Da lag das Verwaltungsgericht falsch. Die Bundespolizei muss einem Beamten Dienstbefreiung wegen seiner Einsatzstunden beim G7-Gipfel gewähren. Copyright by Adobe Stock / bluedesign
Da lag das Verwaltungsgericht falsch. Die Bundespolizei muss einem Beamten Dienstbefreiung wegen seiner Einsatzstunden beim G7-Gipfel gewähren. Copyright by Adobe Stock / bluedesign

Beamt*innen sind verpflichtet, über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt. Eine Vergütung bekommen sie dafür in diesem Fall nicht.


Werden sie allerdings mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, ist ihnen innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Voraussetzung ist allerdings, dass die Mehrarbeit dienstlich angeordnet oder genehmigt worden ist. Das ist in § 88 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) geregelt.

Ein Polizist sollte sich immer in der Nähe der Unterkunft aufhalten und seine Dienstwaffe dabeihaben

Unser Büro in Hamburg vertritt einen Beamten der Bundespolizei vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg, der gegen seinen Dienstherrn einen Anspruch auf Dienstbefreiung geltend macht.


Im Rahmen des Einsatzes zum G7-Gipfel in Schloss Elmau (Bayern) vom 25. Mai 2015 bis zum 9. Juni 2015 war der Polizeioberkommissar Roman Maier (Name von der Redaktion geändert) im sogenannten „Einsatzabschnitt Rosenheim" als Führer eines Unter-Unterabschnitts eingesetzt. Dort musste er sich jederzeit zu einem unverzüglichen Einsatz bereithalten.


Dabei musste er sich auf Weisung des Einsatzleiters, eines Ersten Polizeihauptkommissars (PHK), stets in der Nähe der Unterkunft aufhalten, um einerseits den Fuhrpark überwachen und andererseits bei Bedarf sofort einsatzbereit sein zu können. Der PHK hatte zudem verlangt, dass Herr Maier über sein Diensthandy ständig telefonisch erreichbar ist und eine Dienstwaffe einschließlich Munition bei sich führt.

Die Bundespolizei hatte angeordnet, dass die Beamt*innen falls erforderlich Mehrarbeit leisten müssen

Den Einsatz hatte die Bundespolizeidirektion München zuvor umfassend geplant. Insbesondere hatte sie Dienstpläne erstellt und die Planung in mehreren Einsatzbefehlen niedergelegt. In einem Einsatzbefehl war folgendes geregelt:


„Die erforderliche Mehrarbeit wird hiermit auf Grundlage des § 88 BBG angeordnet. Bei Vorliegen der Voraussetzungen sollen die Regelungen des § 11 Bundespolizeibeamtengesetz (BPolBG) in Verbindung mit der hierzu gültigen Erlass-Verfügungslage Anwendung finden. Die Entscheidung über die Höhe des Freizeitausgleichs trifft in diesem Fall der Polizeiführer nach dem Einsatz. Eine vorherige Anordnung/Festlegung ist unzulässig."

Für die Zeit des Einsatzes sollte eine sogenannte „spitze Abrechnung“ erfolgen

Nachdem die Bundespolizei den Einsatz beim G7-Gipfel beendet hatte, teilte der Präsident des Bundespolizeipräsidiums durch Mitarbeiterbrief mit, dass die Abrechnung der Arbeitszeit während des Einsatzes beim G7-Gipfel auf der Grundlage des tatsächlich geleisteten Dienstes nach § 88 BBG erfolgen würde, also eine sogenannte „spitze Abrechnung“ erfolgen solle.


Darüber hinaus solle unter Fürsorgeaspekten zusätzlich zur Anrechnung der tatsächlich geleisteten Dienste ein besonderer Zeitausgleich ermöglicht werden. Der besondere Zeitausgleich solle bei einer Einsatzdauer bis zu 7 Tagen einen Tag, bei einer Einsatzdauer von 8 bis 21 Tagen zwei Tage und bei einer Einsatzdauer über 21 Tage drei Tage (außer Heimschläfer) betragen.


Roman Maier bekam aufgrund seines Einsatzes beim G7-Gipfel einen Freizeitausgleich von 89 Stunden, den die Bundespolizei entsprechend des Mitarbeiterbriefes „spitz „ausgerechnet hatte.


Hiermit war Herr Maier jedoch nicht einverstanden. Er beantragte vielmehr, ihm Freizeitausgleich im Umfang von insgesamt 172 Stunden zu gewähren. Seiner Auffassung nach ist die „spitze Abrechnung“ nicht in Ordnung. Seine Dienststunden während des Einsatzes beim G7-Gipfel hätten vielmehr pauschal nach § 11 des Bundespolizeibeamtengesetzes (BPolBG) abgerechnet werden müssen.
 

Der Beamte soll lediglich seinen regelmäßigen Dienst „im Rahmen verschobener Dienstzeiten“ verrichtet haben

Diese Vorschrift sieht vor, dass bei Einsätzen und bei Übungen der Bundespolizei von einer Dauer von mehr als einem Tag anstelle einer Dienstbefreiung nach des Bundesbeamtengesetz ein einheitlicher Freizeitausgleich festgesetzt wird, der die Dauer des Einsatzes oder der Übung und die damit verbundene dienstliche Beanspruchung angemessen berücksichtigen muss.


Die Bundespolizei war der Auffassung, dass diese Vorschrift nicht anzuwenden sei. Herr Maier habe lediglich seinen regelmäßigen Dienst „im Rahmen verschobener Dienstzeiten“ verrichtet. Für die Dauer des G7- Gipfels sei die wöchentliche Arbeitszeit umverteilt worden. Bei einem Einsatz im Sinne des § 11 BPolBG müsse hinzukommen, dass die polizeiliche Lage hinsichtlich der konkreten Dauer und des Personaleinsatzes nicht abschließend planbar sei.


Dem ist auch das Verwaltungsgericht Göttingen mit Urteil vom August 2018 gefolgt und hat die Klage des Beamten abgewiesen.


Damit ist eigentlich im Verwaltungsrecht die Sache erledigt. Weil der Sachverhalt in der Regel durch ein verwaltungsrechtliches Vorverfahren (Widerspruch) geprüft worden ist, ist ein Rechtsmittel gegen das Urteil eines Verwaltungsgerichts im Normalfall nicht vorgesehen.
 

Die Berufung ist unter anderem zuzulassen, wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen

Die Berufung kann das Verwaltungsgericht nur unter bestimmten Voraussetzungen zulassen. Etwa wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten oder wenn sie grundsätzliche Bedeutung hat. Das Rechtsmittel muss das VG zudem zulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht. Alle diese Voraussetzungen lagen nach Auffassung des VG hier nicht vor, sodass es die Berufung nicht zuließ.


Unsere Kolleg*innen aus Hamburg mussten deshalb beim Gericht beantragen, dass die Berufung zugelassen wird. Ein solcher Antrag ist nicht einfach zu begründen. Der betroffene Beteiligte muss konkret darlegen, dass entweder eines der oben genannten Zulassungsgründe vorliegt oder

  • Er muss einen Verfahrensmangel geltend machen, auf dem die Entscheidung beruhen kann oder
  • Er muss darlegen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen

Es reicht indessen nicht aus, dass ein Kläger lediglich pauschal etwas behauptet oder mit der Rechtsauffassung des Gerichts nicht einverstanden ist. Die Rechtsprechung verlangt, dass sich der Betroffene substantiiert mit der angegriffenen Entscheidung auseinandersetzt und den Streitstoff durchdringt und aufbereitet.
 

Nach summarischer Prüfung müssen gewichtige Gesichtspunkte dafürsprechen, dass ernstliche Zweifel daran bestehen, dass das Urteil richtig ist

Stützt ein Beteiligter seinen Zulassungsantrag darauf, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, verlangt das Bundesverwaltungsgericht (BverwG), dass nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte dafürsprechen, dass solche Zweifel bestehen. Es kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene Entscheidung in allen Punkten der Begründung richtig ist, sondern nur darauf, ob ernstliche Zweifel im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung bestehen.


Aufgabe der Kolleg*innen des Büros Hamburg war also, mit schlüssigen Gegenargumenten das Urteil des VG Göttingen in Frage zu stellen. Und das ist gelungen.


Zwar war gar nicht entscheidend, ob § 11 BpolBG anzuwenden ist. Es gab nämlich andere gewichtige Gründe, die in Zweifel zogen, dass das VG Göttingen richtig geurteilt hat. Roman Maier hat nämlich gemäß § 88 Satz 2 BBG einen Anspruch auf weiteren Freizeitausgleich für seinen Einsatz anlässlich des G7-Gipfels in Schloss EImau (Bayern) im Mai/Juni 2015.

Das Verwaltungsgericht meinte, der Dienstherr habe lediglich pauschal erforderliche Mehrarbeit angeordnet

Das VG hatte gemeint, dass es an einer Anordnung von Mehrarbeit fehle. Soweit Herr Maier insofern auf den Einsatzbefehl abgestellt habe, handele es sich nicht um eine Anordnung in diesem Sinne, auf Grundlage derer Mehrarbeit geleistet worden wäre. Es werde lediglich pauschal erforderliche Mehrarbeit angeordnet. Der Einsatzbefehl enthalte allerdings keinerlei weitere Konkretisierungen. Anordnung und Genehmigung von Mehrarbeit müssten sich aber auf konkrete, zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen. Allgemeine (pauschale) Anweisungen hinsichtlich künftiger oder bereits geleisteter Mehrarbeit allein genügten nicht.


Genau an diesem Punkt konnten unsere Jurist*innen in Hamburg den Finger in die Wunde legen. Es sei zwar richtig, dass sich die angeordnete Mehrarbeit auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen müsse. Das VG Göttingen habe aber übersehen, dass die Mehrarbeit nicht nur pauschal durch den Einsatzbefehl angeordnet worden sei, sondern auch durch die Anordnung des Polizeihauptkommissars. Dieser habe Bereitschaftsdienst und damit Mehrarbeit angeordnet, indem er gegenüber dem Kläger und dessen Einheit eine ständige telefonische Erreichbarkeit befohlen habe.

DGB Rechtsschutz GmbH: Bereitschaftsdienst und damit Mehrarbeit sind vom Einsatzleiter angeordnet worden

Das habe den gesamten Zeitraum des Einsatzes betroffen. Dies sei auch sachdienlich gewesen, denn die Anordnung von Mehrarbeit in Form einer ständigen Bereitschaft der betroffenen Beamten sei den Umständen eines geschlossenen Einsatzes geschuldet, währenddessen ständig mit unvorhergesehenen Ereignissen - wie konkret im Einsatzfeld des Klägers - Demonstrationen mit un­ vorhergesehenen Gewaltpotenzial, Einsatz von Feuerwerkskörpern oder auch schwereren Gerätschaften, Störungen an den Bahnlinien usw. habe gerechnet werden müssen.


Insofern habe durchgehend eine dienstrechtliche Notwendigkeit der Anordnung von Mehrarbeit in Form des Bereitschaftsdienstes bestanden, die im Einsatzbefehl bereits berücksichtigt und im Falle des Klägers durch den EPHK konkret umgesetzt worden sei.


Mit dieser Argumentation konnten die Kolleg*innen glaubhaft machen, dass ernstliche Zweifel an die Richtigkeit des Urteils Urteil des VG Göttingen bestehen. Das OVG hat die Berufung zugelassen.


Das Zulassungsverfahren wird jetzt als Berufungsverfahren fortgeführt und unsere Kolleg*innen müssen diese innerhalb eines Monats begründen.

Hier geht es zur Entscheidung des OVG Lüneburg:

Rechtliche Grundlagen

§ 88 Bundesbeamtengesetz (BBG)
Mehrarbeit

Beamtinnen und Beamte sind verpflichtet, ohne Vergütung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und sich die Mehrarbeit auf Ausnahmefälle beschränkt. Werden sie durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, ist ihnen innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Bei Teilzeitbeschäftigung sind die fünf Stunden anteilig zu kürzen. Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, können Beamtinnen und Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern eine Vergütung erhalten.

§ 11 Bundespolizeibeamtengesetz (BPolBG)
Freizeitausgleich bei Einsätzen und Übungen

Bei Einsätzen und bei Übungen von Verbänden, Einheiten oder Teileinheiten der Bundespolizei von einer Dauer von mehr als einem Tag wird anstelle einer Dienstbefreiung nach den §§ 87 und 88 des Bundesbeamtengesetzes ein einheitlicher Freizeitausgleich festgesetzt, der die Dauer des Einsatzes oder der Übung und die damit verbundene dienstliche Beanspruchung angemessen berücksichtigen muss. Die Entscheidung trifft das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Dienststelle. Der Freizeitausgleich soll gewährt werden, sobald die dienstlichen Verhältnisse es zulassen, möglichst innerhalb von drei Monaten.