Auf dem Gelände eines Krankenhauses betreibt die Beklagte ein Callcenter. Die Klägerin ist dort seit 2018 beschäftigt. Im Gebäude des Callcenters befinden sich mehrere Computer-Arbeitsplätze. Die Räume betreten die Mitarbeiter*innen mit Hilfe eines Transponders. Für ihre Tätigkeit nutzen sie eine Software, die „Concierge“ heißt und ein Anrufverteilersystem ist.
Die Beklagte wertet die Anmeldung bei dieser Software als Dienstbeginn. Die Abmeldung soll mit dem Dienstende erfolgen.
Mehrere Abmahnungen belasteten das Arbeitsverhältnis schon zuvor
Die Klägerin hatte bereits mehrere Abmahnungen erhalten, weil sie sich abweichend von einem vorgegebenen Dienstplan mehrfach zu spät beim System „Concierge“ angemeldet haben soll. Nach einem weiteren, gleich gelagerten Vorfall kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin nach Anhörung des Betriebsrates.
Im nachfolgend vom DGB Rechtsschutzbüro Berlin eingeleiteten Kündigungsschutzprozess bestritt die Klägerin zunächst die von der Beklagten angeführten Zeiten. Im Übrigen waren ihrer Auffassung nach die An- und Abmeldezeiten vom System „Concierge“ nicht maßgeblich. Der Microsoft-basierte Rechner benötige eine Zeit zum Hochfahren und zur Installation neuer Updates.
Weitere Arbeiten fielen an
Sie wies darüber hinaus auf Arbeitsanweisungen der Beklagten hin über das Wegräumen und Reinigen des Headsets, was ihrer Auffassung nach ebenfalls zur Arbeitszeit gehört. Aufgrund dessen könne die Beklagte auf den Start bzw. auf das Herunterfahren des Computers zur Berechnung der Arbeitszeit nicht abstellen.
In seinem Urteil bemerkte das Arbeitsgericht, die Beklagte habe offenbar über Jahre eine unzutreffende Arbeitszeiterfassung betrieben und damit den Mitarbeiter*innen des Callcenters auch seit Jahren die Vergütung der notwendigen Vor- und Nacharbeiten vorenthalten. Sie habe dabei den Ansatzpunkt für die Bestimmung der Arbeitszeit falsch festgelegt.
Systemkonformes Verhalten spielt keine Rolle
Dabei sei unerheblich, ob „alle anderen“ - wie es die Beklagte zum Ausdruck bringe – sich „systemkonform“ verhielten. Offenbar habe auch die Klägerin sich abgesehen von den abgemahnten Vorfällen dementsprechend verhalten und die „Erwartungshaltung“ der Beklagten erfüllt.
Es sei zwischen dem vergütungs-, arbeitszeitschutzrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitsbegriff zu unterscheiden.
Für den vergütungsrechtlichen Arbeitszeitbegriff gelte nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts:
„Auf systembedingte Arbeitsvorbereitung, wie die Versetzung des Arbeitsplatzcomputers in einen Zustand, der die Aufnahme der geschuldeten Arbeitsleistung ermöglicht (z.B. Hochfahren, etwaige Anmeldungen und Programmöffnungen) - für gewöhnlich unter dem er bei Soldaten, Feuerwehrleuten und Rettungssanitätern gebräuchlichen Begriff „Rüstzeit“ mit abgebildet - stellen vergütungspflichtige Arbeitszeit dar.“
Vergütungspflicht besteht für alle erforderlichen Arbeiten
Zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehörten damit alle Tätigkeiten, die für die Erbringung der Arbeitsleistung erforderlich seien, sofern sie einem fremden Bedürfnis dienten und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfüllten. Dazu zählten das An- und Ablegen von Schutzkleidung oder uniformierter Firmenbekleidung und die Entgegennahme, Abgabe und Herstellung arbeitsnotwendiger Betriebsmittel.
Eine Einsatzfähigkeit sei erst nach Abschluss dieser systembedingten Vorbereitungszeiten gegeben.
Demnach sei nicht nur das Aufrufen des „Concierge“-Programms, sondern auch das Hochfahren des Computers Beginn der Arbeitszeit. Arbeitszeit sei auch das Herausnehmen der Arbeitsgeräte (Headset) aus dem persönlichen Fach der Klägerin und das Verschließen sowie Desinfizieren ihres Arbeitsplatzes.
Dazu habe die Beklagte im Verfahren nichts weiter gesagt. Insofern gingen die Abmahnungen und der Kündigungsvorwurf ins Leere.
Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Berlin.
Das sagen wir dazu:
Dorothea Schmidt, vom Rechtsschutzbüro Frankfurt vertrat die Klägerin in ihrer Zeit in Berlin vor dem Arbeitsgericht. Sie merkt an:
„Richtig hat das Arbeitsgericht in Berlin entschieden, dass es für den Beginn der Arbeitszeit nicht auf die Erwartungshaltung des Arbeitgebers ankommt, sondern auf den Zeitpunkt, ab dem der*die Arbeitnehmer*in seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber zur Verfügung stellt.
Es gab dabei mehrere Zeitpunkte, die das Gericht in Betracht zog:
· frühestens der Zeitpunkt zu dem die Arbeitnehmerin die Betriebstätte über einen Transponderschlüssel betritt,
· spätestens allerdings der Zeitpunkt zu dem Sie den Startknopf am Computer drückt und dieser hochfährt.
Diese sogenannte „Rüstzeit“ ist definitiv Arbeitszeit.
Der Arbeitgeber versuchte immer wieder, auf seine Erwartungshaltung abzustellen, die er in sieben Abmahnung kundtat und der festen Überzeugung war, dass die Arbeitnehmerin ihren Dienst verspätet antrat, als sie sich zu dem Computerprogramm „Concierge“ wenige Minuten nach Dienstbeginn anmeldete“.
Das sagen wir dazu