Hintergrund ist, dass der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts dem Gerichtshof der europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt hat, ob seiner Auslegung von § 613a Abs. 1 BGB (Betriebsübergang) mit Unionsrecht vereinbar ist. Die Frage ist, wie eine zwischen dem Betriebsveräußerer und dem Arbeitnehmer einzelvertraglich vereinbarte Klausel, die dynamisch auf einen Tarifvertrag verweist, im Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber wirkt.

Durch Privatisierung des Krankenhauses wirkt Tarifvertrag nicht mehr unmittelbar

In dem Fall, der dem BAG zur Entscheidung vorlag, war der Kläger seit 1978 als Hausarbeiter in einem Krankenhaus beschäftigt. Der Arbeitsvertrag verwies auf den Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter/Arbeiterinnen gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom 31. Januar 1962 (BMT-G II) und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge.


Träger des Krankenhauses war ursprünglich ein Landkreis, der Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) war. Im Jahr 1995 wurde das Krankenhaus privatisiert und daraufhin von einer GmbH betrieben, die ebenfalls Mitglied im KAV war. Zugleich wurde für die Mitarbeiter*innen, die auf diese GmbH übergehen vereinbart, dass „der BMT-G II in der jeweils geltenden Fassung beim Betriebserwerber weiterhin angewendet wird.


Am 31. Dezember 1997 ging der Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, auf eine andere GmbH über, die nicht Mitglied im KAV war. In der Folgezeit wurde zwar auf das Arbeitsverhältnis weiterhin der BMT-G II angewandt, allerdings wurde die tarifliche Lohnerhöhung des Jahres 2004 nicht berücksichtigt.


Mit Wirkung zum 1. Juli 2008 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers auf die Beklagte über. Diese wandte ebenfalls die Vorschriften des BMT-G II an. Der Kläger klagte darauf dass die Tarifverträge TVöD-VKA und TVÜ-VKA auf sein Arbeitsverhältnis angewendet werden. Die Anwendung ergebe sich aus der dynamischen Verweisung.

Betriebsübergang nach deutschem Recht

Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser gemäß § 613a BGB in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Der Erwerber übernimmt also das Arbeitsverhältnis so, wie es ist.


Arbeitsrechtliche Rechte und Pflichten, die sich aus einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung ergeben, werden Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer. Sie dürfen zudem im ersten Jahr nach dem Betriebserwerb nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden.


Etwas anderes gilt für Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergeben. Diese können nur zweiseitig mit Änderungsvertrag oder Änderungskündigung verändert werden, dies allerdings schon vor Ablauf der Jahresfrist.


Die Regelung zum Betriebsübergang geht auf die Richtlinie RL 2001/23/EG zurück. Die Auslegung des deutschen recht unterliegt daher auch einer Überprüfung durch den EuGH.

„Alemo-Herron“-Entscheidung des EuGH

In einem Fall, der eine englische Bezugnahmeklausel zum Inhalt hatte, hat sich der EuGH schon einem mit der Frage beschäftigt, wie die oben genannte Richtlinie RL 2001/23/EG im Hinblick auf derartige Klauseln auszulegen ist (EuGH, Entscheidung v. 18.07.2013 – C 426/11, „Alemo-Herron“).


Darin kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass Klauseln, die dynamisch auf Kollektivverträge verweisen, die nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelt und abgeschlossen werden, gegenüber dem Erwerber nicht durchsetzbar sind.


Begründet wird diese Rechtsprechung damit, dass der Erwerber keine Möglichkeit habe, an den Verhandlungen über diese Verträge teilzunehmen, weil er ja selbst gerade nicht tarifgebunden ist. Eine Bindung an regeln, die er selbst nicht mehr beeinflussen kann, benachteilige den Erwerber in nicht zumutbarer Weise.

Bundesarbeitsgericht legt zur Prüfung vor

Legte man diese Auslegung an den vorliegenden Fall des Bundesarbeitsgerichts an, hieße dies, dass die nach dem Betriebserwerb liegenden Lohnerhöhungen nicht mehr für den Kläger gelten würden.


Vor diesem Hintergrund hat das Bundesarbeitsgericht den Fall dem EuGH zur Prüfung vorgelegt. Dabei geht der Vierte Senat davon aus, dass nach deutschem Recht der Erwerber so gebunden ist, als habe er diese Vertragsabrede selbst mit dem Arbeitnehmer getroffen. Damit wäre er auch an die Lohnerhöhung gebunden.


Dabei knüpft das BAG an die Regelung an, wonach eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, die auf Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Bezug nimmt und deren Regelungen aufgrund privatautonomer Willenserklärungen zum Inhalt des Arbeitsvertrags gemacht wurden (sog. dynamische Bezugnahmeklausel), ohne Rücksicht auf die Jahresfrist und nur beidseitig geändert werden kann.


Im Wege des Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV soll nun  geklärt werden, ob dieser Auslegung des nationalen Rechts unionsrechtliche Vorschriften - insbesondere die Richtlinie 2001/23/EG und Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - entgegenstehen.

Fingerzeig aus Berlin?

In einem ähnlich gelagerten Fall, in dem die DGB-Rechtsschutz GmbH den Kläger vertreten hat, entschied das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Sinne des BAG und setzte sich auch schon mit der Rechtsprechung des EuGH auseinander (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.10.2014 – 4 Sa 1357/14).


Die Rechtsprechung im Fall „Alemo-Herron“ sei auf das deutsche Recht nicht übertragbar. Denn wie das deutsche Recht unterscheide die Richtlinie zwischen individuellen und kollektiven Normen. Der EuGH unterscheide hier nicht.


Seiner Entscheidung lag eine englische Bezugnahmeklausel zu Grunde, die mit der deutschen Bezugnahmeklausel nicht vergleichbar sei. Denn das englische Recht kenne die normative Wirkung der Tarifverträge, wie es das deutsche Recht vorsieht, nicht. In Deutschland wirkt der Tarifvertrag schon dadurch, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer Mitglied der tarifschließenden Vereinigungen, also Gewerkschaft und Arbeitgeberverband sind.


Im englischen Recht wirkt der Tarifvertrag nur, wenn er durch Bezugnahmeklauseln ausdrücklich in den Arbeitsvertrag mit einbezogen wurde. Diese sind also, anders als in Deutschland, zwingend erforderlich. Da die Regelung des Tarifvertrages im englischen Recht bei Betriebsübergang nur aufrechterhalten blieben, wenn diese Klausel weiter Bestand hat, handele es sich quasi um kollektive Regelungen, was im Fall einer deutschen dynamischen Bezugnahmeklausel gerade nicht der Fall sei.


Mit dieser Begründung sprach das Landesarbeitsgericht dem Mandanten der DGB-Rechtsschutz GmbH die geforderte Lohndifferenz aus dem Tarifvertrag zu.

Anmerkung: 

Es gibt einen allgemeinen Rechtssatz, der nicht nur in Deutschland gilt, sondern - weil er aus dem römischen Recht stammt – in ganz Europa Geltung beanspruchen kann: „pacta sunt servanda“ – Verträge sind einzuhalten! Und so liegt der Fall hier.


Wenn die Arbeitsvertragsparteien sich darüber einig sind, dass der Tarifvertrag entsprechend gilt, und zwar in der jeweils geltenden Form, dann unterwerfen sich beide den Änderungen dieses Vertrages. Wenn ein dritter diesen Vertrag übernimmt, übernimmt er ihn mit allen Rechten und Pflichten, auch mit dynamischen Verweisungen. Das BAG hat daher Recht, wenn es meint, der Erwerber sei so gebunden, als habe er die Vertragsabrede selbst mit dem Arbeitnehmer getroffen.


Der EuGH wird nun das deutsche Recht am Maßstab der Richtlinie messen müssen. Es ist zu hoffen, dass es die Unschärfen, die ihm das LAG Berlin-Brandenburg im Fall „Alemo-Herron“ attestiert hat, beseitigt und eine entsprechende Differenzierung vornimmt. 


Da eine solche für das englische Recht noch nicht erforderlich war, konnte sich der EuGH hier auch allgenmein halten. Der Fall, den die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit ihm nun vorlegt sollte jedoch zeigen, dass eine solche Aussage nicht verallgemeinerungsfähig ist, da sie sonst gegen grundsätzliche Prinzipien des Rechts verstoßen würde.

Hier direkt zur Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts zum Beschluss vom 17. Juni 2015 - 4 AZR 61/14 (A) -

Und hier die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.10.2014 – 4 Sa 1357/14 zum Download

Im Praxistip § 613a BGB: Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang:

Rechtliche Grundlagen

§ 613a BGB: Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 613a Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang

(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.
(2) Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Absatz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. Werden solche Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber für sie jedoch nur in dem Umfang, der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums entspricht.
(3) Absatz 2 gilt nicht, wenn eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt.
(4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt.
(5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:
1.
den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
2.
den Grund für den Übergang,
3.
die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
4.
die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.
(6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.