Unser gesamtes Arbeitsrecht ist nach wie vor grundsätzlich am „Normalarbeitsverhältnis“ ausgerichtet: Einer unbefristeten Beschäftigung mit festem Arbeitsplatz, geregelten Arbeitszeiten, einer bestimmten Vergütung und sonstigen sozialen Schutzvorschriften, die sich aus einem Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag ergeben.

Doch in Zeiten praktisch grenzenlos mobiler Kommunikation und mobiler Arbeitsmöglichkeiten haben sich viele Arbeitsverhältnisse praktisch und rechtlich längst von diesem „Normalarbeitsverhältnis“ entfernt. Das muss nicht negativ zu bewerten sein, aber oftmals entstehen Probleme, die mit den herkömmlichen arbeitsrechtlichen Regelungen und Instrumenten nicht ohne weiteres zu lösen sind.

Arbeitszeitgesetz sichert Gesundheitsschutz

Beispiel Arbeitszeit: Arbeit und Freizeit lassen sich bei ständiger Erreichbarkeit und besonders bei ständiger Bereitschaft zur Erreichbarkeit durch Vorgesetzte nicht mehr trennen. Wenn das Smartphone durchgehend online ist und die Bereitschaft verlangt oder zumindest erwartet wird, jederzeit für Fragen und Arbeitsaufgaben zur Verfügung zu stehen, gibt es keine Freizeit im eigentlichen Sinne mehr. Zeiten der Regeneration, die ausschließlich für das Privatleben zur Verfügung stehen existieren nicht mehr. Das ist nicht nur ein theoretisches Problem, sondern führt auch praktisch in vielen Fällen zu Überforderung und der sog. Burnout-Situation.

Rechtlich ist die Situation relativ einfach zu lösen. Ruhepausen von 11 Stunden nach einem Arbeitstag sind gesetzlich vorgeschrieben. In dieser Ruhezeit muss ein/e Arbeitnehmer*in tatsächlich komplett frei haben, das heißt auch eine Verpflichtung zur Erreichbarkeit ist damit nicht vereinbar. Und natürlich ist die Zeit, die dann von zuhause oder unterwegs aus mit betrieblicher Tätigkeit verbracht wird, als Arbeitszeit zu bewerten und entsprechend zu vergüten.

 

Aber für die Durchsetzung dieser Rechte muss der/die Arbeitnehmer*in in der Regel selbst sorgen, was in der Praxis das größere Problem darstellt als die rechtliche Beurteilung.


Die Einhaltung der Ruhezeiten und die damit einhergehende Nichterreichbarkeit für Vorgesetzte sind nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern haben auch eine wichtige Bedeutung für die Gesundheit von Arbeitnehmer*innen. Das haben inzwischen auch viele Arbeitgeber*innen erkannt und auf Initiative von Betriebsräten entsprechende Betriebsvereinbarungen über mobiles Arbeiten abgeschlossen.


Vor allem die großen Automobilbauer sind in dieser Hinsicht Vorreiter und haben Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, die ausdrücklich ein Recht der Mitarbeiter*innen auf Unerreichbarkeit in der Freizeit regeln. Ebenso wird auf betrieblicher Ebene zum Beispiel geregelt, dass auch Arbeit, die zuhause vom PC oder unterwegs vom Laptop aus geleistet wird, als Arbeitszeit erfasst und vergütet wird.


Inzwischen ist das Problem der Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft aber offensichtlich auch gesellschaftlich und politisch zu einem Thema geworden. So hat kürzlich die neue Richtervereinigung ausdrücklich dazu Stellung bezogen und fordert die klare Abgrenzung von Arbeit und Familienzeit bzw. Freizeit: In einer Presseerklärung macht die Vereinigung von Richter*innen darauf aufmerksam, dass die Bereitschaftszeit in Form der mobilen Erreichbarkeit zu Hause in der Regel nicht bezahlt wird und dass damit zusammenhängende Verstöße gegen das Arbeitszeitrecht keiner wirksamen Kontrolle unterliegen.


Der Sprecher der Arbeitsrichter*innen in der Neuen Richtervereinigung sieht auch einen offenkundigen Zusammenhang zwischen der von Arbeitgeber*innen erwarteten dauerhaften Erreichbarkeit und der Zunahme von psychischen Erkrankungen in den  vergangenen Jahren. So hat sich die Anzahl der Arbeitstage, die wegen psychischer Erkrankungen ausgefallen sind, zwischen 2001 und 2012 von 33,6 Millionen auf 59,5 Millionen nahezu verdoppelt.

„Ebay für Arbeitskräfte“

Am deutlichsten wird die derzeitige Entwicklung der Arbeitswelt im Bereich des sog. Crowdworking, der arbeitsteiligen Produktion im Internet-Zeitalter. Dabei werden von Unternehmen Teilaufgaben beispielsweise eines Projektes weltweit ausgeschrieben und die in der Regel selbständigen Auftragnehmer*innen können sich darum bewerben. Gearbeitet, produziert wird dann in der „crowd“ bzw. in der „cloud“, losgelöst von festen Arbeitsplätzen, von betrieblichen Strukturen, von betrieblicher Mitbestimmung. Diese Form der Beschäftigung kommt sicherlich zum Teil einem Bedürfnis nach Flexibilität, zeitlicher, geistiger und örtlicher Freiheit der Arbeit- und Auftragnehmer*innen entgegen. Auf der anderen Seite sind die damit verbundenen Gefahren offensichtlich: ständig erhöhter Druck durch die grenzenlose globale Konkurrenz und durch entsprechende Zielvorgaben, fehlende Kontrollmöglichkeiten der Arbeitsbedingungen, fehlende soziale Absicherung der crowdworker*innen.


Die Humanisierung dieser digitalen Arbeitswelt wird nur mit Hilfe auch rechtlicher Rahmenbedingungen gelingen, die sich mit neu entstandenen Formen von mobiler Arbeitsorganisation auseinandersetzt.

Lesen sie hierzu auch unseren Beitrag:

Mobiles Arbeiten: Broschüre der IG BCE informiert über rechtliche Grundlagen


Weitere interessante Beiträge und Informationen unter:

Studie zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt (Bundesministerium für Arbeit und Soziales)
Mobile Arbeit und soziale Netzwerke: Worauf Beschäftigte achten müssen (www.dgb.de)
Recht auf Abschalten - RECHT AUF NICHTERREICHBARKEIT (Hans-Böckler-Stiftung)
Dauererreichbarkeit von Beschäftigten muss begrenzt werden (Neue Richtervereinigung e.V., Fachgruppe Arbeitsrecht)
Mobil arbeiten bei Bosch - Betriebsrat verhilft Beschäftigten zu mehr Zeitsouveränität (www.igmetall.de)
Digitale Arbeit: dominant, mobil, gestaltungsbedürftig (von: Michael Schwemmle auf www.gegenblende.de)
MOBILE ARBEIT – BESSER REGELN, Betriebliche Regelungen für Gute Arbeit! (IG BCE - Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie www.igbce.de)
Arbeitspapier der IG Metall Mobiles Arbeiten - Grenzen der Entgrenzung setzen - Gestaltung und Regelung mobiler Arbeit PDF   (1928 KB)
Das Arbeitspapier der IG Metall "Mobiles Arbeiten" informiert darüber, was es in diesem Zusammenhang zu beachten gilt und enthält Eckpunkte für betriebliche Regelungen.