Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung lässt sich auch Online besorgen. Der persönliche Arztkontakt darf da aber nicht fehlen. Copyright by Adobe Stock/ twinsterphoto
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung lässt sich auch Online besorgen. Der persönliche Arztkontakt darf da aber nicht fehlen. Copyright by Adobe Stock/ twinsterphoto

Auffällig in dem Verfahren des Klägers aus Berlin war schon die Tatsache, dass er seinem Arbeitgeber eine von einer Gynäkologin unterzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegte. Mag sein, dass das den Chef schon zum Überlegen brachte. Ganz besonders stach aber auch die Tatsache ins Auge, dass die Gynäkologin in Hamburg praktizierte, obwohl der Kläger in Berlin lebte.
 

Der Kläger ließ sich online krankschreiben

Bei seinen Nachforschungen stellte der Chef fest, dass die Gynäkologin die Arbeitsunfähigkeit des Klägers anhand der vom diesem online auf einem speziellen Portal gemachten Angaben bescheinigte. Gesehen hatte sie den Kläger nicht. Sie hatte auch nicht mit ihm gesprochen, weder persönlich noch telefonisch. Es hatte überhaupt keinen persönlichen Kontakt gegeben.
 
Die Website ermöglichte gegen die Zahlung einer Gebühr in Höhe von 14 € den Erhalt einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als PDF. Das geschah ausschließlich im Wege der Fernbehandlung.
 
Zur Arbeitsunfähigkeit konnte man in drei Schritten gelangen.
 

Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in drei Schritten

Zuerst war ein Fragebogen zu beantworten. Darin konnte man Beginn und Dauer der Arbeitsunfähigkeit für bis zu sieben Tage selbst festlegen. Im nächsten Schritt sollte ein Privatarzt in Hamburg eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per PDF ohne Arztgespräch erstellen. Für bestimmte Erkrankungen bestand die Möglichkeit, einen Kassenarzt zu wählen, der dann erforderlichenfalls anrufen oder per SMS zum Video-Chat einladen würde.
 
Im dritten Schritt sollte der Kunde dann eine E-Mail mit SMS-Code erhalten, um alle Versionen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als PDF-Dateien herunterzuladen zu können. Optional bestand die Möglichkeit, die Arbeitsunfähigkeit auch per Post zu erhalten.
 

Die Nutzer*innen konnten zwischen zwölf Grunderkrankungen wählen

Die Nutzer der Website erhielten die Aufforderung, zunächst eine von zwölf Grunderkrankungen auszuwählen. Anschließend mussten sie verschiedene Fragen beantworten. Insbesondere die Symptome ihrer Beschwerden sollten sie angeben. Die einzelnen Antwortmöglichkeiten und Symptome waren zur Auswahl vorgegeben.
 
Die ärztliche Anamnese beruhte ausschließlich auf den Antworten des*der Nutzer*in auf die vorformulierte Frage. Ergaben die Antworten keine plausible Diagnose, erhielt der*die Nutzer*in mittels einer automatisch generierten Erklärung den Hinweis, dass er*sie den Dienst nicht nutzen könne.
 

Der Dienst stand uneingeschränkt wiederholt zur Verfügung

Problematisch war das aber nicht, denn es bestand die Möglichkeit, mit der gesamten Prozedur wieder von vorne zu beginnen. Die Antworten aus dem vorherigen Versuch fanden in keiner Weise Berücksichtigung. Der Vorgang konnte beliebige Male wiederholt werden.
 
Der Kläger meldete sich auf diese Weise bei seinem Arbeitgeber für mehrere Tage krank. Der Arbeitgeber lehnte die Entgeltfortzahlung jedoch mit der Begründung ab, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien nur durch einen Online-Arzt erfolgt. Er zweifele daran, dass der Kläger wirklich arbeitsunfähig war.
 

Später bot der Kläger seine Arbeitskraft wieder an

Tage später bot der Kläger seine Arbeitskraft wieder an. Das passte dann dem Chef nicht mehr. Er wies den Kläger darauf hin, er habe die ursprünglich für den Kläger vorgesehenen Arbeiten schon einem anderen Mitarbeiter übertragen. Geld zahlte der Arbeitgeber weiter nicht.
 
Mit seiner Klage beim Arbeitsgericht Berlin wollte der Kläger zum einen erreichen, während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung zu bekommen und außerdem wollte er ab dem Tag, an dem er seine Arbeitskraft wieder zur Verfügung gestellt hatte, seinen ganz normalen Lohn erhalten.
 

Der Kläger hatte starken Schnupfen

Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit verwies er darauf, er habe an starkem Schnupfen und Kopfschmerzen gelitten und sich schwach gefühlt. Wegen der Ansteckungsgefahr durch Corona habe er auf einen Arztbesuch verzichtet.
 
Der Arbeitgeber hielt ihm entgegen, noch wenige Tage zuvor sei es ihm nach einem Arbeitsunfall noch möglich gewesen, einen Arzt aufzusuchen. Sein Verhalten sei widersprüchlich und an der Arbeitsunfähigkeit bestünden nach wie vor Zweifel.
 

Die Arbeitsunfähigkeit muss bewiesen sein

Der Arbeitnehmer müsse seine Arbeitsunfähigkeit beweisen, um Entgeltfortzahlung zu erhalten. Dies geschehe regelmäßig durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Einen solchen Beweis könne der Kläger jedoch auch mit jedem anderen zulässige Beweismittel führen, so das Arbeitsgericht.
 
Einer "ordnungsgemäß ausgestellten" Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung komme ein hoher Beweiswert zu. Mit ihr bestehe die Vermutung, dass der Arbeitnehmer infolge Krankheit arbeitsunfähig war. Dazu bedürfe es aber eines Arztkontaktes.
 

Der Kläger hatte keinen Arztkontakt

Den habe es beim Kläger aber nicht gegeben. Deshalb beweise die vom Kläger vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch nicht, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Die Ärztin habe den Kläger nachweislich nicht persönlich untersucht. Sie habe auch kein persönliches oder telefonisches Gespräch mit ihm geführt.
 
Während der COVID-19-Pandemie sei es zwar zu Erleichterungen bei Krankmeldungen gekommen. Zur Eindämmung der Pandemie habe ein öffentliches Interesse daran bestanden, Arztbesuche möglichst zu vermeiden. Deshalb sei es auch zulässig gewesen, dass Ausnahmen von persönlichen Patient-Arzt-Kontakt dahingehend geschaffen wurden.
 
Ärzte hätten Versicherten mit Erkrankungen der oberen Atemwege, die keine schwere Symptomatik vorwiesen, deshalb für einen Zeitraum von bis zu sieben Kalendertagen auch nach telefonischer Anamnese krankschreiben dürfen.
 

Ärzte müssen sich eine persönliche Überzeugung schaffen

Ärzte hätten aber die Pflicht, sich eine eigene persönliche Überzeugung zu verschaffen, indem sie den Patienten eingehend telefonisch befragen. Mit der telefonischen Anamnese minimiere sich das Risiko in einer Ausnahmesituation während der Pandemie. Aber selbst da werde ein persönlicher Kontakt erforderlich gehalten.
 
Dieser dürfe nicht geringer sein, als wenigstens ein Telefonat. Dieses habe es beim Kläger jedoch nicht gegeben. Die Website habe Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen alleine aufgrund einer Online-Befragung erteilt.
 

Der Kläger konnte seine Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen

Das Gericht sprach den vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen deshalb keinen Beweiswert zu. Der Kläger habe im Verfahren auch keine Personen genannt, mit deren Aussage er eine Arbeitsunfähigkeit belegen könne. Entgeltfortzahlung stünde ihm deshalb nicht zu.
 
Ganz ungeschoren kam der Arbeitgeber aber nicht davon. Das Gericht hielt ihm nämlich vor, dass der Kläger ab einem bestimmten Zeitpunkt seine Arbeitskraft wieder zur Verfügung gestellt hatte. Er hätte den Kläger ab diesem Tag wieder beschäftigen müssen.
 
Das habe er nicht getan. Dadurch sei er in Annahmeverzug geraten. Nun müsse er den Lohn ab diesem Tag zahlen, auch ohne dass er den Kläger zur Arbeit herangezogen habe.

Hier geht es zum Urteil