Altersgrenze für Piloten unzulässig?
Altersgrenze für Piloten unzulässig?

Der Kläger war seit 1986 bei der Beklagten als Flugkapitän beschäftigt und daneben auch in der Ausbildung anderer Piloten eingesetzt. Im Oktober 2013 wurde er 65 Jahre alt und schied dann mit Erreichen der Regelaltersgrenze zum 31. Dezember 2013 aus dem Arbeitsverhältnis aus.

Doch keine grenzenlose Freiheit „über den Wolken“?

In den Monaten November und Dezember 2013 beschäftigte die Beklagte den Kläger nicht. Sie berief sich darauf, der Kläger dürfe nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr im gewerblichen Luftverkehr tätig sein. Nachdem der Kläger nicht eingesetzt werden konnte, erhielt er auch keinen Lohn für diesen Zeitraum.

Der Kläger wehrte sich hiergegen und fordert für diese beiden Monate zwischen Erreichen des 65. Lebensjahres und dem Ruhestand die ausstehende Vergütung ein.

Die Vorinstanzen hatten der Klage überwiegend stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, während der Kläger die Stattgabe seines Klageantrags in voller Höhe erstrebt.

Verstößt EU-Verordnung gegen die Europäische Grundwertecharta?

Die Begrenzung der Lizenz auf das 65. Lebensjahr ergab sich aus FCL.065 b des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 vom 3. November 2011. Danach darf der Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, nicht als Pilot eines Luftfahrzeugs im gewerblichen Luftverkehr tätig sein.

Das BAG hat nun die Frage aufgeworfen, ob diese Regelung gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) verstößt. Deshalb es zuständigkeitshalber den Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt.

Dieser muss nun prüfen, ob die Norm, um die es im Ausgangsfall geht, mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und dem Recht, wonach jede Person das Recht hat zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben, vereinbar ist.

Was ist „Gewerblicher Flugverkehr“?

Für den Fall, dass der EuGH diese Fragen mit „ja“ beantwortet, hat das BAG weitere Fragen gestellt, die eine Entscheidung des Falles ermöglichen sollen.

Zum einen möchte es wissen, ob die Vorschrift so auszulegen ist, dass unter den Begriff des „gewerblichen Luftverkehrs“ auch sogenannte Leerflüge eines Luftverkehrsunternehmens fallen, bei denen weder Fluggäste, noch Fracht oder Post befördert werden.

Zum anderen wirft das BAG die Frage auf, ob unter den Begriff des „gewerblichen Luftverkehrs“ die Ausbildung und Abnahme von Prüfungen fallen, bei denen der über 65-jährige Pilot sich als nicht fliegendes Mitglied der Crew im Cockpit des Flugzeugs aufhält.

Anmerkung:

Der Fall ist ein gutes Beispiel dafür, welche Rolle das Europarecht mittlerweile auch im deutschen Arbeitsrecht spielt. Zunächst mag man über die Entscheidung verwundert sein. Man sollte doch annehmen, das höchste deutsche Arbeitsgericht erkenne Diskriminierung, wenn es sie sieht – auch ohne Hilfe eines anderen Gerichts.

Das ist auch sicher der Fall: Das BAG hat in ständiger Rechtsprechung in den vergangenen Jahren starre Altersgrenzen für unzulässig erachtet und diese in deutschen Gesetzen weitestgehend eliminiert, beginnend mit der Mindestgrenze bei Kündigungsfristen von 25 Jahren über den nach Alter gestaffelten Urlaub und in jüngerer Vergangenheit vermehrt bei starren Obergrenzen.

Aber dabei handelt es sich stets um deutsches Recht und nicht um eine EU-Verordnung. Diese ist nicht am Grundgesetz, sondern an den Grundrechten der EU zu messen. Ebenso, wie das Bundesverfassungsgericht allein dafür zuständig ist, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, ist es Sache des EuGH, europäische Regeln auf ihre Vereinbarkeit mit der Grundrechtecharta der EU zu prüfen.

Es ist wahrscheinlich, dass der EuGH ebenfalls eine Diskriminierung annimmt und der Pilot allein deshalb das Verfahren gewinnt. Aber auch für den anderen Fall haben die BAG-Richter*innen vorgebaut. In ihrer Frage an den EuGH haben sie angedeutet, dass der Arbeitgeber die Richtlinie falsch angewendet haben könnte. Denn ein Beschäftigungsverbot aufgrund der fehlenden Fluglizenz muss nicht bedeuten, dass der Pilot nicht zumindest als Ausbilder beschäftigt werden kann. Auch dies wird der EuGH gegebenenfalls zu prüfen haben.

Die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgericht zum Beschluss vom 27. Januar 2016 - 5 AZR 263/15 (A): finden sie hier

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Im Praxistipp:
Artikel 15 - Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten-  Charta der Grundrechte der Europäischen Union (oft verkürzt: EU-Grundrechtecharta; häufige Abkürzungen: GRC bzw. GRCh) 

Rechtliche Grundlagen

Artikel 15 - Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten - und 21 - Nichtdiskriminierung - Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Artikel 15 - Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten- und
Artikel 21 - Nichtdiskriminierung -
Charta der Grundrechte der Europäischen Union (oft verkürzt: EU-Grundrechtecharta; häufige Abkürzungen: GRC bzw. GRCh)

Artikel 15 - Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten

(1) Jede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf
auszuüben.
(2) Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu
suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen.
(3) Die Staatsangehörigen dritter Länder, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten arbeiten dürfen,
haben Anspruch auf Arbeitsbedingungen, die denen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger entsprechen.
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Artikel 21 GRC: Nichtdiskriminierung

(1) Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der
Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen
Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung
sind verboten.

(2) Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede
Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.