Thomas Schlingmann vom DGB Rechtsschutz Bremen setzte beim Landesarbeitsgericht durch, dass Arbeitnehmerüberlassung nicht uneingeschränkt zulässig ist.
Thomas Schlingmann vom DGB Rechtsschutz Bremen setzte beim Landesarbeitsgericht durch, dass Arbeitnehmerüberlassung nicht uneingeschränkt zulässig ist.

„Wir führen einen gemeinsamen Betrieb“ behaupteten die beiden Unternehmen im Prozess vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen.
 

Die beiden Unternehmen wollten einen Gemeinschaftsbetrieb gegründet haben

Zwei Zulieferer der Automobilbranche behaupteten das. Der erste Betrieb arbeitete in der Entwicklung, Herstellung und dem Vertrieb von Automobilversiegelungs- und Antivibrationssystemen. Der zweite Betrieb hatte eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung und beschäftigte sich nach seinen eigenen Angaben schwerpunktmäßig mit der Herstellung sowie mit dem Vertrieb technischer Gummiwaren aller Art.
 
Letzterer, also der Gummihersteller, verlieh seine Arbeitnehmer an die Automobilversiegelungsfirma, die die Beschäftigten anschließend in ihrer Vorproduktion einsetzte. Der Gummihersteller übte außer dem Verleihen von Arbeitnehmern keine weitere Geschäftstätigkeit aus.
 

Die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung entfiel

Die Agentur für Arbeit hatte dem Verleiher bereits 2006 eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung erteilt. 2017 teilte der Gummihersteller der Bundesagentur für Arbeit mit, dass er an der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr länger festhalten werde und gab die Erlaubnis zurück. An den Arbeitsverhältnissen änderte sich dennoch nichts.
 
Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer unwirksam, sieht das Gesetz vor, dass ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher besteht.
 
Genau dies wollten zwei Mitglieder der IG BCE erreichen, die zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Jahre Leiharbeitnehmerinnen des Gummiherstellers waren. Es ging ihnen auch darum, statt dem vereinbarten Entgelt für Leiharbeit das höhere Entgelt nach dem Tarifwerk der Kautschukindustrie beanspruchen zu können. Thomas Schlingmann, Rechtsschutzsekretär im Bremer Büro der DGB Rechtsschutz GmbH, verfolgte dieses Ziel mit der Argumentation, dass die vom Gesetz vorgesehene höchstzulässige Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung längst überschritten sei. Deshalb bestehe ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiherbetrieb.
 

Die Klägerinnen sahen sich nicht mehr als Leiharbeitnehmerinnen

Beide Klägerinnen hatten zwar einen Arbeitsvertrag mit dem Verleiher geschlossen, arbeiteten aber
ausschließlich beim Entleiher. Schlingmann stellte in den Klageverfahren insbesondere darauf ab, dass die beklagten Unternehmen für ihre Zusammenarbeit nur deshalb die rechtliche Konstruktion eines Gemeinschaftsbetriebs gewählt haben, um eine Arbeitnehmerüberlassung und damit die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 10 Abs. 1 i.V. mit § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG auszuschließen. Die Gründung eines gewillkürten Gemeinschaftsbetriebs dürfe jedoch nicht dazu führen, dass die (Arbeitnehmer-)Schutzvorschriften des AÜG ausgehebelt werden.
 
Verleiher und Entleiher sahen das anders. Seit mehreren Jahren führten sie einen Gemeinschaftsbetrieb. Sie hätten sich zur gemeinsamen Führung des Betriebes rechtlich verbunden. Es gebe auch einen Leitungsapparat, der die arbeitstechnischen Zwecke einheitlich erfülle. Der Betriebsrat habe auch in der sozialen und personellen Mitbestimmung nur einen fähigen Ansprechpartner für beide Unternehmen. Es gebe nur eine Geschäftsführung.
 

Das Landesarbeitsgericht entschied gegen ein Leiharbeitsverhältnis

Von dieser Argumentation der beiden Unternehmen ließ sich das Landesarbeitsgericht nicht überzeugen und folgte der Auffassung des Vertreters der Klägerinnen. Zwischen dem Entleiher und den Klägerinnen sei ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen.
 
Das Gesetz nehme eine Überlassung zur Arbeitsleistung an, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt würden, die in dessen Bereich eingegliedert seien und die ihre Arbeit nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführten. Dazu gebe es regelmäßig einen Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher, nämlich den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, und daneben zwischen Verleiher und Arbeitnehmer, den Leiharbeitsvertrag.
 

Verträge regeln die Rechte und Pflichten von Entleiher und Verleiher

Die Verträge regelten die Pflicht des Verleihers, dem Entleiher Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Wichtig sei dabei, wie die Beteiligten den Vertrag tatsächlich durchführten. Anhand dessen lasse sich der gewollte Geschäftsinhalt ermitteln, also die Rechte und Pflichten, von welchen die Vertragsparteien ausgegangen seien.
 
Das Landesarbeitsgericht stellt hierzu fest, dass die Beteiligten des Vertragsverhältnis zunächst zweifelsfrei als Arbeitnehmerüberlassung durchgeführt hätten. Es habe einen typischen Leiharbeitsvertrag gegeben. Die Klägerinnen hätten keinerlei eigene Vertragsbeziehung zum Entleiher gehabt. Dieser hätte sie aber vollständig in seinen Betrieb eingegliedert.
 

Die Klägerinnen hatten nur einen Vertrag mit dem Verleiher

Der Vertrag der Klägerinnen sei mit dem Verleiher, dem Gummihersteller, geschlossen worden. Dieser habe im Rahmen der genehmigten Arbeitnehmerüberlassung beide Klägerinnen dem Entleiher überlassen, um dort zu arbeiten.
 
Für eine Arbeitnehmerüberlassung spreche auch die Tatsache, dass der Gummihersteller ein Mitglied des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen sei. Dies setze geschäftliche Aktivitäten in der Arbeitnehmerüberlassung voraus. Die beiden Arbeitgeber hätten auch eine Beschäftigung der Klägerinnen im Wege der Arbeitnehmerüberlassung gewollt. Daran ändere sich nichts dadurch, dass die beiden Arbeitgeber irgendwann beschlossen hätten, einen Gemeinschaftsbetrieb zu sein.
 

Beim Gemeinschaftsbetrieb sind die Betriebsmittel für einen einheitlichen Zweck zusammengefasst

Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen liegt vor, wenn die vorhandenen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst und geordnet sind. Der Einsatz der Betriebsmittel muss zielgerichtet erfolgen, um diesen Zweck zu erreichen. Den Einsatz der Arbeitskraft steuert dabei ein einheitlicher Leitungsapparat.
 
Dazu müssen sich die Unternehmen zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Die einheitliche Leitung umfasst die wesentlichen sozialen und personellen Angelegenheiten. Es genügt nicht, wenn beide Unternehmen lediglich unternehmerisch zusammenarbeiten.
 
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist erforderlich, dass die Funktionen des Arbeitgebers in den sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden. Das muss auch so festgeschrieben sein.
 

Der Wille, ein gemeinsames Unternehmen zu gründen, muss vorhanden sein

Das sei bei den beiden Beklagten anders, entschied das Landesarbeitsgericht. Eine Vereinbarung über eine einheitliche Leitung setze zumindest voraus, dass die beteiligten Unternehmen den Willen hätten, einen gemeinsamen Betrieb zu gründen. Es müsse ihnen darum gehen, unter gemeinsamem Einsatz der Betriebsmittel einen einheitlichen arbeitsrechtlichen Zweck zu verfolgen.
 
Arbeitnehmerüberlassung und gemeinsamer Betrieb schlössen sich gegenseitig aus. Beide Arbeitgeber seien davon ausgegangen, dass der Gummihersteller Arbeitnehmerüberlassung betreibe. Damit könne es keinen übereinstimmenden Willen geben, einen gemeinsamen Betrieb zu gründen.
 
Dafür habe es auch keine Notwendigkeit gegeben, denn bis 2017 habe einer Arbeitnehmerüberlassung im Konzern eine gesetzliche Regelung zur Höchstüberlassungsdauer nicht entgegengestanden.
 

Die einheitliche Führung macht noch keinen Gemeinschaftsbetrieb

Auch danach habe es keine Vereinbarung über eine gemeinsame Leitung gegeben. Daran ändere auch nichts, dass die beiden Firmen im Handelsregister später festgelegt hätten, dass beide Betriebe von derselben Person geführt würden. Daraus folge eine Vereinbarung über einen einheitlichen Leitungsapparat der Unternehmen nicht.
 

Eine enge unternehmerische Zusammenarbeit genügt für den gemeinsamen Betrieb nicht

Auch dazu hat das Bundesarbeitsgericht schon entschieden. Die Voraussetzungen eines gemeinsamen Betriebes sind demzufolge nicht schon erfüllt, wenn eine engere unternehmerische Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern erfolgt. Das gilt auch dann, wenn sich die Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume aufgrund wechselseitiger Verpflichtungen mindern.
 
Auch die Überlassung von Arbeitnehmern durch Tochtergesellschaften oder eine konzernangehörige Personalführungsgesellschaft stünde dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nicht entgegen. Selbst eine Alleininhaberschaft oder eine Mehrheitsbeteiligung begründet nicht zwangsläufig einen Gemeinschaftsbetrieb.
 

Durch eine gemeinsame Geschäftsführung geht die Selbständigkeit nicht verloren

Die Bestellung eines gemeinsamen Geschäftsführers führe deshalb nicht zwingend dazu, dass beide Betriebe ihre rechtliche Selbstständigkeit verlören, so das Landesarbeitsgericht. Es reiche nicht aus, eine gemeinsame Personalabteilung zu schaffen. Zwar möge es sein, dass beide Betriebe dort personelle und soziale Angelegenheiten gemeinsam wahrnähmen.
 
Der Gummihersteller habe aber keinen eigenen Gestaltungsspielraum beim Einsatz der Arbeitnehmer des Entleihers. Er könne keine Weisungen erteilen und auch nicht in dessen Organisation eingreifen.
 

Ein gemeinsamer Betriebsrat ist keine Voraussetzung für einen Gemeinschaftsbetrieb

Schließlich deute auch der gemeinsame Betriebsrat nicht darauf hin, dass ein gemeinsamer Betrieb vorliegt. Der gemeinsame Betrieb sei nämlich Voraussetzung dafür, dass ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt werden könne und nicht umgekehrt. Selbst wenn Arbeitnehmer annähmen, es sei ein gemeinsamer Betriebsrat zu wählen, folge hieraus nicht, dass auch ein gemeinsamer Betrieb bestehe.
 
Ein gemeinsamer Betrieb können auch deshalb nicht angenommen werden, weil es keine gemeinsamen Betriebsmittel gebe. Ein Gemeinschaftsbetrieb setze voraus, dass ein Arbeitgeber über eigene Betriebsmittel verfüge. Das sei beim ursprünglichen Verleiher jedoch nicht der Fall. Er weise kein eigenes Anlagevermögen aus. Sämtliche Betriebsmittel gehörten dem früheren Entleiher.
 

Der Einsatz der Leiharbeitnehmer*innen erfolgte nur in einem Teilbereich des Entleiherbetriebes

Die Arbeitnehmer des ursprünglichen Verleihers hätten auch nur für einen abgrenzbaren Teilzweck im Bereich der Produktion des früheren Entleihers gearbeitet. Der Verleiher verfüge auch über kein Know-how, um den angegebenen Betriebszweck zu erfüllen.
 
Das Gericht könne des Weiteren nicht feststellen, welche organisatorischen Veränderungen die beiden Betriebe zur Begründung eines Gemeinschaftsbetriebes vorgenommen haben wollten.  Änderungen im administrativen Bereich der Personalführung könnten dafür zwar ausreichen.
 

Das Gericht erkennt keine Änderungen in der Personalführung

Solche Änderungen habe es aber nicht gegeben. Auch zuvor hätten beide Unternehmen den Personaleinsatz von einer gemeinsamen Personalabteilung aus gesteuert und mit einem Werksleiter organisiert. Daran habe sich nichts geändert.
 
Beide Klägerinnen stünden somit in einem Arbeitsverhältnis zum früheren Entleiherbetrieb. Ihr Arbeitgeber sei Mitglied im Arbeitgeberverband der deutsche Kautschukindustrie.
 Unter Berücksichtigung dessen stünde beiden Beschäftigten auch der dementsprechende Tariflohn zu. Beide Arbeitnehmerinnen können sich nun über einen höheren Tariflohn sowie über beträchtliche Nachzahlungen für die vergangenen Monate freuen.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 19. Oktober 2020 – 15 Sa 757/19
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 19. Oktober 2020 – 15 Sa 816/19

Das sagen wir dazu:

Damit zeigt sich einmal mehr, dass nicht jedes Hintertürchen immer offen steht. Gerichtsurteile stellen regelmäßig auf den Einzelfall ab.

Hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg sich im Falle eines Werkvertrages gegen eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung entschieden,
LAG Baden-Württemberg entscheidet gegen verdeckte Arbeitnehmerüberlassung
findet diese Praxis bei einer späteren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts jedoch Zuspruch.

Schwierig ist dabei fast immer die Abgrenzung zwischen der rechtlich zulässigen Arbeitnehmerüberlassung und einem Gemeinschaftsbetrieb. Aber auch der Werkvertrag unterstützt Arbeitgeber darin, den Abschluss von Arbeitsverträgen mit rechtlicher Bindung zu umgehen.
Einheitlicher Leitungsapparat spricht gegen Arbeitnehmerüberlassung

Missbrauch der Arbeitgeber: Von der Leiharbeit zum Werkvertrag?
Ein bunter Blumenstrauß an rechtlichen Möglichkeiten für Arbeitgeber! Es lohnt aber, Verträge rechtlich zu prüfen. Nicht immer ist das, was in Verträgen auf dem Papier steht, gerichtlich haltbar. Viele Erfolge des DGB Rechtsschutzes in entsprechenden Verfahren zeigen, dass auch Gerichte nicht immer nur den Arbeitgebern Recht geben.