Die Pflicht, ein BEM anzubieten, ist nicht zeitlich beschränkt. Wenn nötig, muss es der Arbeitgeber mehrmals im Jahr anbieten. Copyright by Elnur/fotolia
Die Pflicht, ein BEM anzubieten, ist nicht zeitlich beschränkt. Wenn nötig, muss es der Arbeitgeber mehrmals im Jahr anbieten. Copyright by Elnur/fotolia

Das Landesarbeitsgericht Hamm macht mit seinem Urteil deutlich, welche Anforderungen Arbeitgeber bei der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) zu beachten haben.

Der Kläger wurde in den Verfahren vor dem Arbeitsgericht sowie vor dem Landesarbeitsgericht vom Büro Münster des DGB Rechtsschutz GmbH vertreten.
 

Erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten

Der Kläger - Mitglied der IG Metall - ist seit Juli 1999 bei der Beklagten, einem im Bereich Filtertechnologie tätigen Unternehmen, als Montierer und Maschinenbediener beschäftigt. Zwischen dem Jahr 2011 und April 2016 war der Kläger insgesamt an 639 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Pro Jahr schwankten die krankheitsbedingten Fehltage zwischen 208 im Jahr 2013 und 46 im Jahr 2014.
 
Bereits im Jahr 2012 legte der Kläger der Beklagten eine ärztliche Bescheinigung vor, wonach der behandelnde Hausarzt einen dauerhaften Einsatz des Klägers in der Nachtschicht empfahl. Dies konnte allerdings nicht umgesetzt werden, da der Kläger im Jahr 2013 fast durchgängig arbeitsunfähig erkrankt war.
 
Nachdem der Kläger wieder genesen war, empfahl auch der Betriebsarzt der Beklagten den Dauereinsatz in der Nachtschicht. Die Beklagte folgte dieser Empfehlung, die gesundheitliche Situation des Klägers besserte sich.
 

Einladungen zu BEM

Im Jahr 2014 war der Kläger erneut krankheitsbedingt abwesend. Im Rahmen eines ersten BEMs wurde vereinbart, dass der Kläger weiterhin in der Nachtschicht beschäftigt werden sollte.
 
Leider war der Kläger dann im Jahr 2015 an 143 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Deshalb lud die Beklagte ihn im Oktober 2015 zu einem weiteren BEM ein. Der Kläger lehnte ein weiteres BEM allerdings ab, weil ihm die Wahrnehmung des angebotenen Termins nicht möglich war.
 
Im Februar 2016 untersuchte der Betriebsarzt der Beklagten den Klägers erneut und empfahl, diesen weiterhin in der Nachtschicht einzusetzen. Andererseits zeigte er die Möglichkeit auf, die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers um 20  - 25% zu reduzieren. Hierauf ging die Beklagte aber nicht ein.
 

Kein weiteres BEM, stattdessen Kündigung

Ein weiteres BEM führte die Beklagte dann nicht mehr durch. Die Beklagte hörte den Betriebsrat zu der von ihr beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung des Klägers an und behauptete, der Kläger habe die Durchführung eines weiteren BEM abgelehnt.
 
Der Betriebsrat widersprach der Kündigung, verbunden mit dem Hinweis, dass dem Gremium nichts davon bekannt sei, dass der Kläger ein weiteres BEM abgelehnt hätte. Vielmehr habe er schlicht terminliche Gründe als Ursache für die Ablehnung der Einladung benannt.
Im April 2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis.
 

Trotz Gutachten Niederlage vor dem Arbeitsgericht

Der Kläger wehrte sich vor dem zuständigen Arbeitsgericht Bocholt. Die Kündigung sei unwirksam, weil die Beklagte sei nicht auf den Vorschlag des Betriebsarztes, die Arbeitszeit zu verkürzen, eingegangen sei. Die Beklagte trug dagegen vor, die hohen Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers rechtfertigten eine negative Prognose. In der Zukunft sei mit weiteren erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen.
 
Das Arbeitsgericht erhob Beweis durch Einholung einer arbeitsmedizinischen Sachverständigen-gutachtens sowie eines psychiatrischen -neurologischen Zusatzgutachtens. Die Gutachter führte in der mündlichen Verhandlung aus, dass zukünftig beim Kläger künftig nicht mit mehr als 6 Wochen Arbeitsunfähigkeit zu rechnen sei.
 
Es half nichts  - das Arbeitsgericht Bocholt wies die Kündigungsschutzklage ab. Hiergegen ging der Kläger in Berufung. Zur Begründung verweis der Kläger zunächst auf die medizinischen Gutachten, welche das Arbeitsgericht nicht richtig gewürdigt habe.
 

Landesarbeitsgericht hebt Urteil auf

Die Beklagte habe auch keine weitere Einladung zu einem BEM ausgesprochen. Hierzu sei sie aber verpflichtet gewesen, da er die vormalige Einladung lediglich wegen Terminproblemen abgelehnt habe. Letztlich sei auf die Beklagte auch nicht auf den Vorschlag des Betriebsarztes in Hinblick auf die Reduzierung der Arbeitszeit eingegangen.
 
Die Beklagte vertrat demgegenüber die Meinung, ein BEM innerhalb eines Jahres sei ausreichend. Seit der Ablehnung des BEM im Oktober 2015 sei kein volles Jahr bis zum Zugang der Kündigung vergangen. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, eine weitere Einladung auszusprechen.
 
Vor dem Landesarbeitsgericht hatte der Kläger Erfolg: Zwar rechtfertigten die Fehlzeiten des Klägers grundsätzlich eine negative Prognose; auch eine Betriebsbeeinträchtigung schloss das Gericht nicht aus. Allerding sei die Kündigung unverhältnismäßig. Denn die Beklagte habe es unterlassen, erneut ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen.
 

Wenn nötig, mehrmals im Jahr!

Ob der Kläger die Einladung zum BEM vom Oktober 2015 ablehnen durfte, da eventuell der Inhalt der Einladung nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach, ist für das LAG nicht erheblich. Genauso irrelevant ist die Frage, ob der Kläger um einen neuen Termin gebeten hatte.
 
Entscheidend ist vielmehr: Die Beklagte war verpflichtet, aufgrund der länger als sechs Wochen andauernden Arbeitsunfähigkeit ab November 2015 erneut ein BEM anzubieten.
 
Das LAG macht deutlich: Die Beklagte muss nicht nur ein BEM innerhalb eines Jahres anbieten. Denn das Gesetz spreche klar davon, dass ein BEM immer durchzuführen ist, wenn die im Gesetz angegebenen Arbeitsunfähigkeitszeiten erreicht sind. Für die Annahme der Beklagten, wonach ein BEM nur einmal pro Jahr durchzuführen sei, finde sich keine Grundlage im Gesetz.
 

Nutzlosigkeit nicht dargelegt

Auch der Behauptung der Beklagten, ein weiteres BEM wäre nutzlos gewesen, so dass es im Ergebnis letztlich keinen Unterschied machen würde, erteilt das LAG eine Absage. Die Beklagte habe nicht hinreichend ausgeführt, dass eine Reduzierung der Arbeitszeit nicht zu einer Verbesserung der krankheitsbedingten Ausfallzeiten geführt hätte.
 
So hat die Beklagte versäumt, alle möglichen Ergebnisse eines BEM aufzuzeigen. Ebenso wenig hat die Beklagte ausgeführt, weshalb es unter Beachtung der möglichen Ergebnisse eines BEM auf keinem Fall zu umsetzbaren, zielführenden Maßnahmen gekommen wäre.
 
Die Beklagte hätte sowohl den konsequenten Einsatz des Klägers in der Spätschicht, als auch die Reduzierung der Arbeitszeit ausprobieren müssen. Der Kläger sei nicht gehalten gewesen, von sich aus einen Antrag auf Reduzierung der Arbeitszeit zu stellen.
 
Urteil des LAG Hamm
 
Zum Weiterlesen
 
Betriebliches Eingliederungsmanagement
Ohne BEM ist eine Kündigung unwirksam
BEM ist mehr als Anhörung: Eingliederung bei psychotherapeutischer Behandlung
 
 

Das sagen wir dazu:

Wieder einmal ist ein Arbeitgeber an der „Hürde BEM“ kläglich gescheitert. Das betriebliche Eingliederungsmanagement soll Arbeitnehmer vor einer eventuellen Erwerbsunfähigkeit schützen. Letztlich ist die gesetzliche Erfordernis zur Durchführung des BEM Ausdruck der Treuepflicht des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern.

Arbeitgeber müssen BEM ernst nehmen

Arbeit dient dem Lebensunterhalt. Im Falle der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit soll daher mit Hilfe eines BEM alles von Seiten des Arbeitgebers getan werden, dass das Arbeitsverhältnis weiter geführt werden kann - wenn nötig auch mehrmals im Jahr, wie das Urteil zeigt.

Die Pflicht zur Durchführung eines BEM als „reine Förmelei“ abzutun, ist von Seiten der Arbeitgeber also nicht zielführend. Die Liste der Urteile ist lang, in denen Arbeitsgerichte den Arbeitgebern völliges Versagen bei der Durchführung eines BEM attestieren.

Dem Kläger konnte die Verweigerungshaltung der Beklagten in prozessualer Hinsicht egal sein – als Mitglied einer DGB Gewerkschaft hatte er Anspruch auf Beratung und Vertretung durch das Büro Münster der DGB Rechtsschutz GmbH. Ohne Kostenrisiko.

Rechtliche Grundlagen

§ 167 Absatz 2 SGB IX

Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich, wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Absatz 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.