Nach 25-jähriger Ehe hatte sich die Witwe ihre Versorgung im Alter anders vorgestellt. © Adobe Stock: terovesalainen
Nach 25-jähriger Ehe hatte sich die Witwe ihre Versorgung im Alter anders vorgestellt. © Adobe Stock: terovesalainen

Nicht jedes Gerichtsverfahren endet mit einem Erfolg. Klarheit bezüglich offener Rechtsfragen kann es dennoch geben, wenn auch nicht mit dem gewünschten Resultat.

 

Beim Arbeitsgericht Hamburg wurde ein Fall des DGB Rechtsschutzbüros Hamburg verhandelt, in dem es für die Witwe eines verstorbenen Beschäftigten um ihre Altersversorgung ging. Die Ehe war 1996 geschlossen worden. Schon 1998 trat der Mann in den altersbedingten Ruhestand und erhielt von der Beklagten ein Ruhegeld auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung. Diese Betriebsvereinbarung regelt u.a. Ansprüche auf Ruhegeld bei Erreichen bestimmter Altersgrenzen sowie aus gesundheitlichen und betrieblichen Gründen und zur Hinterbliebenenversorgung.

 

Witwenrente gibt es erst nach fünfjähriger Ehedauer

 

Hinterbliebenenversorgung wird im Unternehmen nach der geltenden Betriebsvereinbarung in Form von Witwen-, Witwer- oder Waisengeld gewährt. Berechtigt sind Ehegatten bzw. Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und die Kinder verstorbener Beschäftigter, die die Voraussetzungen für den Bezug von Ruhegeld nach der Betriebsvereinbarung erfüllen.

 

Witwen-/Witwergeld wird nicht gezahlt, wenn der Verdacht einer Versorgungsehe bzw. Versorgungs-Lebenspartnerschaft naheliegt, oder, wenn die Ehe/eingetragene Lebenspartnerschaft weniger als fünf Jahre vor dem Ruhestand geschlossen wurde.

 

Der Arbeitgeber verweigerte das Witwengeld

 

Die Witwe im Klageverfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg erhielt nach dem Tod ihres Ehemannes, den sie vor 25 Jahren geheiratet hatte, keine Hinterbliebenenversorgung. Die Ehe habe zum Zeitpunkt des Eintritts ihres Ehemannes in den Ruhestand weniger als fünf Jahre bestanden, erläuterte der Arbeitgeber und bekam nun vom Arbeitsgericht recht.

 

Die Klägerin sah sich diskriminiert und vermutete einen Verstoß gegen europäisches Recht, denn die Regelung betreffe ganz überwiegend Frauen. Knapp 75 % aller gesetzlichen Hinterbliebenenrenten würden an Frauen ausgezahlt und Frauen lebten durchschnittlich etwa fünf Jahre länger als Männer.

 

Das Gericht war davon nicht zu überzeugen

 

Die Unwirksamkeit der Regelung folge nicht aus einem Verstoß gegen das Verbot

der Diskriminierung wegen des Alters in Art. 21 der Grundrechtecharta (GRCh) der Europäischen Union.

 

Darin heißt es:

 

1.     Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.

2.     Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.

 

Das Unionsrecht sei ordnungsgemäß durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in deutsches Recht umgesetzt worden, entschied das Arbeitsgericht. Einer eigenständigen Prüfung der Unwirksamkeit nach Art. 21 GRCh bedürfe es deshalb nicht. Jedoch sei auch nach dem AGG keine Diskriminierung anzunehmen.

 

§ 7 AGG enthält ein Verbot der Benachteiligung

 

Die Regelung sei nicht wegen Verstoßes gegen das in § 7 AGG normierte Verbot der Benachteiligung wegen des Alters unwirksam. Das AGG gelte auch für die betriebliche Altersversorgung, soweit das Betriebsrentengesetz nicht vorrangige Sonderregelungen enthalte. Das sei nicht der Fall.

 

Zwar könne das AGG auf die Klägerin als Hinterbliebene ihres versorgungsberechtigten Ehemanns nicht unmittelbar angewandt werden. Sie zähle nicht zu den in § 6 AGG genannten Personengruppen. Den persönlichen Geltungsbereich des AGG begrenze § 6 AGG auf Arbeitnehmer:innen, Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Personen.

 

Für die Beurteilung der Frage, ob eine Benachteiligung vorliegt, sei allerdings auf die versorgungsberechtigten Arbeitnehmer:innen und nicht auf die Hinterbliebenen abzustellen, so das Gericht. Damit finde das AGG auch im Fall der Witwe Anwendung. Es komme also auf den verstorbenen Ehemann der Klägerin als unmittelbar Versorgungsberechtigtem an, auch wenn das Beschäftigungsverhältnis - wie vorliegend - bereits beendet sei. Nach dem Tod ihres Ehemanns und damit ab Eintritt des Nachversorgungsfalls sei die Klägerin als Hinterbliebene berechtigt, dessen Recht als eigenes Recht geltend zu machen.

 

Eine Benachteiligung wegen des Alters ist unzulässig

 

Nach § 7 AGG dürfen Beschäftigte u.a. nicht wegen des Alters benachteiligt werden. Unzulässig sind unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen. Eine unmittelbare Benachteiligung ist gegeben, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

 

Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, einzelne Kriterien oder Verfahren enthalten, die Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können. Dies gilt nicht, wenn die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, sind unwirksam.

 

Die im hiesigen Verfahren streitige Betriebsvereinbarung, wonach eine Witwenversorgung erst nach fünfjähriger Ehe vor Eintritt in den Ruhestand gewährt werden kann, stelle eine unmittelbare Diskriminierung der Klägerin dar, entschied das Gericht. Indem die Regelung an den Zeitpunkt fünf Jahre vor dem Ruhestand anknüpfe, führe sie zu einem vollständigen Ausschluss des Witwengeldes bei Versorgungsberechtigten, deren Ehe erst nach diesem Zeitpunkt geschlossen wurde. Damit würden Arbeitnehmer:innen, die - wie der verstorbene Ehemann der Klägerin - die Ehe nach diesem Zeitpunkt schließen, wegen ihres Alters eine ungünstigere Behandlung erfahren als Arbeitnehmer:innen, die vor diesem Zeitpunkt heirateten.

 

Diese Ungleichbehandlung ist nach § 10 AGG sachlich gerechtfertigt

Nach § 10 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Dabei müssten die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein, so das Gericht. Die Vorschrift diene der Umsetzung europäischen Rechts in das nationale Recht.

 

Für die Begrenzung der Ehedauer gebe es ein legitimes Ziel. Legitime Ziele iSv. § 10 AGG seien auch Ziele, die im Rahmen von Anliegen der Beschäftigungspolitik und des Sozialschutzes einen Ausgleich zwischen verschiedenen beteiligten Interessen schaffen sollen, um damit der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu dienen. Dazu gehöre auch, den unternehmerischen Belangen einer begrenzbaren und kalkulierbaren Belastung Rechnung zu tragen.

 

Indem § 10 AGG erlaube, in Versorgungsordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen und damit für diesen eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, verfolge die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten. Es halte sich im Rahmen dieses legitimen Ziels, wenn in einer Versorgungsordnung von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werde. Das mit der Regelung verfolgte Ziel müsse dabei nicht ausdrücklich benannt werden.

 

Finanzielle Risiken müssen kalkulierbar sein

 

Der Ausschluss in der streitigen Betriebsvereinbarung begrenze die finanziellen Risiken für den Arbeitgeber. Gerade bei der Hinterbliebenenversorgung habe der Arbeitgeber ein anerkennenswertes Interesse an einer solchen Begrenzung, da ein derartiges Leistungsversprechen zusätzliche Unwägbarkeiten und Risiken nicht nur in Bezug auf den Zeitpunkt des Leistungsfalls, sondern auch hinsichtlich der Dauer der Leistungserbringung mit sich bringe.

 

Das Arbeitsgericht hielt den Ausschluss des Witwengeldes bei Eheschließungen von weniger als fünf Jahren auch für angemessen und erforderlich. Er führe nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der Versorgungsberechtigten, die von der Zusage ausgeschlossen würden. Indem die Ausschlussregelung auf den Zeitpunkt fünf Jahre vor dem Ruhestand abstelle, knüpfe sie an den Ruhestand als betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip an, das typischerweise mit einer Zäsur im Arbeitsverhältnis verbunden sei, wenn auch mit einer zusätzlichen Frist von fünf Jahren. Diese sei rechtlich nicht zu beanstanden.

 

Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt nicht vor

 

Auch eine Benachteiligung wegen des Geschlechts erkannte das Arbeitsgericht nicht. Die Regelung enthalte keine derartige mittelbare Benachteiligung. Frauen würden nicht in besonderer Weise gegenüber Männern benachteiligt. Die Mindestehedauer ist Voraussetzung sowohl für das Witwengeld als auch für das Witwergeld. Der Umstand, dass mehr Hinterbliebenenrenten an Witwen als an Witwer gezahlt würden und Frauen durchschnittlich einige Jahre länger lebten als Männer, ändere daran nichts.

Weiterführende Links für interessierte Leser:innen:

Spät gefreit, dann bereut?

Keine Diskriminierung bei Eheschließung über 60

 

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 1 AGG; § 7 AGG

§ 1 Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

§ 7 Benachteiligungsverbot
(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.
(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.
(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.