Das Bundesarbeitsgericht hat zwei Verfahren im Sinne der Arbeitnehmer entschieden, die es zuvor dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte.

Wirkt Tarifvertrag dynamisch bei Betriebserwerber weiter?

Im Kern ging es um die Frage, wie eine arbeitsvertragliche Klausel, die auf einen Tarifvertrag „in der jeweils gültigen Fassung“ verweist, wirkt, wenn das Arbeitsverhältnis durch einen Betriebsübergang auf einen anderen Arbeitgeber übergeht.

Die Arbeitgeberseite hatte sich auf den Standpunkt gestellt, nach dem Übergang dürfe diese Klausel nicht mehr uneingeschränkt wirken. Denn der Betriebserwerber wäre sonst an einen Tarifvertrag gebunden, den er selbst nicht abgeschlossen hat.

Der Europäische Gerichtshof hatte dieser Ansicht im April 2017 in einer Aufsehen erregenden Entscheidung widersprochen: Es handele sich um eine arbeitsvertragliche Klausel, die durch den Betriebsübergang nicht verändert würde.

Auf Seiten der Arbeitnehmer hatte das Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz GmbH in Person von Rudolf Buschmann die Verfahren geführt.

Beschäftigte wurden in private GmbH ausgegliedert

Die von ihm vertretenen ver.di-Mitglieder Vittoria Graf und Ivan Felja waren im kommunalen Krankenhaus Dreieich-Langen beschäftigt, er als Gärtner, sie als Stationshelferin.

Im Jahr 1997 wurde das Krankenhaus in eine private GmbH umgewandelt, so dass die ursprünglich geltenden Tarifverträge für den Öffentlichen Dienst nun nicht mehr unmittelbar galten. Um die Beschäftigten nicht schlechter zu stellen, wurden neue Arbeitsverträge abgeschlossen.

In diese war eine Klausel aufgenommen worden, nach der diese Tarifverträge „in ihrer jeweils geltenden Form“ für sie gelten sollten. Damit sollte die Tarifbindung aufrecht erhalten bleiben, auch
wenn diese ergänzt, abgeändert oder ersetzt werden. Im Jahr 2008 ging die private GmbH dann im Konzern Asklepios auf.

Asklepios fühlt sich nicht an Tarifverträge gebunden

Asklepios stellte sich auf den Standpunkt, die Tarifverträge gälten nicht mehr für diese Arbeitsverhältnisse und verwies auf eine Vorschrift, nach der Kollektivnormen nach einem Betriebsübergang nur ein Jahr unverändert bleiben müssten.

So kam es zu einem langjährigen Rechtsstreit, den die Arbeitnehmer Graf und Felja mit der Unterstützung ihrer Gewerkschaft durch alle Instanzen hindurch erfolgreich führten.

Auch der EuGH hatte schließlich entschieden, dass die entsprechende Richtlinie der EU einer Ansicht nicht entgegen stehe, wonach Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen auch einem Betriebserwerber gegenüber dynamisch fortwirken.

Bundesarbeitsgericht: Betriebserwerb bricht Tarifdynamik nicht

Das Bundesarbeitsgericht urteilte jetzt unter Beachtung dieser Entscheidung: Eine zwischen dem Betriebsveräußerer und dem Arbeitnehmer einzelvertraglich vereinbarte Klausel, die dynamisch auf einen Tarifvertrag verweist, verliere ihre Dynamik nicht aufgrund des Betriebsübergangs.

Dabei widersprach das BAG der Ansicht des Arbeitgebers, er sei schutz- und machtlos an Tarifverträge gebunden, an denen er nicht mitgewirkt habe. Das deutsche Recht kenne durchaus Möglichkeiten, einen bestehenden Arbeitsvertrag zu ändern.

Der Betriebserwerber könne entweder einvernehmlich im Wege des Änderungsvertrags oder einseitig im Wege der Änderungskündigung gegebenenfalls erforderliche Anpassungen vornehmen. Eine Änderungskündigung sei jedoch nicht ausgesprochen worden.

Hier direkt zur Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts zum Urteil vom 30. August 2017 - 4 AZR 95/14

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Das sagen wir dazu:

Nachdem der EuGH im Frühjahr dahingehend Pflöcke eingeschlagen hatte, war die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht mehr überraschend. Der EuGH hatte im Hinblick auf das deutsche Konstrukt der dynamischen Bezugnahmeklausel in großer Deutlichkeit entschieden, dass es sich um eine Regelung des Arbeitsvertrages handelt, die der begrenzten Wirkung der Kollektivnormen nicht unterliegt.

Kein Supergrundrecht der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit

Der Betriebserwerber muss die von ihm übernommenen Arbeitsverhältnisse so nehmen, wie er sie vorfindet. Es gilt das allgemeine Prinzip, wonach Verträge einzuhalten sind.

 

Der Prozessvertreter Rudolf Buschmann hatte schon im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH darauf verwiesen, dass eine andere Entscheidung zu einem Supergrundrecht der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit geführt hätte. Und das hätte nicht nur für Beschäftigte katastrophale Auswirkungen gehabt. 

 

Nachdem der EuGH also den Grundsatz der Privatautonomie völlig zu Recht über die unternehmerische Freiheit gestellt hatte, war auch der Weg für ein entsprechendes Urteil auf nationaler Ebene frei. 

 

Denn nach deutscher Rechtsprechung war immer klar, dass ein Betriebsübergang einzelvertragliche Regelungen unberührt lässt. Nur ein entsprechender Auslegungsbefehl aus Europa hätte dies ändern können. Und dieser war im April 2017 bekanntlich ausgeblieben.

Rechtliche Grundlagen

§ 613 a Bürgerliches Gesetzbuch - BGB

§ 613a Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang

(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.

(2) Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Absatz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. Werden solche Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber für sie jedoch nur in dem Umfang, der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums entspricht.

(3) Absatz 2 gilt nicht, wenn eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt.

(4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt.

(5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:
1. den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
2. den Grund für den Übergang,
3. die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
4. die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.

(6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.