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Das Bundesteilhabegesetz – Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen und neue Definition der Behinderung

„Das Bundesteilhabegesetz und Teilhabe im Betrieb“ war eins der Themen beim 11. Hans-Böckler-Forum zum Arbeits- und Sozialrecht, das am 2. und 3. März in Berlin stattfand.

„Das Bundesteilhabegesetz und Teilhabe im Betrieb“ war eins der Themen beim 11. Hans-Böckler-Forum zum Arbeits- und Sozialrecht, das am 2. und 3. März in Berlin stattfand.

Prof. Dr. Katja Nebe von der Universität Halle und Prof. Dr. Felix Welti von der Universität Kassel führten durch dieses Thema.

Nach langen Diskussionen ist das Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (BTHG) zu einem Ende gekommen. In Teilen ist das Bundesteilhabegesetz schon in Kraft getreten. Die weiteren Teile werden gestaffelt bis 2020 in Kraft treten.

Wichtige Änderung, die zum 30.12.2016 in Kraft getreten sind

Von den zahlreichen Änderungen möchten wir einige wenige herausstellen.

  • Kündigung ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist unwirksam

Für den Bereich des Arbeitsrechts dürfte dies die wichtigste Änderung sein:

Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, ist unwirksam.

Alfons Adam, Gesamtschwerbehindertenvertretung der Daimler AG, sieht in dieser Neuerung nur einen ersten Schritt, wenn auch einen sehr wichtigen. Am Ziel sei man aber erst, wenn auch Versetzungen, Einstellungen und anderen personelle Maßnahmen bei Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam sind.

  • Vertrauensperson wird schon ab 100 schwerbehinderten Menschen freigestellt

Der Schwellenwert für die Freistellung der Vertrauensperson sinkt von derzeit 200 schwerbehinderte Menschen im Betrieb auf 100. Auch das stärkt die Möglichkeiten der Schwerbehindertenvertretungen.

  • Änderungen bei der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen

Hier ist zu nennen die Erhöhung des Schonvermögens. Für Personen, die als Leistung der Eingliederungshilfe Sozialhilfe erhalten, gilt ein zusätzlicher Betrag von bis zu 25.000 € als Schonvermögen.

Außerdem wird hier nicht mehr das Einkommen des Partners angerechnet. Diese Änderung wird jedoch erst 2020 in Kraft treten.
Übersichten zu den Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz finden Sie auf der Homepage der Lebenshilfe.

„Im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen“

Dr. Luik, Richter am Landessozialgericht Baden-Württemberg, hob vor allem die Neudefinition des Begriffs der Behinderung hervor. Dieser enthält nicht mehr den Begriff „Funktionseinschränkung“. Die Streitfälle müssten nun anhand der Behindertenrechtskonvention entschieden werden.

Definition von Behinderung

Der Begriff einer Behinderung im BTHG geht aus dem der Behindertenrechtskonvention hervor und lautet

Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.

Aus Richtersicht ist außerdem bedeutsam: Für Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation gilt nun (auch) eine Genehmigungsfiktion. Das bedeutet, dass eine beantragte Leistung als genehmigt gilt, wenn über diese nicht innerhalb einer Frist entschieden wird. Bisher gab es das nur im Bereich der Krankenversicherungen; Reha-Maßnahmen sind dort ausgenommen.

Mehr zur Genehmigungsfiktion in unserem Beitrag: "Krankenkasse wird fürs “Bummeln“ abgestraft"

Bedarfsermittlung bei Rehabilitation wichtig

Dr. Michael Schubert von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation stellte heraus, wie wichtig die Ermittlung und Feststellung des Bedarfs ist. In einer Umfrage hätten die Arbeitsgemeinschaft 429 verschiedene Mittel zur Bedarfsermittlung „gefunden“. Das soll durch das BTHG überschaubarer werden.

Aus der Sicht der Prozessbevollmächtigten ist dieser Punkt interessant: Der leistende Träger kann als letztes Mittel für einen anderen Träger kostenverpflichtend über eine Leistung entscheiden (§ 15 BTHG: Leistungsverantwortung bei Mehrheit von Rehabilitationsträgern). Dies ist deshalb eine gute Regelung, da gerne der eine Leistungsträger die Verantwortung auf den anderen schiebt und so lange Zeit gar nichts passiert.

“Theorie und Praxis“

Dass Theorie und Praxis oft weit auseinander liegen, ist bekannt. Auch im Bereich der Teilhabe ist das leider nicht anders. So könnte das Fazit der lebhaften Diskussion lauten. Obwohl es gute gesetzliche Grundlagen gibt, ist zum Beispiel der Übergang von den Werkstätten für Behinderte Menschen (WfBM) in den allgemeinen Arbeitsmarkt gleich Null.

Skepsis kam auch aus dem Bereich der Praktiker. Dr. Luik als Vertreter der Richterschaft räumte dazu ein, dass sie immer erst im Einsatz sind, wenn was schief gegangen ist.

Insofern wollen wir optimistisch sein, dass an der einen und anderen Stelle für die Betroffenen die Änderungen positiv spürbar sein werden.

Einblick in den institutionellen Wahnsinn

Was den Optimismus einschränkt, ist der Einblick in den institutionellen Wahnsinn. Diesen Begriff wählte eine Teilnehmerin treffend, als es um das Zusammenspiel der Agentur für Arbeit, der Integrationsämter und der Integrationsfachdienste (IFD) ging.
Frau Prof. Dr. Bieritz-Harder von der Hochschule Emden/Leer hatte berichtet, dass der IFD der schnittstellenübergreifenden Rolle nicht nachkommen könne, wenn die verschiedenen Leistungsträger nicht kooperierten. Der Gesetzgeber habe ein Modellprojekt nicht abgewartet, an dem sich die Integrationsämter kaum beteiligt haben und das die Zielgruppe zu 2/3 nicht erreicht hat.

Und natürlich geht es leider wie immer um das liebe Geld: Die Agentur für Arbeit gäbe wegen der Kosten nur wenig Aufträge an den IFD.

Auch hier hoffen wir, dass sich etwas ändert und möglichst viele Behinderte Menschen in Lohn und Brot kommen. Schließlich ist das Ziel eine Teilhabe - am Leben und damit auch am Beruf.

Informative Links:
Hier geht`s zur Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 16.12.2016 zur Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes

Wichtige Infos und Tipps gibt es im Diskussionsforum Rehabilitations-und Teilhaberecht

Das Bundesteilhabegesetz in leichter Sprache kann auf der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eingesehen und dort als PDF heruntergeladen werden.