Ein Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen ist oft schwer nachzuweisen. Copyright by Adobe Stock/Tran-Photography
Ein Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen ist oft schwer nachzuweisen. Copyright by Adobe Stock/Tran-Photography

Anders sieht es dann aus, wenn sie darlegen können, dass sie in einem Betrieb beschäftigt sind, der von mehreren Unternehmen geführt wird. In diesem Fall sind sämtliche Beschäftigte zusammenzuzählen. In der Praxis ist es oft schwierig, das Gericht davon zu überzeugen. In dem vorliegenden Fall ist es einer Arbeitnehmerin gelungen.

Als Beschäftigte eines Kleinbetriebs gekündigt: was tun?

Frau Z, Angestellte eines Steuerbüros in N., erhielt eine betriebsbedingte Kündigung ihres Arbeitgebers. Dagegen wollte sie gerichtlich vorgehen. Das war aber nicht so einfach, da in dem Büro in N. nicht mehr als zehn Personen beschäftigt waren.
Frau Z. wusste jedoch, dass in G. eine weitere Steuerkanzlei bestand, die ebenso wie ihre Kanzlei zu einem Konzernverbund gehörte. Beide Kanzleien wurden von demselben Niederlassungsleiter geleitet, der an zwei Tagen in G. und an drei Tagen in N. arbeitete. Außerdem wusste sie, dass eine Angestellte des Steuerbüros in G. in der Niederlassung der Beklagten in N. arbeitete und auch Kunden der Kanzlei in N. betreute. Aus Sicht von Frau Z. sprach somit einiges dafür, dass es sich bei den beiden Unternehmen um einen Gemeinschaftsbetrieb handelte, sodass sämtliche Beschäftigte zusammenzuzählen waren. Da es insgesamt mehr als zehn Personen waren, wäre damit auch des Kündigungsschutzgesetz anzuwenden.

Wann liegt ein Gemeinschaftsbetrieb vor?

Frau Z. erhob daher Kündigungsschutzklage. Die Gegenseite bestritt, dass die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Betrieb vorliegen würden. Der Niederlassungsleiter habe zwei getrennte Arbeitsverträge mit ihr und der Steuerkanzlei in G. Es gebe auch keine enge Zusammenarbeit beider Steuerbüros auf personellem, organisatorischen und wirtschaftlichen Gebiet. Beide Unternehmen hätten eine eigene Telefonanlage, eigene PC-Systeme und keinen Zugriff auf die Unterlagen der jeweils anderen Kanzlei. Die Mitarbeiterin des Steuerbüros in G. würde zwar in der Niederlassung der Beklagten in N. arbeiten. Das sei jedoch nur der Fall, weil sie dies so wegen des kürzeren Arbeitsweg ausdrücklich gewünscht habe. Einen Zugriff auf die Daten des Steuerbüros in N. habe sie nicht.

Arbeitsgericht vernimmt Zeugin

Die Mitarbeiterin aus G. wurde daraufhin vom Arbeitsgericht Zwickau als Zeugin vernommen. Sie bestätigte, dass sie, obwohl in G. eingestellt, im Büro der Beklagten in N. arbeitete und dort auch Einrichtungen wie Gemeinschaftsküche und Toilette benutze. Sie habe außerdem mit den Mitarbeiter/innen der Beklagten an Seminaren und Weihnachtsfeiern teilgenommen. Sie habe auch Lohnabrechnungen für die Beklagte durchgeführt und damit für sie Arbeitsleistungen erbracht. Bei der Vernehmung stellte sich auch heraus, dass sie von ihrem Arbeitsplatz in N- wenn auch über einen VPN-Tunnel-auf die Daten der Beklagten zurückgreifen konnte.

Arbeitsgericht Zwickau: einheitlicher Leitungsapparat liegt vor

Nach dieser Vernehmung war das Arbeitsgericht davon überzeugt, dass ein gemeinsamer Betrieb vorlag. Die Mitarbeiterin habe für beide Unternehmen gearbeitet, obwohl sie offiziell nur einen Arbeitsvertrag mit der Kanzlei in G. hatte. Sie habe auch die Räume der Beklagten benutzt und an gemeinsamen Veranstaltungen mit Mitarbeiter/innen der Beklagten teilgenommen; sie sei somit in den Betrieb der Beklagten in N. voll integriert. Das sei ein Anhaltspunkt dafür, dass beide Unternehmen ihre Arbeitskräfte gemeinsam koordiniert und unter sich ausgetauscht hätten.

Kündigungsschutzgesetz findet Anwendung

Ein wichtiger Aspekt für das Arbeitsgericht war auch, dass der Niederlassungsleiter beide Niederlassungen leitete und für alle Angestellten der Ansprechpartner für sämtliche Fragen der Arbeitsorganisation war. Er konnte auch über Einstellungen, Kündigungen und Urlaubsanträge entscheiden und nahm  Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen entgegen. Für das Arbeitsgericht bestand kein Zweifel, dass eine einheitliche Leitung in beiden Niederlassungen die Arbeitgeberfunktion in personellen und sozialen Angelegenheiten wahrnahm. Ein weiteres Indiz war, dass beide Unternehmen ein und dieselbe Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendeten.
Ergebnis: da mehr als zehn Personen in den Gemeinschaftsbetrieb beschäftigt waren, fand auch das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Die Beklagte konnte auch nicht darlegen, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt war. Das Arbeitsgericht stellte fest, dass die Kündigung unwirksam war. Die Beklagte wurde verpflichtet, die Klägerin als Steuerfachgehilfin weiter zu beschäftigen.
 
Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Zwickau vom 6. März 2020-6 Ca 812/19

Das sagen wir dazu:

Die Frage, ob ein Gemeinschaftsbetrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetz besteht, lässt sich häufig gar nicht so leicht beantworten. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt ein Gemeinschaftsbetrieb vor,
„wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird“( BAG, Urteil vom 24. Oktober 2013-2 AZR 1057/12).

In der Praxis ist das oft nur schwer nachzuweisen. Oft haben Arbeitnehmer/innen keinen Einblick, was die Unternehmen untereinander verabredet haben. Sie können nur auf Indizien zurückgreifen. Wenn ein Geschäftsführer oder Niederlassungsleiter vorhanden ist, der für alle Beschäftigte in personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten entscheidet - und auch das muss nachgewiesen werden - spricht einiges dafür, dass ein gemeinsamer Betrieb zweier oder mehrerer Unternehmen vorliegt. Noch aussagekräftiger ist es, wenn nachgewiesen werden kann, dass Arbeitnehmer/innen und/oder Betriebsmittel zwischen den einzelnen Unternehmen ausgetauscht werden. Auch eine gemeinsame Steueridentifikationsnummer kann helfen, nachzuweisen, dass ein gemeinsamer Betrieb vorliegt.

Im vorliegenden Fall hat Frau Z. Glück gehabt. Sie konnte auf eine Kollegin zurückgreifen, die in beiden Unternehmen eingesetzt wurde und das auch vor dem Arbeitsgericht wahrheitsgemäß bestätigte. Die Beklagte hat allerdings gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Zwickau Berufung eingelegt. Es bleibt abzuwarten, was die Berufungsinstanz dazu zu sagen hat.

Rechtliche Grundlagen

Kündigungsschutzgesetz

§23 Geltungsbereich
(1) Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat; diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.
(2) Die Vorschriften des Dritten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen