Bislang gelten Rot-Kreuz-Schwestern bzw. Rot-Kreuz-Pfleger nicht als Arbeitnehmer*innen, weil sie nicht aufgrund eines Arbeitsvertrages, sondern aufgrund von ihrer Mitgliedschaft beim Roten-Kreuz tätig werden. Sie sind damit schlechter gestellt als andere Arbeitnehmer*innen.

Was sind Rot-Kreuz-Schwestern/Pfleger?

Im Internet erscheinen unter dem Stichwort der sogenannten Rot-Kreuz-Schwestern Bilder, die Schwestern in Ordenstracht mit Hauben zeigen. Man fühlt sich an Kriegseinsätze und Lazarette erinnert, denkt an das Zusammenleben in Ordensgemeinschaften und den Dienst am Kranken und Hilfsbedürftigen allein aus karikativen oder religiösen Gründen.


Aber so ist es längst nicht mehr. Dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) sind circa 33 sogenannte Schwesternschaften angeschlossen, denen bundesweit rund 22.000 Pflegekräfte angehören. Sie leben nicht in ordensähnlichen Gemeinschaften und werden auch nicht dort versorgt. Sie erhalten vielmehr wie andere Arbeitnehmer*innen auch eine monatliche Vergütung, Urlaub und beispielsweise Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.


Die Besonderheit besteht lediglich darin, dass sie Mitglied bei der DRK-Schwesternschaft e. V. werden und damit ihre Rechte und Pflichten nicht in einem Arbeitsvertrag sondern in einer Mitgliederordnung geregelt sind.

Einsatz des Pflegepersonals in Kliniken

Die Schwesternschaften beschäftigen ihr Pflegepersonal in der Regel nicht in eigenen Einrichtungen sondern auf der Grundlage sog. Gestellungsverträge in Fremdeinrichtungen, also Krankenhäusern in anderer Trägerschaft, zum Beispiel im Universitätsklinikum Essen.


Dort werden die Schwestern und Pfleger in der Pflege eingesetzt, sie müssen ihre Tätigkeiten nach den fachlichen und organisatorischen Weisungen der zuständigen Stellen des Krankenhauses ausüben; sie sind damit in den Krankenhausbetrieb vollständig eingegliedert.


Rot-Kreuz-Schwestern unterscheiden sich also in der Art ihrer Tätigkeit nicht vom sonstigen Pflegepersonal, das auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages beschäftigt wird.

Vorteile für Arbeitgeber

Unternehmen genießen einige Vorzüge, wenn die Berufstätigkeit des Personals nicht auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages sondern auf der Grundlage einer Vereinsmitgliedschaft ausgeübt wird. 


So hatte eine DRK-Schwester nach Kürzung ihrer Arbeitszeit auf Vergütung für geleistete Überstunden gegen die Schwesternschaft geklagt. Sie war wegen ihrer fehlenden Arbeitnehmereigenschaft bereits am Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gescheitert. Ihre Klage hätte sie – nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) - beim Amtsgericht bzw. Landgericht einreichen müssen. 


Damit stand gleichzeitig fest, dass für Vereinsmitglieder keine Arbeitnehmerschutzvorschriften wie etwa das Kündigungsschutzgesetz oder der Schwerbehindertenschutz gelten. Werden ausschließlich Vereinsmitglieder beschäftigt, kann im Betrieb auch kein Betriebsrat gebildet werden. 


Das Unternehmen ist nach bisheriger Rechtsprechung auch nicht verpflichtet, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen, da Beschäftigungsverhältnisse aus religiösen oder karikativen Motiven nicht als Arbeitsplätze gezählt werden.

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates

Das BAG hat sich in der Vergangenheit einige Male in Urteilen mit den DRK-Pflegekräften im Zusammenhang mit Mitbestimmungsrechten der bei den Schwesternschaften und den Kliniken gebildeten Betriebsräten befasst. 


Bei der Schwesternschaft bestand deshalb ein Betriebsrat, weil sie neben den Vereins-DRK-Schwestern auch Pflegekräfte mit Arbeitsvertrag beschäftigten. Obwohl das BAG regelmäßig annimmt, dass kein Arbeitsverhältnis besteht, sind sowohl ein bei der Schwesternschaft gebildeter Betriebsrat wie auch der Betriebsrat (oder Personalrat) des Krankenhauses, in dem die DRK-Schwestern eingesetzt werden sollen, bei deren Einstellung und Versetzung zu beteiligen. 


Es kommt nur darauf an, dass Personen in den Betrieb eingegliedert werden sollen, um dort nach Weisungen Arbeiten zu verrichten. Das BAG hat das Mitbestimmungsrecht damit begründet, dass durch personelle Entscheidungen gegenüber den Vereinsmitgliedern auch die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer Nachteile erleiden können. Der Betriebsrat der Schwesternschaft oder Betriebsrat bzw. Personalrat des Einsatz-Krankenhauses können die Interessen der vorhandenen Belegschaft deshalb nur wahren, wenn sie vor der Einstellung oder Versetzung auch von Vereins-Pflegepersonal beteiligt werden.

Gelten die Regeln der Leiharbeit?

Weil DRK-Mitglieder keine Arbeitnehmer sind, sollen nach Auffassung des BAG die Regelungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) zur Leiharbeit nicht gelten. 


Dies hat gravierende Auswirkungen. So ist nach dem AÜG (§ 1 Abs.1 S.2) wie auch nach der in der Europäischen Union geltenden Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG) nur ein vorübergehendes Entleihen von Arbeitnehmer*innen erlaubt. Gilt dies für das Vereins-Personal nicht, könnten sie im Gegensatz zu ihren pflegerischen Kolleg*innen mit Arbeitsvertrag auf unbestimmte Zeit an Krankenhäuser verliehen werden. 


Dadurch gewinnen die beteiligten Entleiher- und Verleiher-Unternehmen erhebliche Vorteile, wenn sie Vereins-Personal beschäftigen. Das BAG hat nun selbst Bedenken, ob diese Folgen einer Beschäftigung aufgrund Vereinsmitgliedschaft einer rechtlichen Prüfung standhalten. 


Die obersten Arbeitsrichter halten zwar daran fest, dass DRK-Schwestern/Pfleger keine Arbeitnehmer*innen sind; sie haben aber Zweifel, ob eine zeitlich unbeschränkte Überlassung mit europäischem Recht vereinbar ist. Deshalb hat das BAG dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Leiharbeits-RL auch auf Rot-Kreuz-Schwestern Anwendung findet.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) muss entscheiden

Im Ausgangsverfahren, das zur Vorlage zum EuGH geführt hat, streiten der Betriebsrat des Klinikums Essen und das Klinikum Essen um die Zustimmung zur Einstellung von DRK-Schwestern. 


Die Schwesternschaft Essen e. V. verpflichtete sich aufgrund eines Gestellungsvertrages, dem Klinikum Pflegepersonal zur Verfügung zu stellen. Seit 12/2011 besitzt die Schwesternschaft eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Im Januar 2012 sollte die Schwester K, die Vereinsmitglied bei der Schwesternschaft ist, auf unbestimmte Zeit im Pflegedienst des Klinikums eingesetzt werden. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung zur Einstellung, weil der Einsatz nicht vorübergehend ist und damit ein Verstoß gegen ein Gesetz, nämlich des AÜG, vorliegt. 


Das vom Klinikum Essen eingeleitete Zustimmungsersetzungsverfahren war beim Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht erfolgreich. Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrates hat das BAG den EuGH um Klärung nachgesucht, ob die Schwestern dem Schutz der Richtlinie unterliegen, weil sie als Arbeitnehmer*innen im Sinne der Richtlinie anzusehen sind und es sich bei der Überlassung um eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Richtlinie handelt. 


Für die Anwendbarkeit der Richtlinie auch auf DRK-Schwestern spricht, dass sie wie andere Leih-Arbeitnehmer*innen in gleicher Weise zur Leistung abhängiger Arbeit gegen Zahlung einer Vergütung verpflichtet sind, und damit auch in gleicher Weise schutzbedürftig sind. Außerdem unterscheidet sich auch die Tätigkeit der beteiligten Unternehmen nicht von sonstigen Unternehmen, die als Verleiher oder Entleiher agieren, so dass eine rechtliche Bevorzugung der Schwesternschaften auf dem Pflegemarkt nicht gerechtfertigt ist. 


Im Übrigen erfasst die Richtlinie auch Personen, die ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind. Damit könnte es für die Anwendbarkeit der Richtlinie genügen, dass die überlassene Person weisungsabhängig beschäftigt wird. Ob ein Arbeitsverhältnis zum Verleiher besteht, wäre dann ohne Bedeutung.

Keine Privilegierung von DRK-Schwestern bei der Leiharbeit

Die Sonderbehandlung von Personen, die ihre Arbeitsleistung nicht aufgrund eines Arbeitsvertrages sondern aufgrund vereinsrechtlicher Mitgliedschaft im Entleih-Unternehmen erbringen, entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Sie befinden sich auch als Vereinsmitglieder in der gleichen Situation wie Leih-Arbeitnehmer*innen, die zur Arbeitsleistung überlassen werden. 


Sie sind daher auch in gleicher Weise schutzbedürftig. Außerdem führt die Verpflichtung zur Arbeitsleistung auf der Grundlage einer vereinsrechtlicher Mitgliedschaft zur Umgehung zwingenden Gesetzesrechtes. Ob dies der Fall ist, hat das BAG zwar regelmäßig im Zusammenhang mit dem Bestehen von Mitbestimmungsrechten der bei der Schwesternschaft oder den Kliniken gebildeten Arbeitnehmer-Vertretungen geprüft. 


Er konnte die Frage aber bislang dahinstehen lassen, da es Mitbestimmungsrechte trotz der fehlenden Arbeitnehmer-Eigenschaft dieser Pflegekräfte bejahte. Für die Anwendbarkeit des AÜG ist dagegen nun von Bedeutung, ob die Beschäftigung auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages erfolgt. 


Deshalb hätten die obersten Arbeitsrichter nun die Frage beantworten müssen, ob die Begründung vereinsrechtlicher Arbeitspflichten zur Umgehung zwingender arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften, nämlich hier der Vorschriften im AÜG, führt. Stattdessen haben sie die Flucht nach Europa ergriffen. Dabei hätte das BAG die Frage, ob eine Umgehung vorliegt, selbst beantworten können. 


Auch der Schutzzweck des AÜG rechtfertigt es nicht, zwischen Personen zu unterscheiden, die auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages oder einer Vereinsmitgliedschaft einem Entleiher überlassen werden. Mit dem Erfordernis eines nur vorübergehenden Einsatzes sollen neben den Leih-Arbeitnehmern selbst auch die Arbeitnehmer des Entleih-Unternehmens z. B. davor geschützt werden, dass Stammbelegschaften zu Gunsten der Beschäftigung von Leih-Arbeitnehmer*innen abgebaut werden. 


Dieser Schutz geht ins Leere, wenn mitgliedschaftliche Beschäftigte dauerhaft entliehen werden können. Die im Pflegebereich tätigen Leiharbeitsunternehmen verschaffen sich dadurch einen sachlich nicht zu rechtfertigenden wettbewerbsrechtlichen Vorteil. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis in der Vorlageentscheidung bemerkenswert, dass die DRK-Schwesternschaft Essen e.V. seit 2003 mit Pflegekräften keine Arbeitsverträge mehr abschließt. Das verwundert angesichts der Vorzüge, die mit einem mitgliedschaftsrechtlichen Beschäftigungsmodell verbunden sind, nicht. 


Denn bei ausschließlicher Beschäftigung von Vereinsmitgliedern erübrigen sich Mitbestimmungsrechte, es besteht keine Beschäftigungspflicht schwerbehinderter Menschen, kein Kündigungsschutz, und den Einschränkungen des AÜG unterliegen die Unternehmen ebenfalls nicht, so dass ihre Pflegekräfte gern gesehenes Personal der sie entleihenden Kliniken sind. Hoffentlich setzt nun der EuGH diesem zweifelhaften Geschäftsmodell ein Ende.