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Flexibel in die Rente – Vermeidung von Armut im Alter und bei Erwerbsminderung

Legitimation der Rente ist bedroht. Silke Clasvorbeck - Bielefeld
Legitimation der Rente ist bedroht. Silke Clasvorbeck - Bielefeld

Bericht vom Rechtspolitischen Kongress in Berlin (25. und 26. März 2014)

Zu diesem Thema hielt Professor Dr. Felix Welti von der Universität Kassel ein Impulsreferat. Prof. Dr. Ute Klammer von der Universität Kassel, Christoph Ehlscheid von der IG Metall und Dirk Hölzer, Richter am Landessozialgericht Darmstadt, kommentierten und ergänzten den Vortrag.

Legitimation der Rente ist bedroht

In diesem Punkt waren sich alle auf dem Podium einig. Als Gründe wurden die Anhebung der Altersgrenze und der kleine Abstand zur Grundsicherung genannt.

Herr Ehlscheid stellte frei nach Goethes Faust die für ihn zentrale Frage  „Wie hältst Du es mit dem Rentenniveau?“  Wer über politische Legitimation spricht, darf über das sinkende Rentenniveau nicht schweigen, so Ehlscheid. Es sollte der Mut gefunden werden, dies anzugehen. Er sprach hier vom „Kampf um das goldene Kalb der Beitragssätze“.

Dass die Bedeutung der Leistungsgerechtigkeit für die Legitimation der gesetzlichen Rente enorm ist, darin waren sich alle einig.

Keine Gerechtigkeit für die gesundheitlich Geschundenen und die mit gebrochener Erwerbsbiographie

Professor Welti kritisierte die Rente mit 67 ebenso wie die Rente mit 63 für langjährig Versicherte. Die Probleme für die, die keinen Einfluss auf ihre Erwerbsbiographie haben, würden hier nicht gelöst. Die Abschläge bei Renten wegen Erwerbsminderung hält er für systemwidrig. Die Sicherung bei Erwerbsminderung sei ein ungelöstes Problem, und hier läge ein hohes Armutsrisiko.

Die Lösungen müssten den Arbeitsmarkt stärker berücksichtigen. Verweisungen auf nicht existierende Arbeitsplätze führten nur zu Frust und langen Rechtsstreitigkeiten.

Prof. Welti stellte fest, dass der Bezug von Erwerbsminderungsrente bei uns oft die Endstation ist und weder Reha noch Wiedereingliederung noch erfolgten. Als Ausweg sollten Prävention und Rehabilitation verstärkt werden.

Auch nach Ehlscheid sind die Abschläge bei Renten wegen Erwerbsminderung abzulehnen. Es sollte nicht auf Phantasiearbeitsplätze verwiesen werden dürfen. Er forderte eine Umkehr der Verweispraxis in der ein konkreter Arbeitsplatz genannt werden muss.

Richter Hölzer sah die Gefahr, dass man Rente - so wie wir sie kennen - nicht halten kann, wenn man wegen steigender Armut Fürsorgeaspekte berücksichtigt.

Rente mit 63 für langjährig Versicherte

Professor Welti kritisierte die Rente im Hinblick auf die Bedarfsgerechtigkeit. Hier knüpft Prof. Klammer an und bezeichnet die Rente sozialpolitisch für problematisch. Auch seitens der Gerichtsbarkeit in Person von Herrn Hölzer wird die Rente für langjährig Versicherte hinterfragt.

Herr Ehlscheid als Gewerkschaftler widerspricht seinen Vorrednern und begrüßt die Rente für langjährig Versicherte.

„Altersarmut hat viele Gründe – wir gucken oft nicht auf alle“

Dies ist das Fazit von Prof. Klammer. Als Schlüssel zur Vermeidung von Altersarmut sieht sie es an, früh ein Bewusstsein zu entwickeln und die Regelungen auf dem Arbeitsmarkt in den Blick zu nehmen. Sie fordert betriebliche und tarifliche Regelungen zum flexiblen Übergang in die Rente. Sie hat an einem Forschungsprojekt zu diesem Thema teilgenommen. Danach stellen sich die Verhandlungen in den Betrieben sehr schwierig dar, wobei die Kostenfrage und die Komplexität der Regelungen dominieren.

Die Altersteilzeitregelung in den Betrieben und die Altersrente für langjährig Versicherte sind nach Ehlscheid zwei Seiten einer sich ergänzenden Medaille. Der Kernpunkt des Konflikts beim Thema Altersteilzeit sei die Finanzierung. Er fordert hier eine besondere Förderung der unteren Lohngruppen und der besonders belasteten Gruppen.

Erheblicher Reformbedarf – bei Erwerbsminderung mit kleinen Reformen nicht getan

Als Fazit stellt Prof. Welti heraus, dass ein erheblicher Reformbedarf besteht, im Besonderen im Bereich der Erwerbsminderung. Gerade da sei es mit kleinen Reformen nicht getan.  

Er schlug vor, die Erwerbsminderung ganz vom Rentensystem zu entkoppeln, ähnlich wie in den Niederlanden. Der Gesetzgeber sei gefordert. Arbeits- und sozialrechtliche Instrumente sollten dabei kombiniert werden, um einen bedarfsgerechten vorzeitigen Übergang in die Altersrente zu ermöglichen.

Das Rentenalter von 67 ist für den Großteil der Beschäftigten nicht realisierbar. Darauf wies Ehlscheid hin. Von der einheitlichen Regelaltersgrenze solle man sich ganz verabschieden und keine feste Grenze setzen. Es sollten zusätzliche Rentenarten geschaffen und die bestehenden Rentenarten verbessert werden. Sein Fazit: „One fits all“ geht in der Rentenversicherung nicht, wenn man Erwerbsbiographien und Lücken berücksichtigen will.

Hölzer warnt davor, weitere Differenzierungen nach Grad der Behinderung oder zeitlichem Restvermögen zu machen. Er begründet dies damit, dass es hier in Rechtsstreiten selten ein eindeutiges Ergebnis gibt. Das provoziere nur Zufallsentscheidungen in der Sozialgerichtsbarkeit.

Silke Clasvorbeck - Bielefeld