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Veranstaltung des DGB Rechtsschutzes

CAMPUS 2020: Überblick über die gesetzlichen Änderungen im Arbeitsrecht

Dr. Nadine Absenger - Leiterin des Bereichs Recht und Rechtspolitik in der ver.di Bundesverwaltung
Dr. Nadine Absenger - Leiterin des Bereichs Recht und Rechtspolitik in der ver.di Bundesverwaltung

Dr. Nadine Absenger - Leiterin des Bereichs Recht und Rechtspolitik in der ver.di Bundesverwaltung, machte beim Campus Arbeitsrecht 2020 mit dem Thema „2 Jahre Große Koalition – Die wichtigsten arbeitsrechtlichen Projekte“ den Anfang bei der Vortragsreihe. Da der 4. Campus im Livestream stattfand, war die Covid19-Pandemie ohnehin für die 600 digitalen Teilnehmer greifbar. Sie war zudem der Grund für manche der präsentierten gesetzlichen Änderungen.

Bei der Gesetzgebung hat sich einiges getan in den letzten zwei Jahren. Viele gesetzliche Vorhaben, ob nun im Koalitionsvertrag vereinbart oder durch Corona oder EU-Richtlinien bedingt, hat die Bundesregierung umgesetzt.
Dazu zählen die Verbesserung der Pflegelöhne, die Mindestvergütung für Auszubildende, die Nachunternehmerhaftung für Paketdienstleister zur besseren Absicherung von Paketboten, das Verbandssanktionsgesetz zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen.
 

Was lief gut, was lief schlecht bei der Umsetzung der arbeitsrechtlichen Projekte?

Ein Erfolg aus Arbeitnehmersicht ist die so genannte Brückenteilzeit. Ab Januar 2019 besteht die Möglichkeit, die Arbeitszeit befristet zu reduzieren (§ 9a TzBfG).
Die Schwäche ist hier leicht gefunden: Die Vorschrift gilt nur in Betrieben mit mehr als 45 Beschäftigten. Das schränkt die Zahl der Arbeitnehmer*innen ein, die von der befristeten Teilzeit profitieren können.
 
Auch die Arbeit auf Abruf (§ 12 TzBfG) wurde reformiert. Positiv sei zu bewerten, dass bei der Frage der Entgeltfortzahlung nun Rechtssicherheit bestehe. Bedauerlich sei hingegen, dass bei den Mindestbandbreiten die BAG-Rechtsprechung übernommen wurde. Ist eine wöchentliche Mindestarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber bis zu 25% dieser Wochenarbeitszeit zusätzlich abrufen. Ist eine wöchentliche Höchstarbeitszeit vereinbart, darf der Arbeitgeber bis zu 20% der wöchentlichen Arbeitszeit weniger abrufen.
 
Beim Arbeitnehmerentsenderecht wurde mit Wirkung ab Juli 2020 die europäische Richtlinie umgesetzt. Bei der Umsetzung sei der Gesetzgeber allerdings weit hinter den Anforderungen der EU zurückgeblieben.
 

Das Bürokratie-Abbaugesetz

Ab Januar 2020 wird es die elektronische AU-Bescheinigung geben. Dies sei zwar eine Erleichterung für arbeitsunfähige Beschäftigte, doch auch kritisch unter dem Aspekt des Datenschutzes zu betrachten. Aus Sicht der Gewerkschaften sei es nicht unproblematisch, dass Arbeitgeber Auskünfte bei der Krankenkasse erhalten.  
Zudem seien viele Arztpraxen technisch nicht in der Lage, das umzusetzen.
 
Im Rahmen des Bürokratie-Abbaugesetzes wurden Schriftformerfordernisse reformiert.
Für die Ablehnung des Antrages auf Reduzierung der Arbeitszeit nach § 8 TzBfG durch den Arbeitgeber gilt jetzt nur noch die Textform (auch E-Mail) statt einer Schriftform. Gleiches gilt für den Antrag des Arbeitnehmers.
Eine solche Änderung ist für die Elternzeit und die Pflegezeit noch in der Diskussion.
 

Zeiterfassung ab der 0.Stunde - 1 Milliarde unbezahlte Überstunden 2019

Die Vorgaben der EU zur Zeiterfassung sind bisher in Deutschland noch nicht umgesetzt. Warum? Weil es konträre Meinungen in der großen Koalition dazu gibt, ob und wie das Ganze umzusetzen ist.
Nadine Absenger stellte hier klar, dass es nicht darum gehe, Arbeitnehmer*innen zu überwachen oder die Vertrauensarbeitszeit abzuschaffen. 2 Milliarden Überstunden im Jahr 2019, die Hälfte davon unbezahlt, sprächen aber eine klare Sprache.
 
Rudi Buschmann vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht bezeichnet in seinem späteren Vortrag die Nichtumsetzung als Skandal. In Spanien sei das in zwei Wochen möglich gewesen.
 

Corona stellt Arbeitnehmerschutzrechte wieder zur Diskussion

Nadine Absenger sieht viele Gesetze rund um die Pandemie und die Krise als notwendig an. Manche seien kritisch zu hinterfragen.
Kritisch sieht sie die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes, wonach für Reiserückkehrer aus Risikogebieten während eine Quarantäne der Entschädigungsanspruch entfällt.
Kritisch zu sehen sei auch die vorübergehende Möglichkeit für Betriebsräte, per Video Sitzungen abzuhalten und Beschlüsse zu fassen.  
 

Fleischindustrie: Wichtige und richtige Gesetzesentwürfe mit Schlupflöchern

Wenn Corona etwas Gutes in Gang gebracht hat, dann zählt dazu, dass die Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche endlich ein Thema für Gesetzesänderungen sind. Nadine Absenger moniert die vielen Ausnahmen im Arbeitsschutzkontrollgesetz, vor allem nach der Größe des Betriebs. Schaut man auf den „Quasi-Auslöser“ Tönnies, sind die Bedenken nachvollziehbar. Dieser hat im Sommer einfach mal so 15 Tochterfirmen für die Produktion gegründet.  Da fürchtet sicher nicht nur die Gewerkschaft NGG, dass das neue Konstrukt das alte System aufrechterhalten soll.
 

Viel „wildes Homeoffice“ wegen Corona

Der DGB fordert ein Recht auf Homeoffice. Bisher gibt es hier aber nur Erörterungsansprüche. Beschäftigte können verlangen, dass der Chef mit ihnen über die Möglichkeit spricht, zuhause zu arbeiten. Diese Ansprüche seien nicht ausreichend und nur bedingt justiziabel, so Absenger.
 

Wichtige Punkte aus dem Koalitionsvertrag sind noch offen

Da die Meinungsverschiedenheiten zu den noch offenen Fragen zu groß seien, werde es wohl auch zu keiner Umsetzung mehr kommen. Das betreffe mit dem Arbeitszeitrecht und dem Befristungsrecht zwei elementare Bereiches des Arbeitsrechts.
 
Der DGB wünscht sich eine Reform des Befristungsrechts, um Kettenbefristungen von der Dauer und dem Anteil der Belegschaft zu reduzieren und die sagrundlose Befristung abzuschaffen. Natürlich ist dies hochumstritten und es gibt starken Gegenwind der Arbeitgeber.
 
Das Arbeitszeitgesetz hingegen ist aus Sicht der Gewerkschaften schon flexibel genug; eine Reform wird abgelehnt.
Beim Arbeitszeitrecht „spielt die Musik in Europa“, wie Rudi Buschmann bemerkte. Das ist ein gutes Korrektiv zu den in Deutschland diskutierten Lockerungen für Arbeitgeber, da der Europäische Gerichtshof doch zumeist die Schutzrechte der Arbeitnehmer*innen stärkt.