Kranken Beschäftigten muss der Arbeitgeber gegebenenfalls leidensgerechte Aufgaben übertragen, wenn es ihm zugemutet werden kann. Copyright by Lakeview Images/Fotolia
Kranken Beschäftigten muss der Arbeitgeber gegebenenfalls leidensgerechte Aufgaben übertragen, wenn es ihm zugemutet werden kann. Copyright by Lakeview Images/Fotolia

Arbeitsunfähig krank ist ein*e Arbeitnehmer*in, die*der aus gesundheitlichen Gründen diejenigen Arbeit vorübergehend nicht ausüben kann, die sie*er dem Arbeitgeber schuldet. Der Arbeitgeber muss dann für mindestens sechs Wochen das Arbeitsentgelt weiter zahlen. Dach erhalten gesetzlich Versicherte Krankengeld von der Krankenkassen. Nach 78 Wochen werden sie allerdings „ausgesteuert“ und müssen sich arbeitslos melden.

In vielen Fällen können Beschäftigte auch nach ihrer Genesung die Arbeit auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr ausüben, aber viele andere Tätigkeiten im Betrieb noch verrichten. Dann stellt sich die Frage, inwieweit ein Arbeitgeber verpflichtet ist, die Arbeitsabläufe im Betrieb so umzuorganisieren, dass die*der Betroffene wieder arbeiten kann. Über einen solchen Fall hat jetzt das Arbeitsgericht Stuttgart in einem von der DGB Rechtsschutz GmbH geführten Verfahren entschieden.

Arbeiten ja, nur nicht in engen Kabinen

Der 1971 geborene Kläger ist bei einem Maschinen- und Anlagenbauer beschäftigt. Dort hat er bis zu einer längeren Erkrankung auf einem Arbeitsplatz gearbeitet, auf dem er unter anderem Sandstrahlarbeiten in einer engen Strahlkabine verrichten musste. Gemäß seinem Arbeitsvertrag ist er als Arbeiter beschäftigt.

Anfang August 2017 wurde der Kläger von der Krankenkasse ausgesteuert und erhielt kein Krankengeld mehr. Im Februar 2018 erschien er wieder im Betrieb und bot seine
Arbeitskraft an, wurde allerdings wieder nach Hause geschickt. Der Arbeitgeber verlangte, der Kläger möge zunächst einmal eine ärztliche Bescheinigung vorlegen aus der hervorgehe, dass er wieder arbeiten könne. Gut eine Woche später tauchte der Kläger wieder im Betrieb auf und legte eine Bescheinigung seines Hauarztes vor. Danach kann er wieder alle Tätigkeiten ausüben mit Ausnahme derjenigen in den engen Strahlkabinen.

Diese Bescheinigung hielt der Arbeitgeber indessen nicht für ausreichend. Er habe dem Kläger seinen Arbeitsplatz offen gehalten, solange er krank sei. Allerdings gehöre zu den Arbeitsaufgaben insoweit das Arbeiten in den Strahlkabinen. Ein anderer Arbeitsplatz sei nicht frei. Der Kläger könne also aus gesundheitlichen Gründen im Unternehmen nicht arbeiten.

Arbeitgeber muss sein Direktionsrecht erneut ausüben

Das akzeptierte der Kläger allerdings nicht und beauftragte unser Büro in Stuttgart, seine Beschäftigung durchzusetzen. Er wandte ein, er könne durchaus etwa in der Sägerei oder an der Hobelmaschine beschäftigt werden.

Mit Urteil vom 14. Mai 2019 gab das Arbeitsgericht Stuttgart dem Kläger jetzt weitestgehend recht.

Der Arbeitgeber könne allerdings nicht verpflichtet werden, den Kläger konkret in der Sägerei oder an der Hobelmaschine zu beschäftigen. Wenn es nämlich mehrere Möglichkeiten im Betrieb gebe, Beschäftigte auf leidensgerechte Arbeitsplätze einzusetzen, könne der Arbeitgeber nach seinem Ermessen entscheiden, auf welchem. Das ergebe sich aus seinem Direktionsrecht. Der Kläger könne jedoch vom Arbeitgeber verlangen, dass dieser das Direktionsrecht neu ausübe und ihm nach billigem Ermessen eine leidensgerechte Beschäftigung zuweise.

Der Arbeitgeber sei gegenüber einem erkrankten Beschäftigten verpflichtet, von seinem
Direktionsrecht erneut Gebrauch zu machen und die zu erbringende Leistung
innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens anderweitig so zu regeln, dass
dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung wieder möglich werde. Dies könne für den
Arbeitgeber auch bedeuten, dass er dafür Hindernisse beseitigen müsse, sofern es ihm zumutbar sei.

Die Beschäftigung des Arbeitnehmers muss für den Arbeitgeber zumutbar sein

Der Anspruch auf leidensgerechte Beschäftigung sei allerdings in mehrfacher Hinsicht eingegrenzt. Der Arbeitnehmer müsse mitteilen, wie er sich konkret seine weitere Arbeit vorstelle. Sodann müsse er gegenüber dem Arbeitgeber die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlangen und mit einer entsprechenden Änderung seiner Arbeitsbedingungen einverstanden sein. Des Weiteren müsse die vorgeschlagene Neubestimmung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitgeber auch zumutbar sein. Zumutbar sei das Umgestalten etwa nicht, wenn betriebliche Gründe, wirtschaftliche Erwägungen oder Rücksichtnahmepflichten gegenüber anderen Beschäftigten entgegenstünden.

Das Arbeitsgericht hat dem Arbeitgeber aufgegeben, den Kläger nach „nach billigem Ermessen“ zu
beschäftigen. Billig macht in diesem Zusammenhang keine Aussage über die Kosten. Es handelt sich vielmehr um einen Begriff aus dem bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Billig ist ein Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Der Arbeitgeber ist in unserem Fall jetzt verpflichtet, die Arbeiten so umzuorganisieren, dass der Kläger weiter arbeiten kann, ohne dass er wieder in die enge Strahlkabine muss.

Kündigung oder Änderungskündigung für einen anderen Beschäftigten ist nicht zumutbar

Nicht zumutbar wäre die Umgestaltung für den Arbeitgeber indessen, wenn er keine Möglichkeit hätte, im Rahmen seines Direktionsrechts einen anderen Arbeitnehmer, wiederum nach „billigem Ermessen“, dazu zu verpflichten, statt des Klägers die Arbeiten in der Strahlkabine auszuführen. Der Arbeitgeber kann nicht verpflichtet werden, einem anderen Arbeitnehmer deswegen eine Änderungskündigung auszusprechen. Erst recht kann dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden, etwa einen anderen Arbeitsplatz dadurch frei zu schaffen, dass er einem Beschäftigten kündigt.

In unserem Fall hatte der Kläger aber konkret bezeichnet, in welchen Abteilungen er weiter arbeiten kann. Der Arbeitgeber hatte nichts dazu vorgetragen, dass keinen anderen Beschäftigten im Rahmen seines Direktionsrechts anweisen kann, in der Strahlkabine zu arbeiten. Das wäre aber auch bereits deshalb kaum wahrscheinlich, weil während der Abwesenheit des Klägers diese Arbeiten ja auch verrichtet worden sind.

Hier geht es zur Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart

Vergleiche auch:
BAG, Urteil vom 19. Mai 2010 - 5 AZR 162/09 -

Rechtliche Grundlagen

Rechtsgrundlagen:

§ 3 Entgeltfortzahlungsgesetz
Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

(1) 1Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so verliert er dadurch nicht den Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. 2Wird der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, so verliert er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Anspruch nach Satz 1 für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn

1. er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder
2. seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.

(2) 1Als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Absatzes 1 gilt auch eine Arbeitsverhinderung, die infolge einer nicht rechtswidrigen Sterilisation oder eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft eintritt. 2Dasselbe gilt für einen Abbruch der Schwangerschaft, wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird, die schwangere Frau den Abbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer anerkannten Beratungsstelle hat beraten lassen.

§ 241 BGB
Pflichten aus dem Schuldverhältnis

(1) 1Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. 2Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.
(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

§ 611 BGB
Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.
(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

§ 106 Gewerbeordnung
Weisungsrecht des Arbeitgebers

1Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. 2Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. 3Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.