Auch Ersatzmitglieder des Betriebsrates kann der Arbeitgeber nicht einfach "wegschnippen". Sind sie nach dem Gesetz nachgerückt, haben sie den Sonderkündigungsschutz. Copyright by Adobe Stock/ svort
Auch Ersatzmitglieder des Betriebsrates kann der Arbeitgeber nicht einfach "wegschnippen". Sind sie nach dem Gesetz nachgerückt, haben sie den Sonderkündigungsschutz. Copyright by Adobe Stock/ svort

Es geht um ein Unternehmen der Milchwirtschaft, das bundesweit tätig ist. So auch weit im Norden in Mecklenburg, wo es ein „Dauermilchwerk“ betreibt. Dort gibt es einen Betriebsrat. Und dessen Vorsitzenden wollte das Unternehmen kündigen.
Arbeitsverhältnisse von Mitgliedern des Betriebsrates lassen sich aber nicht einfach kündigen. Ordentlich schon einmal gar nicht, das verbietet § 15 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG). Und außerordentlich geht das nur mit Zustimmung des Betriebsrates. Und dieser wollte im vorliegenden Fall nicht, dass das Unternehmen seinen Vorsitzenden kündigt.

Ein Mitglied des Betriebsrates kann der Arbeitgeber nur mit Zustimmung des Betriebsrates kündigen

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sieht vor, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen kann. Aber selbstverständlich nicht nach Gutdünken. Das Gericht darf sie nur ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist (§ 103 Absatz 2 BetrVG).

In der Regel kommt für einen Betriebsrat dabei nur eine Kündigung in Frage, weil er eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat. Manchmal kommen auch Kündigungen in Betracht, weil er sich außerhalb des Dienstes in einer Weise verhalten hat, die den Arbeitgeber schädigt.
Zu außerdienstlichen Gründen für eine Kündigung empfehlen wir unseren Artikel: „Kündigung wegen einer Straftat in der Freizeit“
Außerordentliche Kündigungen in der Person des Arbeitnehmers wie etwa langandauernde Krankheiten, kommen für Betriebsräte mit Rücksicht auf den Normzweck kaum in Betracht. Außerordentliche betriebsbedingte Kündigungen von Mitgliedern des Betriebsrates sind gar nicht erlaubt. Das Kündigungsschutzgesetz bestimmt, dass ihnen auch ordentlich gekündigt werden kann, wenn der Betrieb schließt und unter Umständen auch, wenn nur ein Betriebsteil schließt (§ 15 Absatz 4 und 5 KSchG). Damit ist die Möglichkeit, einem Mitglied des Betriebsrates betriebsbedingt zu kündigen, abschließend geregelt.

Ein wichtiger Kündigungsgrund liegt vor, wenn es nicht mehr zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen

Was eine Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag betrifft, steht das Mitglied des Betriebsrats jedem anderen Arbeitnehmer gleich. Das ist ganz herrschende Meinung unter Arbeitsrechtler*innen und entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) bestimmt, dass ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund deren demjenigen, der kündigt

  • unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und
  • unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile

die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Es geht also nicht um einen „einfachen Grund“ für die Kündigung, sondern um einen „wichtigen Grund“, den ein Arbeitgeber „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles“ haben muss, will er ein Mitglied des Betriebsrates kündigen. Aber selbst das allein würde noch nicht ausreichen. Es müssen auch noch die Interessen gegeneinander abgewogen werden.

Für ein Mitglied des Betriebsrates gibt es aber keine Kündigungsfrist

Ein wichtiger Grund liegt indessen nur vor, wenn der einen Vertragspartei  - in unserem Fall dem Arbeitgeber  - nicht einmal mehr zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis auch nur solange fortzusetzen, bis die ordentliche Kündigungsfrist abgelaufen ist.
Und hier gibt es bei Mitgliedern des Betriebsrates das Problem, dass für sie gar keine Kündigungsfrist gilt. Die gibt es nämlich nur bei ordentlichen Kündigungen und solche sind nach dem KSchG für sie ausgeschlossen.

Einige Arbeitsrechtler*innen schlagen vor, darauf abzustellen, ob die Weiterbeschäftigung des Betriebsratsmitglieds bis zum Ende der Kündigungsfrist für eine ordentliche Kündigung nach Auslaufen des Sonderkündigungsschutzes zumutbar ist. Das würde indessen Betriebsratsmitglieder gegenüber anderen Arbeitnehmern benachteiligen, bei denen lediglich geprüft wird, ob dem Arbeitgeber ein Zuwarten bis zum Auslauf der Kündigungsfrist zugemutet werden kann.

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist die Kündigungsfrist zugrunde zu legen, die gelten würde, wenn der Arbeitnehmer nicht Mitglied des Betriebsrates wäre

Die Möglichkeit des Arbeitgebers zu kündigen würde nämlich stark erweitert, weil die Interessenabwägung in vielen Fällen zu dem Ergebnis führen würde, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf eine nicht absehbare Zeit dem Arbeitgeber bei Vorliegen eines wichtigen Grundes "an sich" nicht zugemutet werden kann. Eine solche Benachteiligung eines Betriebsratsmitglieds wäre nach § 78 BetrVG, nach dem Mitglieder des Betriebsrates wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden dürfen, aber unzulässig.

Das BAG legt deshalb zurecht in ständiger Rechtsprechung die Kündigungsfrist zugrunde, die gelten würde, wenn der Arbeitnehmer nicht Mitglied des Betriebsrats wäre.
Ob ein wichtiger Grund im Einzelfall vorliegt, ist eine Frage der Wertung. Es handelt sich hierbei um einen sogenannten „unbestimmten Rechtsbegriff“, den im Fall eines Kündigungsschutzverfahrens das Tatsachengericht (also Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht, nicht aber das Bundesarbeitsgericht) wertet. Das BAG kann in der Revision nur überprüfen, ob ein Landesarbeitsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen eine außerordentliche Kündigung sprechen, beachtet hat.

Deshalb lässt sich auch für erfahrene Prozessbevollmächtigte nicht immer klar voraussehen, ob ein vom Arbeitgeber vorgebrachter Grund „durchgeht“.

Der Arbeitgeber meint, der Betriebsratsvorsitzende habe gravierende Fehler bei seiner Arbeit gemacht

Doch jetzt zurück zu unserem „Dauermilchwerk“.
Der Arbeitgeber hat beim Arbeitsgericht Rostock beantragt, die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden zu ersetzen.
Der Betriebsratsvorsitzende Michael Maron (Name von der Redaktion geändert) ist beschäftigt als Mitarbeiter in der Warenwirtschaft. Er hatte im Juni und Oktober 2019 bereits fünf Abmahnungen wegen der nicht ordnungsgemäßen Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen erhalten. Er soll Kundenaufträge fehlerhaft erfasst haben, weshalb dem Unternehmen ein Schaden in Hohe von 20.880,00 Euro entstanden sein soll.

Anfang 2020 soll Herr Maron drei LKWs Sprüh-Magermilchpulver zur Auslieferung freigegeben haben, obwohl die Auftragsmenge laut Vertrag bereits ausgeschöpft war. Das hätte er nach Auffassung des Arbeitgebers erkennen müssen. Dadurch soll dem Unternehmen ein Schaden in Höhe von 9.360,00 Euro entstanden sein. Der Arbeitgeber meinte zudem, der Schaden hätte sogar mehr als 50.000,00 Euro betragen, wenn ein Arbeitskollege den Fehler nicht bemerkt hätte. Dieser habe Herrn Maron vertreten als er wegen der Teilnahme an einem Seminar verhindert gewesen sei.
Wegen dieses Vorfalls will das Unternehmen nunmehr das Arbeitsverhältnis kündigen.

Arbeitsgericht: der Mensch ist unzulänglich und macht Fehler

Michael Maron hat zum Kündigungsvorwurf eingewendet, dass nicht mehr nachvollziehbar sei, weshalb acht zusätzliche Aufträge angelegt worden seien. Insgesamt sei es bei der Abwicklung des Auftrags wiederholt zu Störungen und Problemen gekommen. Er könne sich nicht vorstellen, dass es zu einer Überlieferung gekommen wäre, wenn der bearbeitende Mitarbeiter manuell kontrolliert hätte.

Das Arbeitsgericht hielt den Vorwurf des Arbeitgebers nicht für ausreichend, eine Kündigung zu begründen. Und zwar unabhängig davon, ob die Abmahnungen zurecht erteilt worden seien.
Der Mensch sei unzulänglich, deshalb käme es bei der Arbeit immer wieder zu Fehlern, erklärte das Gericht in seiner Begründung des Beschlusses. Oft würden diese Fehler durch die Aufmerksamkeit anderer Arbeitnehmer verhindert. Fehle es dagegen an Mitarbeitern, die die Arbeitsleistung des einzelnen Arbeitnehmers wohlwollend beobachteten und kontrollierten, würden die Fehler nicht verhindert und könnten, gerade wenn die Tätigkeit, wie die des Herrn Maron, mit einem höheren Schadensrisiko verbunden sei, zu beachtlichen Schäden führen.

Wegen schlechter Leistung kommt regelmäßig nur eine ordentliche Kündigung in Frage

Herr Maron habe sich nicht erklären können, warum er im Dezember 2019 einen Kunden falsch informiert habe und an diesen Lieferungen autorisiert habe, die diesem Kunden nicht mehr zustünden. Ohne konkret zu werden, habe Michael Maron erklärt, dass es bei der Abwicklung des Auftrags wiederholt zu Störungen und Problemen gekommen sei. Wäre manuell kontrolliert worden, wäre der Fehler aufgefallen.

Qualitativ schlechte Leistungen des Arbeitnehmers könnten den Arbeitgeber zwar zur ordentlichen Kündigung berechtigen. Sei diese nicht ausgeschlossen, werde es dem Arbeitgeber regelmäßig zumutbar sein, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der Kündigungsfrist fortzusetzen.
Dies dürfe aber nicht dazu führen, dass bei Betriebsratsmitgliedern ein anderer Maßstab als bei normalen Arbeitnehmern angelegt werde. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung könne vorliegen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund von Umständen, die in seiner Sphäre lägen, zur geschuldeten Arbeitsleistung auf unabsehbare Dauer nicht mehr in der Lage sei. Derartiges habe aber das Unternehmen bislang nicht vorgetragen.

Da ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des Herrn Maron nicht vorliegt und eine ordentliche Kündigung wegen seiner Mitgliedschaft im Betriebsrat ausgeschlossen ist, wies das Gericht den Antrag des Arbeitgebers ab.
 
Hier geht es zur Entscheidung

Rechtliche Grundlagen

§ 15 Abs. 1 KSchG
Unzulässigkeit der Kündigung

(1) Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats ist unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder eines Seebetriebsrats innerhalb eines Jahres, die Kündigung eines Mitglieds einer Bordvertretung innerhalb von sechs Monaten, jeweils vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

§ 103 BetrVG
Außerordentliche Kündigung

Außerordentliche Kündigung und Versetzung in besonderen Fällen
(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.