Nach 48 Befristungen unbefristeten Arbeitsvertrag
Nach 48 Befristungen unbefristeten Arbeitsvertrag

Die Kollegin ist seit dem 01.07.2004 bei der Stadt Stuttgart unbefristet beschäftigt. Nach ihrem Arbeitsvertrag betrug ihre Arbeitszeit zunächst „9,09 % der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bei Vollbeschäftigung“.
Durch den Änderungsvertrag vom 20.12.2004/09.01.2005 erhöhte sich die Arbeitszeit unbefristet auf 12,33 %.
Ab dem 01.11.2006 legte die Stadt Stuttgart der Kollegin 19 befristete Änderungsverträge vor, die eine Arbeitszeit zwischen 50 % und 75 % einer Vollbeschäftigung beinhalteten. Da der Umfang der Arbeitszeit teilweise gestaffelt war, lagen insgesamt faktisch 48 Befristungen vor.
Der letzte dieser Änderungsverträge vom 27.01.2015/12.02.2015 sah eine Arbeitszeit von 62,5 % einer Vollzeitstelle vor und war bis zum 31.08.2015 befristet.
Gegen diese Befristung setzte sich die Kollegin vor dem Arbeitsgericht Stuttgart zur Wehr.

Überprüfungsmaßstab

Ob die Befristung eines gesamten Arbeitsverhältnisses zulässig ist, bestimmt sich nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. Sind dagegen nur einzelne Arbeitsbedingungen wie etwa der Umfang der Arbeitszeit befristet, während das Arbeitsverhältnis im Übrigen unbefristet ist, findet das Teilzeit- und Befristungsgesetz keine Anwendung. Überprüfungsmaßstab ist statt dessen die Inhaltskontrolle, die nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorzunehmen ist. Danach ist die Befristung einzelner Arbeitsbedingungen unwirksam, wenn sie Arbeitnehmer*innen „entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen“. Es ist also das Flexibilisierungsinteresse des Arbeitgebers an einer Befristung und dem Interesse von Arbeitnehmer*innen an Planungssicherheit gegeneinander abzuwägen.

Teilzeit- und Befristungsgesetz durch die Hintertür

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind die Regelungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zur Frage, wann ein Sachgrund für eine Befristung vorliegt, auch bei der Abwägung zwischen den Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen doch „nicht ohne Bedeutung“.

Gibt es einen Sachgrund für die Befristung einzelner Arbeitsbedingungen, überwiegt in aller Regel das Interesse des Arbeitgebers. Eine andere Beurteilung kommt nur in Ausnahmefällen Betracht, bei denen außergewöhnliche Umstände für die Arbeitnehmer*innen sprechen.

Besonderheit bei erheblicher Erhöhung der Arbeitszeit

Steigert sich die Arbeitszeit befristet um mindestens 25 %, geht das Bundesarbeitsgericht von einer erheblichen Erhöhung aus. In diesen Fällen ist die Befristung nur wirksam, wenn der Arbeitgeber dafür einen sachlichen Grund hat. Auch hier greifen die Richter*innen auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz zurück, das - wenn auch nicht abschließend - Sachgründe für Befristungen aufführt.

Die Situation der Kollegin

Die Arbeitszeit der Kollegin hat sich von 12,33 % auf 62,2 %, also erheblich erhöht.
Damit war vom Arbeitsgericht zu prüfen, ob für die Befristung dieser Erhöhung ein Sachgrund vorlag.

Vortrag der Stadt Stuttgart

Die Stadt Stuttgart berief darauf, dass sie die Kollegin nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
Teilzeit- und Befristungsgesetz „ … zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers …“
eingesetzt habe. Denn es seien zwei ihrer anderen Mitarbeiterinnen in Sonderurlaub und eine weitere habe ihre Arbeitszeit vorübergehend reduziert.
Andere Sachgründe machte die Stadt Stuttgart nicht geltend.

Entscheidung des Arbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht kam zu dem Ergebnis, dass die letzte Befristung vom
27.01.2015/12.02.2015 zum 31.08.2015 aus zwei Gründen unwirksam ist:

  • Der Vortrag der Stadt Stuttgart reicht für die Annahme eines Sachgrundes nicht aus.
  • Es liegen außergewöhnliche Umstände vor, die die Befristung sogar dann unwirksam machen würden, wenn ein Sachgrund vorläge.

Fehlender Sachgrund

Der Sonderurlaub sowie die vorübergehende Reduzierung der Arbeitszeit kann grundsätzlich zu einer Vertretungssituation führen, die eine Befristung rechtfertigt. Dabei ist es sogar unschädlich, wenn das Arbeitsverhältnis mit der Vertreterin bereits endet, bevor die Vertretenen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Denn der Arbeitgeber soll frei entscheiden können, ob und wie lange er eine Vertretung beschäftigt.

Eine weitere Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Befristung besteht jedoch darin, dass der Einsatz der Vertreterin f: gerade wegen :f der vorübergehenden Abwesenheit von Kolleg*innen erfolgt. Die vorübergehende Abwesenheit muss kausal für die vereinbarte Befristung sein.

Das ist unproblematisch, wenn die Vertreterin genau eine Kollegin vertritt und deren Arbeit vollständig übernimmt. So einfach lag der Fall hier aber nicht, weil der klagenden Kollegin drei Mitarbeiterinnen gegenüber standen. Deshalb hätte die Stadt Stuttgart zunächst die Aufgabenbereiche der drei zu vertretenden Mitarbeiterinnen darstellen und danach angeben müssen, wer diese Arbeiten zu welchem Anteil während der Abwesenheit erledigen soll . Zuletzt hätte erkennbar sein müssen, dass sich die Aufgaben, die die klagende Kollegin zugewiesen bekam, aus der geänderten Aufgabenzuweisung ergeben.

Da die Stadt Stuttgart zu alledem nichts vorgetragen hat, ging das Arbeitsgericht davon aus, dass der Sachgrund „Vertretung“ nicht vorliegt und die Befristung deshalb unwirksam ist.

Außergewöhnliche Umstände sprechen für die klagende Kollegin

Im Rahmen der Inhaltskontrolle nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch muss auch dann, wenn - anders als im vorliegenden Fall - ein Sachgrund gegeben ist, eine Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen erfolgen.
Aber wegen des Sachgrundes kommt ein Überwiegen der Interessen der Arbeitnehmer*innen nur in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände vorliegen. Solche außergewöhnlichen Umstände liegen beispielsweise vor, wenn die Befristung einen Rechtsmissbrauch darstellt. Kriterien dafür sind nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof die Gesamtdauer und die Zahl der Befristungen.

Das gilt aber nur, wenn

  • es immer um dieselbe Person geht,
  • es immer um dieselbe Tätigkeit geht
  • und die Befristungen aufeinander folgen.

Die klagende Kollegin hatte in 8 Jahren faktisch 48 Befristungen, die ihre Arbeitszeit in der Spitze auf 75 % der regelmäßigen Vollzeit erhöhten. Nach dieser langen Zeit ist der klagenden Kollegin nicht zuzumuten, „wieder auf das Niveau eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses zurückzufallen.“ Deshalb ging das Arbeitsgericht davon aus, dass hier außergewöhnliche Umstände für die klagende Kollegin sprechen und sich die Stadt Stuttgart rechtsmissbräuchlich verhalten hat.

Hier geht es zur vollständigen rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 26.10.2016, Az: 30 Ca 5994/15


Aber es geht noch schlimmer: Ca. 1.400 befristete Verträge mit der Deutschen Post AG. Hierzu unser Beitrag:

Deutsche Post AG experimentiert an Menschen: Wie viele Befristungen kann ein Arbeitnehmer aushalten?

Rechtliche Grundlagen

§ 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz, § 307 Bürgerliches Gesetzbuch

Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz - TzBfG)

§ 14 Zulässigkeit der Befristung

(1) Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn
1. der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht,
2. die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, um den Übergang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern,
3. der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird,
4. die Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung rechtfertigt,
5. die Befristung zur Erprobung erfolgt,
6. in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe die Befristung rechtfertigen,
7. der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind, und er entsprechend beschäftigt wird oder
8. die Befristung auf einem gerichtlichen Vergleich beruht.

(2) Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Durch Tarifvertrag kann die Anzahl der Verlängerungen oder die Höchstdauer der Befristung abweichend von Satz 1 festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren.

(2a) In den ersten vier Jahren nach der Gründung eines Unternehmens ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von vier Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von vier Jahren ist auch die mehrfache Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Dies gilt nicht für Neugründungen im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen. Maßgebend für den Zeitpunkt der Gründung des Unternehmens ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, die nach § 138 der Abgabenordnung der Gemeinde oder dem Finanzamt mitzuteilen ist. Auf die Befristung eines Arbeitsvertrages nach Satz 1 findet Absatz 2 Satz 2 bis 4 entsprechende Anwendung.

(3) Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zu einer Dauer von fünf Jahren zulässig, wenn der Arbeitnehmer bei Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses das 52. Lebensjahr vollendet hat und unmittelbar vor Beginn des befristeten Arbeitsverhältnisses mindestens vier Monate beschäftigungslos im Sinne des § 138 Absatz 1 Nummer 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch gewesen ist, Transferkurzarbeitergeld bezogen oder an einer öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahme nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch teilgenommen hat. Bis zu der Gesamtdauer von fünf Jahren ist auch die mehrfache Verlängerung des Arbeitsvertrages zulässig.

(4) Die Befristung eines Arbeitsvertrages bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.


Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 307 Inhaltskontrolle

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.