Die erkrankte Erzieherin sollte nach dem Dafürhalten des Arbeitgebers künftig um fünf Entgeltgruppen niedriger als Reinigungskraft arbeiten. © Adobe Stock: C.S.V.
Die erkrankte Erzieherin sollte nach dem Dafürhalten des Arbeitgebers künftig um fünf Entgeltgruppen niedriger als Reinigungskraft arbeiten. © Adobe Stock: C.S.V.

Seit 1977 arbeitete die Klägerin als Kindergärtnerin/Erzieherin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 28 Stunden bei der Beklagten. Im Juni 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum Jahresende 2021 und bot der Klägerin an, den Vertrag bereits ab Juli 2021 zu geänderten Bedingungen als Reinigungsfachkraft/Hauswirtschaft fortzusetzen.

 

Die Klägerin verzichtete auf die Vorbehaltserklärung

 

Die Klägerin nahm dieses Änderungsangebot nicht an, auch nicht unter dem von § 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vorgesehenen Vorbehalt der Überprüfung der sozialen Rechtfertigung der ausgesprochenen Kündigung. Sie vertrat die Auffassung, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und daher unwirksam. Es ging damit ums Ganze.

 

Vertreten durch Falk Bergmann vom Rechtsschutzbüro Erfurt erhob die Erzieherin Klage beim Arbeitsgericht. Aus gesundheitlichen Gründen könne sie möglicherweise Teilaspekte ihrer Tätigkeit nicht mehr vollständig erbringen, argumentiert der Bevollmächtigte. Das führe jedoch nicht dazu, dass sie per se als Erzieherin nicht mehr einsetzbar sei.

 

Bergmann wies im Verfahren darauf hin, dass die Änderungskündigung nicht das mildeste Mittel sei. Es solle hier eine ganz erhebliche Abgruppierung der Klägerin von der Entgeltgruppe 7 auf die Entgeltgruppe 2 erfolgen. Außerdem habe die Beklagte für die angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen die gesetzlich vorgeschriebene Kündigungsfrist nicht eingehalten. Das Änderungsangebot solle schon unmittelbar greifen. Bereits dies allein führe dazu, dass die Änderungskündigung unwirksam sei.

 

Die Beklagte trat dem entgegen

 

Die Beklagte verwies auf die Zahl der krankheitsbedingten Fehltage der Klägerin. Es liege auch eine Bescheinigung des Arbeitsschutzzentrums Thüringen vor, wonach die Klägerin ihren erlernten Beruf als staatlich anerkannte Erzieherin nicht mehr ausüben könne. Sie, die Beklagte, habe gravierende Gründe dafür gehabt, der Klägerin das Änderungsangebot vor Ablauf der Kündigungsfrist zu machen. Im Vordergrund stehe dabei deren Schonung. Aufgrund der gesundheitsbedingt fehlenden Eignung könne die Mitarbeiterin nicht wie bisher weiter beschäftigt werden.

 

Das Arbeitsgericht beurteilt die Rechtslage eindeutig

 

Im Urteil heißt es:

 

„Liegen dringende betriebliche Erfordernisse vor, die einer Beschäftigung eines Arbeitnehmers zu den bisherigen unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen, so ist eine Änderungskündigung gleichwohl nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber bei einem an sich anerkennenswerten Anlass darauf beschränkt hat, lediglich solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss.“

 

Der Arbeitgeber müsse prüfen, ob das Beschäftigungsbedürfnis des*der Betroffenen zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen sei. Der Maßstab, den der Arbeitgeber hierbei anzulegen habe, gelte unabhängig davon, ob das Änderungsangebot abgelehnt oder unter Vorbehalt angenommen worden sei.

 

Die Änderungen sollten gleich greifen

 

Die Beklagte habe das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt. Gleichzeitig sei der Klägerin angeboten worden, das Arbeitsverhältnis bereits ein halbes Jahr zuvor zu geänderten Bedingungen als Reinigungsfachkraft fortzusetzen.

 

Arbeitnehmer*innen seien grundsätzlich nicht verpflichtet, in eine schon früh wirkende Änderung des Vertrages einzuwilligen. Deshalb sei die Änderungskündigung der Beklagten mit einer angebotenen Verschlechterung der Vertragsbedingungen vor Ablauf der Kündigungsfrist unwirksam.

 

Die ordentliche Kündigung wirke erst zum Ablauf der Kündigungsfrist. Daran müsse sich auch das Änderungsangebot des Arbeitgebers orientieren. Arbeitnehmer*innen müssten auf einen Teil der ihnen zustehenden Kündigungsfrist nicht verzichten. Das gelte insbesondere bezüglich schlechterer Arbeitsbedingungen und im Zusammenhang mit einer Lohnminderung.

 

Der Arbeitgeber muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten

 

Das Angebot der Beklagten stelle eine erhebliche Verschlechterung der ursprünglichen Arbeitsbedingungen dar. Es sei eine Herabgruppierung um fünf Entgeltgruppen vorgesehen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hätte aus Sicht des Arbeitsgerichts zumindest eine unveränderte Weiterzahlung der bisherigen Vergütung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist erfordert.

 

Bei einer Änderungskündigung habe das Gericht alle vom Arbeitgeber vorgeschlagenen Vertragsänderungen an diesem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen. Enthalte das Angebot des Arbeitgebers eine Änderung in mehreren Punkten, sei die soziale Rechtfertigung für jeden einzelnen Punkt zu prüfen.

 

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt

 

Genüge auch nur eine der beabsichtigten Änderungen den Anforderungen nicht, habe dies die Unwirksamkeit der gesamten Änderungskündigung zur Folge. Die hier streitige Kündigung sei deshalb sozial ungerechtfertigt.

 

Die Betroffene ist momentan weiter arbeitsunfähig krank. Nach einem geplanten Heilverfahren wird sich zeigen, welche leidensgerechte Tätigkeit die Beklagte ihr anbieten kann.

 

Bleibt zu wünschen, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einvernehmlich ohne weiteren Rechtsstreit gelingt.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt.