Bundesarbeitsgericht ändert Rechtsprechung Rot-Kreuz-Schwestern sind Arbeitnehmerinnen (Bildrechte: Verband der Schwesternschaften vom DRK e.V.)
Bundesarbeitsgericht ändert Rechtsprechung Rot-Kreuz-Schwestern sind Arbeitnehmerinnen (Bildrechte: Verband der Schwesternschaften vom DRK e.V.)

Das Bundesarbeitsgericht hatte einen Fall zu entscheiden, in dem eine Schwester in einem Krankenhaus eingesetzt werden sollte. Der Betriebsrat hatte dem Einsatz widersprochen. Das Bundesarbeitsgericht gab dem Betriebsrat jetzt Recht.

Gestellungsvertrag statt Leiharbeit

Die Angehörigen der Schwesternschaften des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) waren nach bisheriger Rechtsprechung keine Arbeitnehmer. Dies weil sie ihre Arbeitsleistung nicht auf Basis eines Arbeitsvertrages, sondern als Mitglieder der Schwesternschaft erbringen, die als eingetragene Vereine organisiert sind.

Dementsprechend war für Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Schwester und der Schwesternschaft, etwa um Lohn, nicht das Arbeitsgericht zuständig, sondern das Amts- oder Landgericht. Durch diese Sonderstellung fehlte den Schwestern der Schutz des Arbeitsrechts, zum Beispiel bei Kündigungen. Sie standen also schlechter als Arbeitnehmer.

Besonders klar wird dies, wenn die Schwestern in einer anderen Einrichtung, etwa einem Krankenhaus tätig werden. Die Schwesternschaften schließen mit den Krankenhausträgern sogenannte „Gestellungsverträge“, die den Personaleinsatz regeln.

Eigentlich also eine profane Leiharbeit, bei der ebenfalls besondere Vorschriften bestehen, die die Arbeitnehmer schützen, zum Beispiel „equal pay“ oder den Grundsatz der nur vorübergehenden Überlassung. Aber da die Schwestern keine Arbeitnehmerinnen sind, gelten auch die Schutzvorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nicht.

Noble Ideale - raue Wirklichkeit

Das Modell der schwesterlichen Hilfe, die den Gedanken des selbstlosen Handelns für Bedürftige in den Vordergrund rückt und Assoziationen an klösterliches Gemeinschaftsleben weckt, hat mit der Realität also wenig gemeinsam.

Letztlich handelt es sich um eine Geschäftspraxis, die zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht unterwandert und die Betroffenen zu Beschäftigten (höchstens) zweiter Klasse macht.

Diese Praxis ist in der Vergangenheit oft kritisiert worden (Sonderrecht für Rot-Kreuz-Schwestern bei der Leiharbeit?). Das Bundesarbeitsgericht hat den Sonderstatus der Rot-Kreuz Beschäftigten bislang jedoch stets verteidigt.

Vorlage an den Europäischen Gerichtshof

Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht im März 2015 die Frage nach der Arbeitnehmerstellung der DRK-Beschäftigten dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Prüfung auf Vereinbarkeit mit Europarecht vorgelegt.

In dem Fall hatte der Träger eines Krankenhaus beschlossen, eine Krankenschwester in seinem Krankenhausbetrieb einzusetzen, die Mitglied einer DRK-Schwesternschaft ist. Grundlage dafür war der mit der DRK-Schwesternschaft geschlossener Gestellungsvertrag.

Der Betriebsrat des Krankenhauses hatte die Zustimmung zur Einstellung mit dem Argument verweigert, es liege eine verbotene, weil dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung, vor. Der Arbeitgeber beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht, die Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen.

Vor dem Landesarbeitsgericht hatte er damit Erfolg, das anschließend angerufene Bundesarbeitsgericht legte die Sache dem EuGH vor.

EuGH: Auch DRK-Schwestern sind Leiharbeitnehmer

Die Bundesrichter wollten geklärt haben, ob Leiharbeit auch dann vorliege, wenn ein Verein, der keinen Erwerbszweck verfolgt, gegen ein Gestellungsentgelt Vereinsmitglieder an ein entleihendes Unternehmen überlässt, wenn die Vereinsmitglieder bei diesem Unternehmen nach dessen Weisungen gegen eine Vergütung Arbeitsleistungen erbringen.

Der EuGH hat diese Frage dahingehend beantwortet, dass auch eine solche Konstellation als Leiharbeit zu bezeichnen ist (DRK-Schwestern können Arbeitnehmerinnen sein).

Für die Arbeitnehmerstellung sprach für den EuGH insbesondere, dass sich die DRK-Beschäftigten mit dem Vereinsbeitritt gegenüber der Schwesternschaft verpflichtet haben, einen Vereinsbeitrag in Form der Leistung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit zu erbringen. Hierfür erhielten sie eine monatliche Vergütung, deren Berechnung sich nach den für die jeweilige Tätigkeit üblichen Kriterien richte. Damit erbrächten sie Arbeitsleistungen und erhielten als Gegenleistung eine Vergütung.

Etwa 25.000 Beschäftigte betroffen

Im Hinblick auf diese Einschätzung des EuGH hat das Bundesarbeitsgerichts den Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin abgewiesen. Der Betriebsrat habe die Zustimmung zu Recht verweigert.

Wenn eine DRK-Schwester, die als Mitglied einer DRK-Schwesternschaft angehört, von dieser in einem vom Dritten betriebenen Krankenhaus eingesetzt werde, um dort nach dessen Weisung gegen Entgelt tätig zu sein, handele es sich aufgrund der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung um Arbeitnehmerüberlassung.

Diese grundsätzliche Entscheidung wirkt über den Einzelfall hinaus: Etwa 25.000 Beschäftigte sind in den 33 Schwesternschaften organisiert. Für sie wird sich in Zukunft einiges ändern.

Hier direkt zur Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts zum Beschluss vom 21. Februar 2017 - Az.:  1 ABR 62/12

Stellungnahme der Gewerkschaft ver.di zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Februar 2017 - 1 ABR 62/12

Das sagen wir dazu:

Wieder einmal hat das europäische Recht massiv auf das deutsche Arbeitsrecht eingewirkt. Dieses sah traditionell als Arbeitnehmer nur denjenigen an, der aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages für einen anderen nach dessen Weisungen entgeltlich persönliche Dienste erbringt.

Dieser Gruppe unterfielen Vereinsmitglieder nicht, weil die nicht aufgrund eines Vertrages, sondern aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einem Verein tätig sind. Der EuGH hat sich jedoch um derartige feinsinnige Differenzierungen auch früher nicht gekümmert, sondern eher danach gefragt, was den Kern der Beschäftigung ausmacht.

Betrachtet man, mit welcher kreativen Raffinesse Arbeitgeber vorgehen, um Schutzrechte zu umgehen, die an einen bestimmten Status gekoppelt sind, so erscheint diese Betrachtung nicht nur arbeitnehmerfreundlicher, sondern auch praxisnäher.

Denn längst geht es nicht mehr nur um Leiharbeit und Werkverträge. Manche Arbeitgeber lassen ihre Beschäftigten sogar Handelsgesellschaften gründen, um Arbeitnehmerschutz und Sozialversicherungsbeiträge zu umgehen (Unternehmerische Freiheit mit Füßen getreten).

Für die betroffenen DRK-Beschäftigten bedeutet das Urteil, dass sie nunmehr unter den Schutz des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes fallen und wie Leiharbeiter geschützt sind. Dies ist mehr als erfreulich, das Verfahren ist mit einem optimalen Ausgang beendet worden. 

Aber wie bei anderen Leiharbeitnehmern gilt auch hier: Ziel ist letztlich die unbefristete Anstellung im Entleihunternehmen. Denn ein Klassensystem im Unternehmen ist inakzeptabel, auch wenn es statt drei nur noch zwei Klassen gibt.