sich auch aus den in der Vergangenheit gezahlten tariflichen Leistungszulagen, ohne dass es auf das aktuelle Leistungsniveau ankäme.

 

 

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln ist hier im Volltext nachzulesen.