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Wir waren dabei

Kongress zur Zukunft der Arbeitswelt

Anlässlich seines 125-jährigen Jubiläums lud der Arbeitsgerichtsverband am 10. und 11. Oktober 2018 zu einem Kongress nach Köln. Juristen aus Richterschaft, Gewerkschaften und Verbänden, Politik, Wissenschaft und der Anwaltschaft diskutierten das Arbeitsrecht gestern, heute und morgen. Die Digitalisierung der Arbeitswelt war dabei das große Thema.

Über 430 Teilnehmer waren erschienen, um dem Arbeitsgerichtsverband zum Jubiläum zu gratulieren und sich über die Zukunft des Arbeitsrechts auszutauschen.
 

Der Deutsche Arbeitsgerichtsverband e.V. (DArbGV)

Der Arbeitsgerichtsverband gründete sich 1893. Ab 1933 war er zwischenzeitlich aufgelöst. Seine Aufgabe ist es, durch Treffen von Arbeitsrichtern, der Praktiker sowie Wissenschaftlern, das Arbeitsrecht und die Arbeitsgerichtsbarkeit zu fördern. Er richtet ganzjährig bundesweit kostenfreie Tagungen aus. www.arbeitsgerichtsverband.de
 
Die etwa 3.800 Mitglieder bestehen aus Berufs- und ehrenamtlichen Richtern der Arbeitsgerichte, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, sowie Vertretern der Anwaltschaft, der Arbeitsrechtswissenschaft und Vertretern der an der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung beteiligten Behörden.
 

Damals wie heute ist eine kollektive Gegenmacht erforderlich

Die Festrede hielt Prof. Dr. Dr. h.c. Preis von der Universität zu Köln. Er schlug eine Brücke von der Antike bis zur digitalen Arbeitswelt. Dabei wurde offenbar, dass sich weniger verändert hat, als man meinen möchte. Damals wie heute ist eine kollektive Gegenmacht erforderlich, da abhängige Arbeit und Ausbeutung Teile der Menschheitsgeschichte sind. So die erste richtige und wichtige Grundüberlegung von Preis. Darauf aufbauend bedauert er eine schwächer werdende Gewerkschaftsbewegung.
 
Warum profitieren die Arbeitnehmer*innen nicht vom Wirtschaftswachstum? Preis begründet dies neben der Logik des Kapitalismus mit der in bestimmten Branchen fehlenden kollektiven Macht.
 
Das aktuelle „Beschäftigungswunder“ sieht er kritisch, da es auch durch einen hohen Niedriglohnsektor entstanden ist. Deutschland stehe im europäischen Vergleich da, als ob Bayern in der 4. Liga spielen würde. Dieser Vergleich ist wenig schmeichelhaft, aber sicher richtig.
 

Digitale Arbeitswelt fordert lückenlose Absicherung aller Erwerbstätigen

Das Arbeitsrecht von heute kritisiert Preis als zu dogmatisch, lückenhaft und zu wenig sozial.
 
Die Konflikte in der digitalen Arbeitswelt seien die gleichen wie in der normalen Arbeitswelt. Die Lösung sieht er nicht im Arbeitsrecht, sondern im Sozialrecht. Die Solo-Selbständigen, die geringfügigen Beschäftigten und die arbeitnehmerähnlichen Personen sollten dem Schutz der Heimarbeiter gleichgestellt werden.
 

Bestandsschutzkonzeption vs. Abfindungsrealität

Am zweiten Tag des Kongresses teilten sich die Teilnehmer zu verschiedenen Themen auf. Großes Interesse bestand an der Diskussion zum deutschen Kündigungsschutz und ob dieser in der Konzeption des Bestandsschutzes bestehen bleiben muss.
 
Obwohl die Referenten aus verschiedenen Lagern kamen, war allgemeiner Tenor: Der Kündigungsschutz muss erhalten bleiben. Ein wichtiger Punkt ist dabei, dass die Auswirkungen des Kündigungsschutzgesetzes auf den Arbeitsmarkt ungewiss sind. Karsten Jessolat, Leiter des Gewerkschaftlichen Centrums für Revision und Europäisches Recht wies darauf hin, dass ein Abbau des Kündigungsschutzes den Arbeitsmarkt nicht nachweisbar belebt hat. Auch ein paar interessante Zahlen hatte er im Gepäck: Nur ein Drittel der Arbeitsverhältnisse werde durch Kündigungen des Arbeitgebers beendet. Und nur in 15% dieser Kündigungen komme es zu einer Klage. Wenn davon dann die Hälfte verglichen wird, könne von einer Abfindungsrealität nicht die Rede sein. Sein Statement: „Nur ein Kündigungsrecht mit Bestandsschutz hat den Namen verdient!“.
 

(Fast) alle gegen eine Entweder-oder-Lösung durch Vertrag

Die Idee, Arbeitnehmer*innen Arbeitnehmer und Arbeitgeber könnten zu Beginn des Arbeitsverhältnisses festlegen, ob es im Falle einer Kündigung eine Abfindung gibt oder bei Gericht die Kündigung überprüft wird, findet selbst auf Seiten der Arbeitgeber  - aus der sie natürlich stammt - keinen allgemeinen Zuspruch. Sogar auf dieser Seite wird das Problem der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer*innen gesehen.
 
Karsten Jessolat sprach sich ganz klar dafür aus, dass man den Bestandsschutz einer eventuellen Rechtssicherheit nicht opfern darf. Das ist richtig. Denn Lebenssituationen ändern sich. Ein junger Mensch, der ein Arbeitsverhältnis eingeht, findet vielleicht im Hinblick auf seine guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt eine Abfindung attraktiver. Was aber, wenn die Kündigung kommt, wenn er Familie gegründet oder etwa viele Jahre später, wenn die Chancen auf dem Arbeitsmarkt längst anders aussehen?
 
Grundsätzlich steht zu befürchten, dass viele Arbeitgeber ohne den Bestandsschutz „im Nacken“ keine bzw. keine vernünftigen Abfindungen zahlen würden.
 
Und noch ein interessanter Fakt am Rande: Die Abfindungen sind 40% höher in Unternehmen, die einen Betriebsrat haben.
 

Arbeitszeitrecht als größtes Problem der Digitalisierung?

Das sehen viele so. Auf dem Kongress ging es aber auch um die Einbeziehung des Sozialrechts in notwendige Änderungen. So sprach sich Prof. Dr. Waltermann von der Universität Bonn dafür aus, nun endlich Sachen zu regeln, die längst hätten geregelt werden müssen. Ein Beispiel ist die Einbeziehung der Solo-Selbständigen in die Sozialversicherung.
 
Prof. Dr. Nebe von der Universität Halle-Wittenberg warnte davor, bei der rasanten Entwicklung der Digitalisierung zu viele Menschen abzuhängen. Sie teilte den optimistischen Blick auf die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht ganz.
 
In dem Zusammenhang liegt Prof. Dr. Hirsch-Kreinsen von der TU Dortmund richtig, wenn er in der Qualifizierung eine Herausforderung der Digitalisierung sieht. Wichtig dabei: Nicht nur „High-Tech-Arbeit“ ist zu fördern, sondern auch geringer qualifizierte Arbeit. Denn ganz klar werden die meisten Jobs im Bereich der Helfertätigkeiten wegfallen.
 

Alles bleibt anders!?

Das Motto des Kongresses „Alles bleibt anders!“ ist auch im Rückblick betrachtet treffend. Änderungen müssen her, aber nicht die ganz großen Reformen, da unser Arbeits- und Sozialrecht zukunftsfähig ist. Hoffen wir, dass die richtigen Weichen gestellt werden.
 
„Anders“ und für alle Jurist*innen bitter unerwartet ist, dass wir nicht nur in einer zunehmend digitalen Arbeitswelt leben, sondern auch in einer Welt, in der es erforderlich ist, im Rahmen einer solchen Veranstaltung ein Plädoyer für die Unabhängigkeit der Justiz zu halten.
 
Wer alles zum Kongress ganz genau nachlesen möchte, der sei verwiesen auf das Heft 2/2019 der RdA (Recht der Arbeit). Der Arbeitsgerichtsverband kündigt eine vollständige inhaltliche Nachbereitung darin an inklusive des Festvortrags von Prof. Dr. Dr. h.c. Preis, den Grußworten zu Kongress und Empfang, den Impulsreferaten aus den Panels, den Einführungsreferaten des Streitgesprächs und den Referaten aus der Diskussion um die Zukunft der Arbeitswelt.

 
Mehr Infos zum DArbGV, seiner Arbeit und den bundesweiten Tagungen gibt es auf der Homepage des Verbandes.

Impressionen zum Kongress hat der DArbGV hier zusammengestellt: