Bangladesch ist das zweitwichtigste Herkunftsland für Textilien, die man in Deutschland kauft. Ein Land, in dem Arbeitnehmerrechte systematisch verletzt werden. © Adobe Stock - Von terovesalainen
Bangladesch ist das zweitwichtigste Herkunftsland für Textilien, die man in Deutschland kauft. Ein Land, in dem Arbeitnehmerrechte systematisch verletzt werden. © Adobe Stock - Von terovesalainen

Wir freuen uns über neue modische Kleidung, in der wir uns attraktiver fühlen und die vielleicht auch noch gut „sitzt“. Über das trendy T-Shirt, das passende Outfit für das Fitness-Studio und über Schuhe, die nicht nur gut aussehen, sondern uns auch noch mühelos über das Straßenpflaster schweben lassen. Kosten soll das alles möglichst wenig. Online bestellt oder im Outlet-Shop erworben - jedenfalls kostengünstig: wir hängen Shirt oder Hose im Schnitt ohnehin nur für drei Jahre in den Schrank und ziehen sie selten an.


Jedenfalls die Hälfte aller in Deutschland erworbenen Oberteile, Hosen und Schuhe werden nach Ablauf dieser Zeit aus dem Kleiderschrank aussortiert, wie Greenpeace in einer Umfrage aus dem Jahr 2015 herausgefunden hat. Und zwar in der Regel nicht, weil die Kleidung zerschlissen ist, sondern weil man neuen Platz im Kleiderschrank benötigt, um die regelmäßig weiter gekauften Kleidungsstücke dort unterbringen zu können. Von den 5,2 Milliarden Kleidungsstücken, die sie im Jahr kaufen, tragen die Deutschen 40 Prozent sehr selten oder nie.

Bangladesch ist das zweitwichtigste Herkunftsland für Textilien, die man in Deutschland kauft

Woher kommen aber all diese Shirts, Hemden, Hosen und Schuhe? In Deutschland selbst aber auch in der übrigen Europäischen Union werden noch sehr wenige Textilien produziert. Am ehesten noch Designer-Kleidung in Italien. Mit Abstand befinden sich die größten Produzenten von Kleidung, die in Deutschland verkauft wird, in zwei Ländern: wichtigste Herkunftsländer für Bekleidungsimporte in Deutschland waren - mit Abstand - im Jahr 2021 China mit einem Einfuhrwert von mehr als 7,8 Milliarden Euro, gefolgt von Bangladesch mit einem Einfuhrwert von mehr als 6,5 Milliarden Euro.


Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) hat jetzt neue Beweise für Verletzungen der Arbeitnehmerrechte in Bangladesch in drei wichtigen Wirtschaftssektoren - Konfektionskleidung, Schiffsabwrackung und Leder - vorgelegt. Sie zeigen nach Auffassung des IGB deutlich auf, wie sich die Untätigkeit der Regierung auf das Leben der arbeitenden Bevölkerung auswirkt.

Es ist unmenschlich, wenn sich Länder weigern, Arbeitsschutzmaßnahmen einzuführen

Der Bericht, der demnächst vor dem jüngsten Fortschrittsbericht der Regierung an den Verwaltungsrat der ILO (International Labour Organisation) veröffentlicht wird, zeigt wie unmenschlich es ist, wenn sich Länder weigern, Arbeitsschutzmaßnahmen einzuführen.


Interviews mit Arbeitnehmer*innen im Oktober und November 2021 enthüllen systematische Rechtsverletzungen in Betrieben in Bangladesch, die im Einzelnen insbesondere bestehen aus:

 

  • unfaire Arbeitspraktiken,
  • gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung,
  • unsichere Arbeitsplätze,
  • Gewalt gegen Arbeitnehmer*innen und
  • Nichtzahlung von Löhnen und Sozialleistungen.

Gewerkschaften dürfen nur tätig sein, wenn sie staatlich registriert sind

Es gibt für die Beschäftigten nicht die Möglichkeiten, wie sie in demokratischen Rechtsstaaten gegeben sind: es gibt keine Arbeitsgerichtsbarkeit und überhaupt keine nennenswerten Schutzrechte für Arbeitnehmer*innen. Wer sich beschwert, muss mit verbalen und körperlichen Übergriffen durch den Arbeitgeber rechnen und befürchten, unverzüglich entlassen zu werden.


Beschäftigte können sich auch nicht einfach zu Gewerkschaften zusammenschließen. Sie sind nur legal, wenn sie staatlich registriert sind. Das müssen Arbeitnehmer*innen bei einer zuständigen Behörde beantragen, die dann entscheidet, ob sie die Gewerkschaft registriert. Und das ist für unabhängige Gewerkschaften gar nicht einfach. Während regierungsnahe Gewerkschaften leicht eine Registrierung erhalten, werden die Anträge freier Gewerkschaften in der Regel abgelehnt.

Gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung, Lohndiskriminierung und unsichere Arbeitsbedingungen sind in Bangladesch an der Tagesordnung

„Die Behinderung und Weigerung der Regierung von Bangladesch, die Bedingungen zu verbessern, gefährdet das Leben der Arbeiter. Jeden Tag, an dem sie Reformverpflichtungen aufschieben, spüren ein anderer Arbeiter und die Familie des Arbeiters den Schmerz der Untätigkeit,“ sagt Sharan Burrow, Vorsitzende des IGB: „Während sich die Regierung von Bangladesch darauf vorbereitet, den ILO-Verwaltungsrat über den Reformfortschritt zu informieren, werden weiterhin gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung, Lohndiskriminierung und unsichere Arbeitsbedingungen in drei der größten Beschäftigungssektoren des Landes gemeldet - Konfektionskleidung, Schiffsabwrackung und Leder (Gerberei) Sektoren“.


Gefährlich lebt, wer sich in Gewerkschaften organisiert. „Union Busting“ erschöpft sich in Bangladesch nicht in Maßnahmen, wie sie in Ländern wie Deutschland gerne von neoliberalen Anwälten empfohlen wird. Im letzten Jahr wurden in Bangladesch etwa elf Gewerkschaftsmitglieder entführt, einige Tage, nachdem sie ihre Gewerkschaft bei den zuständigen Behörden registriert hatten.

Der IGB hat zehn Bereiche identifiziert, in denen die Regierung von Bangladesch in der Vergangenheit untätig war

„Die Regierung von Bangladesch muss unverzüglich einen transparenten und wirksamen Überwachungsmechanismus für die Umsetzung des Fahrplans der IAO einrichten und sich sinnvoll mit dreigliedrigen Mitgliedsgruppen zu allen Aktionspunkten beraten“, sagte Sharan Burrow.


Der IGB hat zehn Bereiche identifiziert, in denen die Regierung von Bangladesch in der Vergangenheit untätig war und zu denen er im März 2022 über Fortschritte berichten muss. Dazu gehört, dass unabhängigen Gewerkschaften immer noch die Registrierung verweigert und diskriminiert werden. Arbeitsaufsichtssysteme sind nicht mit angemessenen Ressourcen ausgestattet, und es wurde nicht genügend Personal eingestellt. Die Regierung von Bangladesch hatte zudem keine Schritte unternommen, um gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung, unfaire Arbeitspraktiken und Gewalt gegen Arbeitnehmer anzugehen.

Die Wirtschaftslobby hat in Deutschland ein wirklich effektives Lieferkettengesetz verhindert

Unsere Hosen, T-Shirts, Schuhe und so weiter können wir also nur zu für uns geringe Kosten weiterhin erwerben, weil wir die immer noch düstere Lage der Arbeitnehmer*innen in Ländern wie Bangladesch hinnehmen. Und die ist trotz aller Bemühungen von IGB und ILO in den letzten Jahren kaum besser geworden. Daran wird ab 2023 insbesondere auch das dann geltende „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ - eine sehr abgespeckte Variante eines seit langem auch vom DGB und seinen Gewerkschaften geforderten Lieferkettengesetzes - nichts ändern.


Wir erinnern uns: Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hatten im März 2020 ein den Entwurf eines „Gesetzes gegen Ausbeutung in globalen Lieferketten“ vorgelegt. Das Gesetz hätte Unternehmen in Deutschland zwingen können, Ware nicht abzunehmen, wenn gewisse Mindeststandards bei ihrer Produktion und beim Vertrieb nicht eingehalten werden.


Das machte die Lobbyisten der Wirtschaft und die Arbeitgeberverbände nervös, was wiederum die damaligen Kanzlerin Angela Merkel veranlasste, den Vorstoß ihrer Kabinettskollegen Heil und Müller zu stoppen. Sie schickte ihren Kettenhund Wirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) vor, um mit den beiden Übermütigen einen Kompromiss auszuhandeln, eben das oben beschriebene „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, das vermutlich letztlich nichts ändern wird.


Die EU-Kommission hat inzwischen einen Entwurf für ein europaweites Lieferkettengesetz vorgestellt, die „Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit“. Diese wird insbesondere von Gewerkschaften als absolut nicht ausreichend kritisiert.

Die Katastrophe von Rana Plaza hatte uns 2013 nur kurz aufgeschreckt

An unseren Shirts, Hosen und Schuhen wird weiterhin Blut kleben. Das Unglück beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch hatte uns 2013 kurz aufgeschreckt. Es ist anzunehmen, dass viele sich heute gar nicht mehr daran, dass damals 1100 Menschen ums Leben kamen und 2.500 Textilarbeiter*innen teils schwer wurden, weil der Arbeitgeber auch nur die mindesten Sicherheitsvorkehrungen versäumt hatte.


Drei Jahre nach dem Unglück wurden insgesamt 41 Menschen des Mordes angeklagt. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, bewusst mangelhafte Baustandards unterschrieben zu haben. Sie hatten Beschäftigte gezwungen, in dem achtstöckigen Gebäude zu arbeiten - obwohl sie wussten, dass es strukturell nicht intakt war.


Der Prozess wurde mehrfach auf Druck der Textilindustrie, der wichtigsten Industrie des Landes, unterbrochen. Zuletzt fünf Jahre lang. Erst jetzt, am 16. April 2022 setzt das Gericht das Verfahren wieder fort. Die Opfer und die Angehörigen der Getöteten warten bis heute auf Gerechtigkeit und Entschädigung.

Wirkliche Gesetze gegen die Ausbeutung in globalen Lieferketten können Druck auf die Regierung und das Parlament in Dhaka ausüben

Was Rohstoffe zur Energiegewinnung für Putin und Konsorten darstellen, ist für die Herrschenden in Bangladesch die Textilindustrie. Ohne den Export von Kleidung, der in den westlichen Ländern einen großen Teil der Konsumwüsche bedient, ginge es der asiatischen Republik wirtschaftlich deutlich schlechter. Europäische Länder könnten daher mit wirklichen Gesetzen gegen die Ausbeutung in globalen Lieferketten Druck auf die Regierung und das Parlament in Dhaka ausüben, um den Prozess zu beschleunigen, starke Arbeitsrechts- und Sozialstandards in Bangladesch einzuführen und zu kontrollieren.


Bangladesch gehört heute freilich nicht zu den Ländern, die als völlig unfrei gelten. Auch ist Ministerpräsidentin Hasina Wajed keine weibliche Putina. Das Regime gilt laut von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) herausgegebene politische Indizes als „ Hybridregime“: teilweise autoritär, teilweise demokratisch. Aber gerade deshalb mit Druck und Sanktionen eher zu beeindrucken als Putins Russland.

Bangladesch ist für Frauen und Mädchen besonders unsicher

Hinsichtlich von Arbeitnehmerrechten gehört Bangladesch gemäß einer Studie des IGB von 2020 zu den zehn Staaten, in denen Arbeitnehmerrechte am schwersten verletzt werden. Untersucht hatte man damals 144 Staaten.


Aber auch im Übrigen gilt das südasiatische Land nicht gerade als sicher, insbesondere für Frauen und Mädchen. Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe, Belästigung und Unterdrückung von Frauen hätten ein beispielloses Maß an Brutalität und Häufigkeit erreicht, berichtete etwa Joly Talukder auf dem 12. Frauenpolitischen Ratschlag in Erfurt im November 2019 über die Lage der Textilarbeiterinnen in ihrem Heimatland Bangladesch. Laut Statistiken seien 2018 in Bangladesch insgesamt 356 Kinder vergewaltigt worden, 22 seien an den Folgen der Übergriffe gestorben. Frau Talukder ist Vorsitzende der Textilarbeiterinnen-Gewerkschaft, die etwa 100.000 Mitglieder hat.

Zum Vertiefen des Themas:
Unser Artikel „Weltfrieden durch soziale Gerechtigkeit- 100 Jahre ILO“:
„Schnäppchen ein Schnippchen schlagen“ auf der Homepage von Ver.di:
„EU-Lieferkettengesetz nicht konsequent genug“ auf der Homepage von Ver.di:
"Die Situation in Bangladesch verschlechtert sich täglich!" auf der Homepage von Ver.di: