Tarifverträge aus der Metallindustrie gewähren einen Geldanspruch, der in einen Anspruch auf acht freie bezahlte Tage umgewandelt werden kann. Copyright by Adobe Stock/brankospejs
Tarifverträge aus der Metallindustrie gewähren einen Geldanspruch, der in einen Anspruch auf acht freie bezahlte Tage umgewandelt werden kann. Copyright by Adobe Stock/brankospejs

Was ist so besonders am TV T-ZUG?
Dieser Tarifvertrag aus der Metallindustrie gewährt einen Geldanspruch, der in Ansprüche auf acht zusätzliche freie bezahlte Tage umgewandelt werden kann. Der Anspruch besteht (in Verbindung mit § 25 des Manteltarifvertrages für die Eisen-, Metall und Elektroindustrie NRW) bei einer besonderen Arbeitsbelastung durch Schichtarbeit oder durch besondere familiäre Belastung, wenn jüngere Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen sind.
 
Liegen Anträge von Beschäftigten auf die besondere Freistellung vor, müssen Betriebsrat und Arbeitgeber fristgebunden erörtern, wie das entfallende Arbeitsvolumen betriebsintern aufgefangen werden kann. Falls eine Kompensation nicht erfolgen kann, ist gegebenenfalls festzulegen, welche Gruppe zum Zug kommt.
 

Anträge auf Freistellung wurden abgelehnt

2018 kam es zum Tarifabschluss in der Metallbranche und damit zum neuen Manteltarifvertrag. Der MTV und der TV T-ZUG gelten ab Januar 2019. Anträge auf Freistellung waren bis Ende Oktober 2018 zu stellen. Neumann und eine Reihe seiner Kollegen*innen waren schnell und stellten rechtzeitig Anträge auf die acht Tage Freistellung.
 
Der Arbeitgeber schmetterte alle Anträge ab. Allerdings nicht mit der Begründung, der Arbeitsausfall sei nicht zu bewältigen, sondern da der TV T-ZUG in seinem Betrieb nicht gelte. Mit der Begründung wurde später auch das tarifliche Zusatzgeld nicht bezahlt.
 

Haustarifvertrag ist auszulegen

In Neumanns Betrieb gibt es zwar etliche Gewerkschaftsmitglieder, und der Arbeitgeber ist sogar im Arbeitgeberverband, jedoch nicht in dem für die Metallindustrie. Also gelten erst mal keine Tarifverträge. Wenn keine tariflichen Regelungen gelten, können Arbeitgeber mit Betriebsrat oder  - wie hier - der Gewerkschaft sogenannte Haus- oder Firmentarifverträge schließen.
 
Der Haustarifvertrag in Neumanns Firma ist gar nicht so besonders lang. Es ist vereinbart, was direkt für die Beschäftigten gelten soll. Dazu gehört als Anlage eine Liste, über welche Tarifverträge zu verhandeln ist. Zuletzt findet sich in § 5 eine Klausel, die überschrieben ist mit „Rechtsstatus der Tarifverträge“. In dieser ist geregelt, dass die gültigen Tarifverträge der Metallbranche mit dem jeweiligen gültigen Rechtsstatus gelten.
Absatz 5 dieser Klausel und wie er auszulegen ist, beschäftigte die Arbeitsgerichtsbarkeit in drei Instanzen. Danach sollen alle Abkommen, Zusatzabkommen, Änderungen und Neufassung von Tarifverträgen sowie alle neuen Tarifverträge für das Gebiet gelten.
 
Darunter müsste doch auch der TV T-ZUG fallen, meinen Neumann und sein Kolleg*innen. Sie klagen ihre Ansprüche über den gewerkschaftlichen Rechtsschutz ein.
 

Die I. Instanz weist die Klagen ab

Zwei Kammern des Arbeitsgerichts Bonn mussten sich mit den Klagen befassen. Zur Vermeidung einer Papierflut wurde sich geeinigt, vier Verfahren als Pilotverfahren durchzuführen.
 
Betrachte man isoliert nur den Wortlaut und vereinfache es darauf, dass alles Neue gelten soll, sei das etwas kurz gegriffen. Das Arbeitsgericht meinte, der Wortlaut sei nicht eindeutig, weil bestimmte Fallkonstellationen damit nicht zu lösen seien. Eine automatische Geltung eines neuen Manteltarifvertrags der Metallbranche sei nicht vereinbart. Das begründete das Gericht auch damit, dass der TV- T-ZUG das Vergütungssystem ERA voraussetze. Dieses war in Neumanns Betrieb unstreitig nicht eingeführt worden.
 

Die II. Instanz weist die Berufung zurück

Auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln entschied, dass die neuen tariflichen Regelungen zur besonderen Freistellungszeit nicht gelten.
 
Der Haustarifvertrag wurde dahingehend ausgelegt, dass die sog. Bezugnahmeklausel nicht zur Anwendung der neuen Tarifverträge führt. Bei der Auslegung könne man nicht am Wortlaut stehen bleiben. Zu dem übrigen Text des Tarifvertrages stehe diese Klausel im unvereinbaren Widerspruch. Dieser Konflikt sei so zu lösen, dass im Zweifel derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben ist, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt. Die Gesamtschau führe deshalb zwingend zur Nichtanwendbarkeit.
 

BAG kippt Entscheidungen der Instanzen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat recht schnell entschieden. Neumann stehen die 8 Freistellungstage zu.
Das BAG hat die Sache wie die Gerichte zuvor in einer Gesamtschau geprüft. Nach Auffassung des 4. Senats führt eine solche aber zur Anwendung der Tarifnormen aus dem TV T-ZUG.
 
Der Senat führt aus, dass der Haustarifvertrag eben keine Aussage träfe, ob und unter welchen Voraussetzungen ein zukünftig abzuschließender neuer Manteltarifvertrag gelten solle. Weder ergebe sich daraus eine automatische Geltung noch sei diese ausgeschlossen.
 
Der Haustarifvertrag sei dreigeteilt in

  • bestimmte Tarifverträge, die unmittelbar gelten,
  • andere Tarifverträge, die bereits bestehen, die gelistet sind und über die zu verhandeln ist,
  • neue Tarifverträge, vereinbart nach dem Inkrafttreten des Haustarifvertrags.

 
Der TV T-ZUG und der MTV aus 2018 seien anwendbar. Aus dem Haustarifvertrag ergebe sich nichts anderes. Einen Widerspruch wie das LAG sehen die Richter*innen am BAG nicht. Es werde nur der Verhandlungsdruck auf die Parteien des Haustarifvertrages erhöht, sowohl im Hinblick auf die Tarifverträge der Liste als auch hinsichtlich neuer Tarifverträge.
 

BAG bejaht den Anspruch auf Freistellung

Neumann falle auch unter den persönlichen Geltungsbereich, da sich dieser nach dem Haustarifvertrag und nicht nach dem jeweiligen persönlichen Geltungsbereich des MTV und TV- T-ZUG beurteile. Mit dieser Begründung war es dann auch egal, dass das ERA-Vergütungssystem nicht eingeführt worden ist.
 
Der Freistellungsanspruch besteht auch nach wie vor, auch, wenn das Jahr 2019 schon zur Vergangenheit gehört. Nur, wenn Arbeitnehmer*innen wegen Krankheit die Freistellungstage nicht nehmen können, geht der Anspruch auf Freistellung unter. Es besteht dann Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld. Hier, so das BAG, sei eine Freistellung noch weiterhin möglich.
 

BAG hat Ansprüche auf Freistellung auch bei arbeitsvertraglicher Verweisung bestätigt

Das BAG hat diesen Fall zeitlich noch vor anderen, ebenfalls vom gewerkschaftlichen Centrum geführten Verfahren, entschieden. Das BAG hat zwischenzeitlich auch über Freistellungsansprüche geurteilt, wo sich die Anwendung des TV T-ZUG aus einer arbeitsvertraglichen Inbezugnahme ergibt (4 AZR 283/20). Dort hatten die Kläger zweitinstanzlich beim Landesarbeitsgericht Hamm gewonnen und das BAG hat die Revision des Arbeitgebers zurückgewiesen.
 
 
LINKS:
Das vollständige Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist hier nachzulesen
Bundesarbeitsgericht

Auch dieser Streit ging für die klagenden Arbeitnehmer*innen gut aus:
Streit um den TV T-ZUG - DGB Rechtsschutz GmbH
Hier geht es zu einem Fall, der für die Metaller nicht gut ausgegangen ist:
Keine Freistellungstage für Metaller - DGB Rechtsschutz GmbH

Das sagen wir dazu:

Neumann und seine Kollegen*innen jubeln! Und nicht nur diejenigen, die um Freistellungstage gekämpft haben, sondern auch diejenigen, die das tarifliche Zusatzgeld gefordert hatten. In einer zweiten Welle von Verfahren wurde der Geldanspruch aus dem TV-TZUG eingeklagt. Hier gab der Haustarifvertrag ein weiteres Einfallstor für einen Anspruch. Doch die Pilotverfahren wurden ebenfalls in der ersten Instanz verloren und sind noch beim LAG anhängig.

Alle, die sich gerichtlich gewehrt haben, profitieren jetzt von der Entscheidung des BAG und erhalten die Freistellungstage oder das Geld.

Vertretung beim BAG durch Gewerkschaftliches Centrum

Das BAG hat die Auffassung bestätigt, wonach der TV T-ZUG über den Haustarifvertrag zur Anwendung kommt. Über den Erfolg freut man sich auch beim Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht. Karsten Jessolat, Leiter des Centrums, hat das Verfahren in dritter Instanz geführt. Er stellt klar, dass es hier um einen individualrechtlichen Anspruch geht, der nicht an kollektivrechtliche Voraussetzungen, wie etwa die Kompensation des Arbeitsvolumens geknüpft ist. Über mehr musste das BAG nicht entscheiden. Jedenfalls aber könne, so das BAG, der Anspruch nur abgelehnt werden, wenn bestimmte, vom Tarifvertrag näher definierte betriebliche Umstände tatsächlich vorliegen und dem Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers entgegengehalten werden können.

Rechtliche Grundlagen

Die Voraussetzungen der tariflichen Freistellungszeit nach § 25 MTV:
· Dreischicht oder Dauernachtschicht seit mindestens drei Jahren sowie fünf Jahre Betriebszugehörigkeit bzw. Wechselschicht seit mindestens fünf Jahren sowie sieben Jahre Betriebszugehörigkeit oder
· Kind unter acht Jahren im Haushalt und zwei Jahre Betriebszugehörigkeit oder
· häusliche Pflege eines Angehörigen (Eltern, Schwiegereltern, Kinder, Partner), der mindestens Pflegegrad 1 hat, sowie mindestens zwei Jahre Betriebszugehörigkeit.

Tarifliches Zusatzgeld nach dem T-ZUG:
Beschäftigte und Auszubildende, die jeweils am 31. Juli eines Kalenderjahres in einem Arbeitsverhältnis / Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen sechs Monate angehört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf tarifliches Zusatzgeld
Das T-ZUG (A) beträgt 27,5 % des monatlichen regelmäßigen Arbeitsentgelts.