Nach 13 Uhr musste der Langzeitkranke montags seinen Briefkasten nicht mehr leeren – so entschied es das Gericht.© Adobe Stock: pix4U
Nach 13 Uhr musste der Langzeitkranke montags seinen Briefkasten nicht mehr leeren – so entschied es das Gericht.© Adobe Stock: pix4U

Versäumte Fristen können gerade für Beschäftigte gravierende Folgen haben. Wird ihnen eine Kündigung zugestellt, haben sie nur drei Wochen Zeit, dagegen eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht zu erheben. Wird die Frist nicht eingehalten, gilt die Kündigung als wirksam – ob an der Kündigung inhaltlich etwas dran war, oder nicht. Aus diesem Grund kommt es im Zweifel auf jeden einzelnen Tag an. Mit der Frage, bis wann der hauseigene Briefkasten nochmal auf eingegangene Post überprüft werden muss, hatte sich das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz auseinanderzusetzen.

 

Die Richter urteilten: Für den Zugang einer Willenserklärung wie einer Kündigung sei keine Überwachung des Briefkastens bis 24 Uhr am gleichen Tag notwendig, sondern es komme auf die örtlichen Gepflogenheiten und üblichen Zustellzeiten an. Ist mit keiner Zustellung von Post mehr zu rechnen, so gingen Erklärungen erst am nächsten Tag zu. Dies hatte zugunsten eines Klägers, der zuvor eine Kündigung erhalten hatte, weitreichende Folgen.

 

Montags nach 13 Uhr keine Postzustellung mehr im Wohnbezirk des Klägers

 

Dieser war als ungelernte Arbeitskraft für Grünflächen und Friedhöfe einer Stadtverwaltung tätig. Aufgrund jahrelanger Anhäufung von krankheitsbedingten Fehlzeiten erhielt er eine Kündigung seines Arbeitgebers. Dagegen klagte er vor dem zuständigen Arbeitsgericht mit Hilfe des DGB Rechtsschutzes. Es entfachte sich ein Streit um die Einhaltung der Drei-Wochen-Frist, denn: Ein Bote hatte die Kündigung an einem Montag um 14:27 Uhr in den Briefkasten des Klägers geworfen. Die Klage reichte der Kläger erst drei Wochen und einen Tag später ein. Er berief sich darauf, dass er die Kündigung erst am Dienstag in seinem Briefkasten gefunden und damit die Frist gewahrt habe. Nach 13 Uhr sei die Postzustellung montags in seinem Wohnbezirk längst abgeschlossen, weshalb der nach dieser Uhrzeit nicht mehr in den Briefkasten schaue.

 

Das Gericht folgte der Argumentation des Klägers, sah die Kündigungsschutzklage als fristgemäß an und wertete die Kündigung auch inhaltlich als unwirksam.

 

Zugang von Erklärungen je nach Verkehrsanschauung und örtlichen Gepflogenheiten

 

Für die Frage, wann eine Willenserklärung wie eine Kündigung zugeht und damit auch Fristen auslöst, gibt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgende, allgemeine Definition:

 

„Eine Willenserklärung unter Abwesenden geht zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen“.

 

Wann diese Möglichkeit besteht, von einer Erklärung Kenntnis zu nehmen, konkretisierte das Landesarbeitsgericht im betreffenden Verfahren.

 

Nach Ansicht des Gerichts komme es auf die „gewöhnlichen Verhältnisse“ und „Gepflogenheiten des Verkehrs“ an. Der Zugang von Erklärungen, die per Post zugestellt werden, sei also dann bewirkt, wenn mit der nächsten Entnahme aus dem jeweiligen Briefkasten zu rechnen ist. Dazu gebe es nach Ansicht des Gerichts keine starren Uhrzeiten, sondern die Verkehrsanschauung und Üblichkeit würde durch die örtlichen Postzustellzeiten des betreffenden Wohnbezirks beeinflusst. Hierzu hatte das Gericht Beweis erhoben durch Vernehmung eines Mitarbeiters des Postzustellers. Dieser versicherte, dass montags die geringste Menge an Postaufkommen zu verzeichnen sei und eine Zustellung regelmäßig bereits um 11:20 Uhr erfolge. Spätestens um 13 Uhr sei die Zustellung im Wohnbezirk des Klägers regelmäßig beendet. An den verbleibenden Wochentagen sei auch eine Zustellung am Nachmittag üblich, teils bis 15 Uhr. Dies bestätigte die Angaben des Klägers, der sich darauf berief, montags nach 13 Uhr keinen Blick mehr in den Briefkasten zu werfen, da er zu dieser Uhrzeit keine Post mehr erhalte.

 

Auch keine Verpflichtung zur späten Briefkastenleerung aus anderen Gründen

 

Den Einwand der Beklagten, dass späte Zustellungen von Waren und Postsendungen insbesondere durch neu am Markt dazu gekommene private Anbieter üblich seien und deshalb auch zu späterer Zeit der Briefkasten geleert werden müsste, ließ das Landesarbeitsgericht nicht durchgehen. Zum einen handelte es ich im betreffenden Fall um keinen privaten Anbieter, zum anderen würden die örtlichen Gepflogenheiten der Zustellung und die „Verkehrsanschauung“ nicht durch private Anbieter, die teilweise bis Mitternacht zustellen, beeinflusst. Aus diesem Grund bestehe ausdrücklich keine Notwendigkeit den Briefkasten bis zum Ende des Tages wiederholt zu leeren, wenn die übliche Postzustellung beendet sei.

 

Auch die Argumentation der Beklagten, der Kläger musste aufgrund zahlreicher erfolgloser Kontaktversuche während seiner Arbeitsunfähigkeit durch seinen Arbeitgeber täglich mit dem Einwurf einer Kündigung rechnen, erteilte das Landesarbeitsgericht eine Absage. Allein das Vorhandensein von erfolglosen Kontaktversuchen begründe keinen ausreichenden Anlass, den eigenen Briefkasten öfter zu leeren, um etwaige Kündigungserklärungen vorzufinden. Zudem komme es nicht darauf an, dass an der Mehrzahl der Zustelltage (dienstags bis samstags) eine Zustellung bis 15 Uhr erfolge und der Kläger an diesen Tagen verpflichtet gewesen wäre, auch zu dieser Uhrzeit noch den Briefkasten zu leeren. Die Beklagte witterte hier Willkür in der Zeit der Leerung des Briefkastens. Es könne nicht dem Zufall überlassen werden, an welchem Tag ein Empfänger bis zu welcher Uhrzeit seinen Briefkasten leeren müsse.

 

Dem entgegnete das Gericht, dass die Verkehrsanschauung und örtlichen Gepflogenheiten maßgebend seien und es sich dabei nicht um Zufall handele. Schließlich sei diese individuelle Betrachtungsweise üblich, da eine Leerung an Sonn- und Feiertagen oder im Geschäftsverkehr für Geschäfte, die an bestimmten Tagen geschlossen haben, auch nicht notwendig sei.

 

 

Krankheitsbedingte Kündigung nur bei erheblicher Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen

 

In der Sache sah das Gericht die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung als nicht erfüllt an und bewertete die Kündigung insgesamt als rechtswidrig und damit unwirksam. Der Kläger gewann den Prozess und behielt seinen Arbeitsplatz. Zusätzlich erhielt er den entgangenen Lohn für die Zeiten, in denen er nicht beschäftigt wurde. Für eine krankheitsbedingte Kündigung gibt es grundsätzlich zwei Voraussetzungen, zum einen eine negative Gesundheitsprognose im Zeitpunkt der Kündigung sowie auf der zweiten Stufe eine dadurch bedingte, erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen.

 

Aufgrund der Vielzahl von krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers (2016: 72 Tage, 2017: 90 Tage, 2018: 50 Tage sowie 2019: 248 Tage) entschied das Gericht zugunsten der Beklagten, dass eine negative Gesundheitsprognose zum Zeitpunkt der Kündigung vorgelegen habe. Dadurch sei jedoch keine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen zu befürchten. Hierfür komme es maßgeblich darauf an, ob nach objektiver Lage die Genesung des Betroffenen „völlig ungewiss“ sei und damit gravierende Störungen im Betriebsablauf höchst wahrscheinlich zu erwarten seien.

Ein Entlassbericht aus einer Klinik attestierte dem Kläger jedoch ein Leistungsvermögen von sechs Stunden täglich und mehr, weshalb eine Arbeitsaufnahme in den kommenden 24 Monaten nicht unwahrscheinlich war. Zudem sei es der Beklagten zumutbar, entsprechende Arbeiten zunächst innerhalb der Belegschaft umzuverteilen und im Zweifel auch eine befristete Arbeitskraft als Krankheitsvertretung einzustellen.

 

Hier geht es zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz.