In der Fleischindustrie herrschen hohe Hygienestandards. Die Kosten hierfür kann der Arbeitgeber aber nicht auf die Beschäftigten abwälzen. Copyright by Adobe Stock/auremar
In der Fleischindustrie herrschen hohe Hygienestandards. Die Kosten hierfür kann der Arbeitgeber aber nicht auf die Beschäftigten abwälzen. Copyright by Adobe Stock/auremar

Das Büro Neuruppin hatte einen Beschäftigten vertreten, der zum Mindestlohn als Verpacker in der Fleischverarbeitung beschäftigt war. Er hatte sich an seine Gewerkschaft gewandt, weil seine Arbeitgeberin die Umkleidezeiten nicht bezahlte.
 

Kläger muss aus hygienischen Gründen Arbeitskleidung tragen

Wie alle anderen Mitarbeiter*innen ist er aus hygienischen Gründen verpflichtet, während der Arbeit die von der Beklagten gestellte Arbeitskleidung zu tragen. Er kann die Schutzkleidung auch nicht schon zu Hause anziehen oder sie erst dort ablegen.
 
Deshalb erscheint er etwa eine halbe Stunde vor dem regulären Arbeitsbeginn im Werk. Er trägt die Uhrzeit in ein beim Pförtner ausgelegtes Buch ein und empfängt von diesem seine Arbeitskleidung. Dabei handelt es sich um ein verschweißtes Paket, in dem sich eine Hose und ein Kittel befinden. Diese zieht er in einem Umkleideraum an, bevor er durch die Hygieneschleuse tritt und mit der Arbeit beginnt.
 
Nach Ende der Arbeitszeit zieht er die Arbeitskleidung aus und entsorgt sie in einem hierfür bereitgestellten Behälter. Den Zeitaufwand hierfür schätzt der Kläger auf etwa 20 Minuten und klagte über den DGB Rechtsschutz Neuruppin eine Vergütung dieser Zeit auf Basis des Mindestlohnes beim Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel ein.
 

Vertragsklausel schließt Vergütung der Umkleidezeit aus

Das beklagte Fleischverarbeitungsunternehmen berief sich vor Gericht auf eine Klausel im Arbeitsvertrag, nach der die Arbeitszeit erst dann beginnt, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitskleidung angelegt hat.
 
Außerdem sei die Umkleidezeit von 20 Minuten deutlich zu hoch gegriffen. Zum einen habe man sich in einem Parallelverfahren beim Landesarbeitsgericht auf eine Umkleidezeit von zehn Minuten geeinigt. Zum anderen habe man die Umkleidezeit mit der Stoppuhr gemessen und sei auf einen Wert von zwölf Minuten gekommen. Manche Beschäftigte benötigten sogar nur vier Minuten.
 
Das Arbeitsgericht wertete die Zeit ab Entgegennahme der Schutzkleidung als Arbeitszeit und sprach dem Kläger eine entsprechende Vergütung zu. Dabei legte es zugunsten der Beklagten eine Arbeitszeit von zwölf Minuten zu Grunde.
 

Klausel im Arbeitsvertrag ist unwirksam

Die Klausel im Arbeitsvertrag, nach der der Kläger kein Anspruch auf Vergütung der Umkleidezeit hat, erklärte das Arbeitsgericht für unwirksam. Denn sie benachteilige den Kläger in unangemessener Weise.
 
Nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (BGB) benachteiligt eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen den Vertragspartner im Zweifel dann unangemessen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Der Gesetzgeber sieht hierin einen Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben und damit eine Ungerechtigkeit dem Vertragspartner gegenüber.
 
Die Ungerechtigkeit sah das Gericht konkret darin, dass die Arbeitgeberin dem Kläger zwar vorschreibe, im Betrieb die Arbeitskleidung an- und wieder abzulegen, dies aber nicht bezahlen zu wollen.
 

Fremdnützige Tätigkeit muss bezahlt werden

Nach der Rechtsprechung gehören Umkleidezeiten dann zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, wenn das Umkleiden einem fremden Bedürfnis dient und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfüllt wird. Beim Kläger sei aber das Entgegennehmen und Anziehen der vorgeschriebenen Arbeitskleidung ausschließlich fremdnützig. Das schon deshalb, weil die Arbeitgeberin angeordnet habe, die Arbeitskleidung erst im Betrieb anzuziehen und vor Verlassen des Betriebes wieder auszuziehen.
 
Nach der gesetzlichen Grundwertung ist eine Tätigkeit, die der Arbeitnehmer nicht für sich, sondern für seinen Arbeitgeber leistet, zu vergüten. Die streitgegenständliche Klausel besage aber genau das Gegenteil und sei damit mit dem Grundgedanken des Gesetzes nicht vereinbar. Deshalb habe der Kläger Anspruch auf Bezahlung der Umkleidezeit.
 
Bei der Berechnung der Umkleidezeit legte das Gericht die Angaben der Arbeitgeberin zugrunde, die eine durchschnittliche Umkleidezeit von zwölf Minuten gestoppt hatte. Der Kläger hatte nicht beweisen können, dass er tatsächlich länger für das Umkleiden braucht.
 
Links
Urteil des ArbG Brandenburg
 
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Das sagen wir dazu:

Zum Ergebnis muss man wohl nicht viel sagen, denn die Rechtsprechung ist an dieser Stelle eindeutig: Alles, was der Arbeitnehmer nicht für sich, sondern für seinen Arbeitgeber tut, ist zu vergüten. Nachdem die Arbeitskleidung hier aus hygienischen Gründen vorgeschrieben war und der Kläger sie auch nicht schon zu Hause anziehen konnte, handelt es sich um eine vergütungspflichtige Verrichtung.

Nicht jede Klausel ist wirksam

Interessanter ist schon, dass Arbeitgeber diese unklare Zeit hier nicht nur nicht als Arbeitszeit zählen, sondern eine Vergütung sogar im Vertrag selbst ausschließen. Denn den wenigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist bewusst, dass nicht alles, was sie unterschreiben, auch wirksam ist.


Somit hat eine solche Klausel einen ganz erheblichen psychologischen Effekt – wenn schon keinen rechtlichen. Wer aus seinem gesunden Menschenverstand heraus meint, diese Zeit müsste ihm doch eigentlich bezahlt werden, der mag beim Durchlesen seines Arbeitsvertrages schon ins Grübeln kommen und schon deshalb davon absehen, auf einer Vergütung zu beharren.

Wer mutiger ist und eine Vergütung einfordert, der muss sich mit hoher Wahrscheinlichkeit von seinem Arbeitgeber anhören, er habe den Vertrag ja immerhin unterschrieben und damit ja sein Einverständnis kundgetan. Da könne er jetzt nicht kommen, und daran herum diskutieren. Wenn ihm der Vertrag nicht passe, könne man ihn ja auch auflösen.

Effektive Rechtsdurchsetzung nur mit Verbandsklagerecht

Die Mehrzahl der Beschäftigten dürfte sich auf diese Weise ruhigstellen lassen. Das Risiko des Arbeitgebers ist also überschaubar, selbst wenn einzelne Beschäftigte ihre Vergütung einklagen. Im schlimmsten Fall zahlt der Arbeitgeber den Lohn nach – allerdings nur demjenigen, der auch geklagt hat. Die Kostenersparnis dürfte immer noch erheblich sein.

Die Gewerkschaften fordern daher schon seit längerer Zeit ein Verbandsklagerecht. Damit wäre es möglich, ähnlich wie im Verbraucherschutz, die Ansprüche des Einzelnen durchzusetzen, ohne dass dieser selbst Streitpartei sein müsste.

Nicht immer finden sich, wie hier, einzelne mutige Menschen, die ihren Anspruch einklagen. Dabei dürfte von der Vertragsklausel eine hohe Zahl von Beschäftigten betroffen sein. Wenn man das ganze Ausmaß dieses arbeitsrechtlichen Unrechts ahnden möchte, kommt man an einem Verbandsklagerecht nicht vorbei.

Rechtliche Grundlagen

§ 307 BGB

Inhaltskontrolle
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.